Moskau. Fünfmal scheiterte ein Titelverteidiger bei einer Fußball-WM bereits nach der Vorrunde. Doch es gibt auch Mut machende Ausnahmen.
Im Winter vor dreieinhalb Jahren ist Joachim Löw von ein paar düsteren Vorahnungen heimgesucht worden. Natürlich kannte der Bundestrainer die vielen Geschichten von global bewunderten Helden, die als amtierende Titelträger zu eine Weltmeisterschaft antraten, die ihre magische Aura des Gipfelbezwingers genossen. Und dann krachend scheiterten. Also sagte Löw damals kurz vor Weihnachten in einem Interview: „Wir müssen uns ein Stück weit neu erfinden, das ist die Kunst nach solch einem Titelgewinn.“ Wobei der Begriff „Kunst“ in diesem Fall eigentlich viel zu klein ist für die Dimension der Herausforderung vor der die Titelverteidiger bei Weltmeisterschaften immer wieder stehen.
Titelverteidiger Argentinien erreichte 1990 trotz Auftaktpleite das Finale
Zwei aufeinander folgende WM-Erfolge sind zuletzt Brasilien geglückt, in einer ganz anderen Zeit, 1958 und 1962. Danach etablierte sich eine Tradition der weltmeisterlichen Untergänge. Mit kleinen Ausnahmen natürlich, Argentinien erreichte 1990 das Finale, nach einem sehr trägen 0:1 gegen Kamerun im Eröffnungsspiel allerdings. Danach schleppte sich das Ensemble um Diego Maradona irgendwie durch die Runden. Auch Brasilien wuchtete sich 1998 als Titelträger erneut bis ins Finale, aber jenseits dieser beiden Beispiele scheiterten die Weltmeister der vergangenen 50 Jahre in erstaunlicher Regelmäßigkeit viel früher als erwartet.
Die überirdischen Spanier zum Beispiel verloren vor vier Jahren ihre erste Partie mit 1:5 gegen die Niederlande und waren nach einem 0:2 gegen Chile früher ausgeschieden als alle anderen Teilnehmer. Nationaltrainer Vicente del Bosque sagte damals schon vor Turnierbeginn, er sehe „in den Augen der Spieler nicht mehr denselben Blick wie vor vier Jahren“. die Helden der großen Ära waren vier Jahre älter, und neue hungrige Leute fanden keinen Raum zur Entfaltung an der Seite der legendären Welt- und Doppeleuropameister.
Ähnliches mag 2010 auch Italiens Trainer Marcelo Lippi gedacht haben, dessen Mannschaft nach zwei kläglichen 1:1 gegen Paraguay und Neuseeland 2:3 gegen die Slowakei verlor und sich als Gruppenletzter auf die Heimreise machen musste. Und als sich die Franzosen sich 2002 als Weltmeister ohne ein einziges WM-Tor ausschieden, resümierte „Der Spiegel“: „Mit der Equipe Tricolore ist es wie mit vielen anderen Systemen, die über einen längeren Zeitraum dominieren. Ihre Protagonisten werden selbstgefällig und lassen keine Einflüsse von außen mehr zu - bis sie davon überrascht werden, dass ihr Modernitätsvorsprung aufgezehrt ist.“
Brasilien kam 2006 beim Sommermärchenturnier nie richtig in Gang
Fünf mal ist der Titelverteidiger bereits nach der Vorrunde ausgeschieden, Italien (1950 und 2010), Brasilien (1966), Frankreich (2002) und Spanien (2014), das ist eigentlich nicht so viel. Dass drei dieser Fälle ins laufende Jahrtausend fallen, und in den vergangenen 16 Jahren mit Brasilien 2006 nur ein Titelverteidiger die Gruppenphase überstand, ist aber ein klarer Trend. Zumal auch die Seleção beim Sommermärchenturnier nie richtig in Gang kam und ermattet im Viertelfinale gegen Frankreich verlor. „Wenn sich Muster wiederholen, muss man tiefer gehen“, sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff am Sonntag, das war ein kluger Satz, der andeutet, dass man sich im deutschen Lager ernsthafte Gedanken über das Phänomen macht. Und vielleicht identifizieren die Erfolgskonstrukteure in den Tagen vor dem Schweden-Spiel tatsächlich ein paar der Ursachen für diesen bisher durch und durch enttäuschenden Fußballsommer. Aber wenn auch der DFB-Tross von der Krankheit der anderen Weltmeister der jüngeren Vergangenheit befallen ist, wird kaum genug Zeit für die erforderlichen Korrekturen bleiben.