Watutinki. Timo Werner hat das Spiel der Nationalelf verändert. Er gibt ihm Tiefe durch Tempo. Wird er sogar einer der Stars bei der Fußball-WM?

Jede WM hat ihre eigene Wahrheit. Leider besitzt diese Wahrheit stets die Eigenschaft, sich so lange von der Weltöffentlichkeit zu verstecken, bis das Turnier beendet ist. Man kann also vor dem ersten WM-Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft an diesem Sonntag gegen Mexiko (17 Uhr/ZDF) nicht wissen, ob die Nationalelf-Version 2018 die Unverschämtheit besitzt, besser zu sein als die Weltmeister-Edition von 2014. Das wird im Moment vielerorts behauptet. Man kann aber durchaus davon ausgehen, dass Deutschland 2018 eine andere Mannschaft ist als vor vier Jahren. Und das liegt vor allem an Timo Werner.

Es ist ja paradox. In der Startelf, die Bundestrainer Joachim Löw nun gegen die impulsiven Mexikaner auf den Rasen schicken wird, werden voraussichtlich sieben Spieler stehen, die schon beim 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal 2014 begannen. Neuer, Boateng, Hummels, Khedira, Kroos, Müller und Özil. Aber weil da nun auch dieser 22 Jahre junge Angreifer aus Leipzig mitmischen darf, hat sich etwas am Stil der eingespielten Mannschaft verändert.

Löw fehlte die fehlende Direktheit vor dem Tor

Bei der WM in Brasilien und danach stand Löws Team im Ruf, eine Elf der Ästheten zu sein. Sie zog im Zweifel den siebten Doppelpass einem herkömmlichen Torschluss vor, wenn es ging. Sie spielte so lange um den Gegner herum, bis dieser sich mit Schwindelgefühlen ergab. Das war die Frosch-im-Topf-Methode: Langsam wurde das Wasser zum Kochen gebracht, bis der Sieg angerichtet war.

Weil sich das als erfolgreich herausstellte, wurde jene von der großen spanischen Ära zwischen 2008 und 2012 inspirierte Ballzirkulation zum großen Stilmittel erhoben. Das war die Wahrheit von 2014. Als es aber danach nicht mehr so köstlich lief bei den Deutschen, in der schwachen EM-Qualifikation und beim Turnier 2016, wurde daraus ein Problem. Löw monierte zwischen 2014 und 2016 immer wieder die fehlende Direktheit seiner Mannschaft zum Tor. Sie kostete ihr vielleicht den EM-Titel vor zwei Jahren.

Seit 2017 gibt es eine Lösung für das Problem. Da wurde Werner mit drei Treffern und zwei Vorlagen Torschützenkönig des Confed Cups. Das ließ in Löw die Überzeugung reifen, dass er einen neuen Ressortleiter für die Abteilung Sturm gefunden hatte, die seit dem Abgang von Miroslav Klose nach dem Triumph von Rio führungslos war. „Timo ist für uns ein sehr, sehr wertvoller Spieler geworden“, sagte Löw am Sonnabend im Moskauer Luschniki-Stadion, wo die Partie gegen Mexiko stattfinden wird.

Werner hat eine beachtliche Torquote

Das liegt zum einen an der beachtlichen Torquote von acht Treffern in 14 Länderspielen. Zum anderen aber daran, dass Werner dem oft auf Breite angelegten deutschen Spiel durch sein Tempo eine Tiefe verleiht, die es vorher nicht hatte. Löw erklärte das so: „Seine wichtigste Fähigkeit ist, dass er große Schnelligkeit mitbringt und einen sehr direkten Zug zum Tor hat. Das sind Werte, die wir in unserem Spiel brauchen“, sagte der 58-Jährige. Werner sei „immer auf dem Sprung in die Tiefe“, habe „unglaublich gute Laufwege“ und deshalb „tut er unserem Spiel gut“, so Löw. Deutschland spielt jetzt weniger spanisch. Es spielt dank des Stürmers mit dem deutschesten Namen im Team nach Thomas Müller wieder ein bisschen mehr deutsch. Während die Mexikaner vor der WM mit einer nicht ganz jugendfreien Party von sich Reden machten, geht Deutschland mit Timo Werner steil.

Werner soll Löws Elf zum Titel schießen. Ob er die großen Erwartungen auch schultern kann, wird Hinweise darauf geben, inwiefern er schon zur Weltklasse zu zählen ist. Werner selbst glaubt, dass die Weltklasse und er sich erst noch annähern müssen: „Wenn man Spieler wie Robert Lewandowski sieht, dann ist bei mir noch Luft nach oben“, sagte er. Besonders beim Lewandowski-Klub FC Bayern werden sie sich dieses Turnier genau angucken.

Werner gilt als Kandidat für die Ressortleiterstelle Sturm bei den Münchnern, die alsbald mal frei werden dürfte. Noch sei er nicht so gut wie Lewandowski, sagte Miroslav Klose dem Kicker, „seine Aktionen sind noch nicht so selbstverständlich.“ Aber: „Er ist jung. Er kann irgendwann in die absolute Weltspitze kommen, weil er diese Dynamik hat.“ Klose gibt Werner jetzt bei der WM als deutscher Stürmertrainer Tipps.

Kimmich über Werner: "Eine absolute Waffe"

Löw achtet darauf, den Druck nicht allzu groß auf Werner werden zu lassen. Er erhoffe sich „eine gute WM“, sagte der Bundestrainer und betonte dabei das „gut“, damit jeder versteht, dass er nicht eigentlich „weltklasse“ meinte. Für den Druck sorgen sowieso andere – manchmal die eigenen Mitspieler. Wie er diesen Timo Werner so einschätze, wurde etwa Joshua Kimmich gefragt. Der Rechtsverteidiger war ja dabei, als Werner eine deutsche Perspektivmannschaft im vergangenen Jahr zum Confed-Cup-Sieg schoss.

„Er ist eine absolute Waffe“, antwortete Kimmich. Der Münchner durchlief fast die gesamte Jugend mit Werner beim VfB Stuttgart. Und da ist ihm eine Besonderheit aufgefallen: „Ich habe noch kein einziges Turnier gespielt, in dem Timo nicht Torschützenkönig wurde“, sagte Kimmich. Er grinste: „Das soll jetzt aber kein Druck für ihn sein.“