Moskau. Bei der WM wird der Videobeweis nur bei klaren Fehlern angewandt. Das könnte Bundesliga-Schiedsrichtern als Vorbild dienen.
In schöner Regelmäßigkeit erscheint ein Lächeln auf den Gesichtern vieler Zuschauer in den russischen WM-Stadien. Freudig wird gehofft, dass es gleich einen Elfmeter geben wird, oder angstvoll gebangt. Tausende Hände formen imaginäre Rechtecke. Niemand brüllt „Ihr macht unser’n Sport kaputt“, wenn mal wieder der Videobeweis zur Anwendung kommt. Aus deutscher Perspektive, wo das erste Bundesligajahr mit der Technik jede Menge Verbitterung hinterließ und das Zutrauen in die Innovation zerbröselte, ist das eine kleine Sensation.
Der Videobeweis funktioniert in Russland ganz hervorragend, und der Thrill, von dem überprüfte Entscheidungen umrankt sind, wird vom Publikum sogar als unterhaltsam empfunden. „So steht es im Lehrbuch, wenn er so eingesetzt wird, macht der Videobeweis Sinn“, sagt der frühere Schweizer Fifa-Schiedsrichter Urs Meier.
Das Erfolgsgeheimnis bei der WM ist simpel
Der Fußballweltverband hat eine Menge richtig gemacht, als die Unparteiischen für die WM geschult wurden. Und das Erfolgsgeheimnis ist simpel. Die Videoassistenten setzen nur den Vorsatz um, der eigentlich von Anfang an oberstes Kriterium bei der Verwendung der Technik sein sollte: Nur glasklare Fehler dürfen korrigiert werden. In allen anderen Fällen bleibt die Tatsachenentscheidung des Gespanns auf dem Rasen bestehen.
Damit ist der Videobeweis zwar nicht vollkommen. Es passieren durchaus Fehler. Im Spiel zwischen Argentinien und Island hätte es einen Elfmeter geben müssen, nachdem Cristian Pavon im Strafraum durch ein Foul von Birkir Saevarsson zu Fall gebracht worden war. Und das 1:1 von Spaniens Diego Costa gegen Portugal, der sich seines Gegenspielers Pepe durch einen Ellenbogenhieb entledigt hatte, war irregulär, wie die TV-Bilder zeigen. „Das war ein klares Foul, eigentlich muss der Videoassistent hier korrigieren“, sagte Portugals Trainer Fernando Santos nach dem 3:3 gegen die Spanier. Allerdings ohne große Verärgerung. Ein Fehler eben, wie der 63-Jährige ihn schon tausendfach erlebt hat.
Exakt an dieser Stelle liegt das Erfolgsgeheimnis der technischen Neuerung beim Weltturnier. Die Anzahl der klaren Fehler wird reduziert, und wenn etwas übersehen wird, ist eben alles wie früher.
Falsche Tatsachenentscheidungen werden immer Teil des Spiels bleiben. Das Foul des Schweizers Steven Zuber vor dem 1:1 gegen Brasilien war so ein Fall. Doch kein einziges Mal haben die Video-Schiedsrichter im bisherigen Turnierverlauf Eingriffe vorgenommen, die wirklich streitbar waren. Sie haben schlicht die Anzahl der klaren Fehler reduziert – und das in einer sehr überschaubaren Zahl von Fällen.
Gary Lineker ist begeistert
„Der Videobeweis funktioniert bis hierhin genau so, wie er soll“, twitterte der frühere englische Torjäger Gary Lineker begeistert, und die Medienabteilung des Weltverbandes erklärte nach einem Drittel der Gruppenphase: „Die Fifa ist sehr zufrieden mit dem bisherigen Einsatz des Videobeweises.“
Immer deutlicher wird vor diesem Hintergrund, wie unangemessen deutsche Schiedsrichter während der zurückliegenden Bundesliga-Saison mit der Technik umgegangen sind. Es ist schleierhaft, wie der mittlerweile abgesetzte Projektleiter Hellmut Krug auf die Idee kommen konnte, auch Grauzonenentscheidungen optimieren zu wollen. Das führte ins Chaos, und das Problem des Übereifers blieb bis zum Saisonende relevant.
Die vielen starken Schiedsrichterleistungen von Afrikanern, Südamerikanern oder Asiaten bei dieser WM nähren nun Zweifel an den deutschen Kollegen. Die DFB-Unparteiischen hielten sich immer für Weltklasse, seit dieser WM ist klar: Auf den Umgang mit der Videotechnik trifft dieses Selbstbild sicher nicht zu.