Sotschi . Brasilien bangt vor dem Costa-Rica-Spiel um Neymar. Dabei ließe sich der Ausfall verkraften. Weil der Vertreter kein Ersatzmann ist.
Mit Eier, Mehl und Wasser kann man durchaus etwas Hübsches zaubern. Einen Pfannkuchen, zum Beispiel. Oder auch einen Pizzateig. Man kann die drei Grundnahrungsmittel aber auch benutzten, um Geburtstagskind Philippe Coutinho mitten auf dem Trainingsplatz der Brasilianer in Sotschi zunächst mit Eiern „zu teeren“ und ihn dann mit Mehl „zu federn“. Das Ganze dann unter dem Gejohle der begeisterten Mannschaftskollegen mit einem Eimer Wasser garniert – und fertig ist das Werk von Chefkoch Neymar.
Zehn Tage ist dieser Spaß im Yug Sport Stadion von Sotschi nun schon her. Das Lachen ist vielen Brasilianern seitdem allerdings ein wenig abhandengekommen. Erst der alles in allem enttäuschende Auftakt gegen die Schweiz (1:1), dann eine veritable Debatte über den angeblichen Eigensinn Neymars (beim Fußball und nicht beim Kochen). Und schließlich auch noch die zunehmenden Sorgen um Neymars rechten Knöchel, der als Folge des vieldiskutierten Eigensinns gegen die Schweiz mehr abbekommen hat als zunächst befürchtet. 28 Mal suchte der Star von Paris Saint Germain im Spiel gegen die Eidgenossen die Eins-gegen-Eins-Situation (mehr als doppelt so oft wie jeder andere), zehnmal wurde er dabei gefoult (ebenfalls mehr als doppelt so oft wie jeder andere). Nun diskutiert und bangt die Nation wieder ein Mal über und um Neymar. Keineswegs optimale Zutaten für das zweite Gruppenspiel gegen Costa Rica in St. Petersburg (Fr., 14 Uhr/MEZ).
Neymars Eier-Opfer Coutinho zuckt mit den Schultern und lächelt. „Wir müssen jetzt mental stark sein, total fokussiert“, sagt der nun 26 Jahre alte Fußballer, der in der großen Frage- und Antwortrunde kurz vor dem zweiten Gruppenspiel der Seleção noch viele andere Dinge sagt, die man als Fußballer eben so sagt. Das Spiel gegen Costa Rica sei „ein sehr wichtiges Spiel für Brasilien. Ein großes Spiel.“
Coutinho ganz brav: „Unsere Stärke ist das Kollektiv"
Vor allem ist es ein Spiel, in dem dieser Philippe Coutinho, der wie ein schüchterner Schuljunge daherkommt, einmal mehr aus dem Schatten Neymars heraustreten muss. Neymar sei einer der besten Fußballer dieses Planeten, gibt Coutinho brav zu Protokoll, als er gefragt wird, ob und wie man den brasilianischen Patienten im Spiel gegen Costa Rica möglicherweise ersetzen könne. „Unsere Stärke ist das Kollektiv. Jeder hat Verantwortung“, sagt Diplomat Coutinho. „Mal schießt der Eine ein Tor, mal der Andere.“
Der Andere war zuletzt vor allem er selbst. In der 20. Minute bei Brasiliens Auftakt gegen die Schweiz. Und auch beim WM-Vorbereitungsspiel gegen Russland (3:0), als Coutinho unmittelbar nach Neymars Haarriss im Mittelfuß die Nation beruhigen musste.
Das Lustige an der ganzen Sache: der Neymar-Ersatz, der nun schon häufiger bewiesen hat, dass er weit mehr drauf hat, als nur einen möglichen Ausfall des verletzungs- und eskapadenanfälligen Superstars zu kompensieren, ist in Wahrheit der perfekte Vertreter. In der Nationalmannschaft. Und im Club.
Als Neymar im vergangenen Sommer für die obszöne Summe von 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris wechselte, kam Barça recht schnell auf die Idee, das Geld direkt wieder in die Zauberfüße Coutinhos zu reinvestieren. Nur weil der FC Liverpool zunächst mehr Zicken als erhofft machte, wurde das Projekt Coutinho um ein halbes Jahr verlegt. Im Januar wechselte der 1,72 Meter kleine Mittelfeldriese dann aber doch aus England nach Spanien. 120 Millionen Euro ließ sich der FC Barcelona seine Dienst kosten, durch erfolgsabhängige Zahlungen könnte die Summe sogar auf bis zu 160 Millionen Euro ansteigen. Damit wäre Coutinho der zweitteuerste Spieler der Welt. Natürlich hinter Neymar.
Coutinho hat acht Tore für den FC Barcelona geschossen
Das Geld scheint gut angelegt. In seinen ersten 18 Spielen hat Coutinho acht Tore für den FC Barcelona geschossen. Und Kenner des spanischen Fußballs frohlocken bereits, dass durch den Tausch Neymar/Coutinho die Phalanx der drei Egofußballer mit Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar nun durch Coutinho aufgebrochen wurde.
Ob es nicht sein Ziel sei, bei der Wahl zum besten Fußballer der Welt bald vor Neymar (und Messi und Ronaldo) zu stehen, wurde „o Magico“ (der Magische) nun kurz vor der Abreise der Nationalmannschaft von Sotschi nach St. Petersburg gefragt. „Solche Gedanken sind eigentlich nicht in meinem Kopf drin“, antwortet der Familienvater, der Freundin Aine und Tochter Maria in Russland dabei hat. „Mein Ziel ist es einfach, immer besser zu werden und dabei zu helfen, dass Brasilien Weltmeister werden kann.“
Damit das eintritt, braucht Brasilien auch nicht Neymar oder Coutinho sondern Neymar und Coutinho. Die hartnäckigen Versuche der brasilianischen Journalisten, ihn in Konkurrenz zum PSG-Star zu setzen, umdribbelt Coutinho so elegant wie sonst auch seine Gegenspieler. Wie es ist, Brasiliens Fußballer Nummer eins zu sein, fragt ein Medienvertreter. „Ach, wir haben so viele gute Fußballer“, antwortet Coutinho. Schwiegersohn-Lächeln. Blinzeln. Nicken.
Wenn sich ein Trainer den perfekten Mannschaftsspieler backen könnte, dann würde am Ende wahrscheinlich irgendein Fußballer bei rauskommen, der ziemlich nahe an diesem Coutinho dran ist. An Eiern und Mehl sollte der Versuch jedenfalls nicht scheitern.