Dortmund/Bochum. Borussia Dortmund und den VfL Bochum trennen Welten, aber die Stadien keine 20 Kilometer. Da kann man doch mal laufen. Ein Reisebericht.

Das Ruhrgebiet kann stinken, es kann lärmen, es kann aber auch verzücken wie hier auf der kleinen Anhöhe. Insekten summen, es duftet nach gemähtem Heu, südlich erheben sich die Wittener Berge, östlich kratzen die markanten Dortmunder Gebäude am Himmel: der Florianturm, die Union-Brauerei und natürlich das Stadion, weltbekannt. Durchatmen, wobei, 200 Meter entfernt drängeln sich die Autos auf der A40, direkt neben dem Aussichtspunkt knattert ein Motorrad durch einen Kreisverkehr.

Allgäu kann jeder, das hier ist der Pott; idyllischer wird’s nicht.

Bürogebäude aus dem Katalog

Kurz zuvor, etwas weiter unten, kitzelt die Sonne, deren Aussehen man im Juli schon fast vergessen hatte, das Dach des Signal-Iduna-Parks, den ja eigentlich alle immer noch Westfalenstadion nennen. Ein Mann schiebt einen Kinderwagen, die Imbissbuden sind verriegelt, 80.000 Menschen bewegen sich hier bei Heimspielen durch die Eingangstore, sogar aus dem Ausland kommen sie angereist. Die Borussia ist eine internationale Marke, in dieser Woche hat der Klub einen Umsatz von 515 Millionen Euro verkündet. In Bochum hoffen sie hingegen, bald mal über 100 Millionen Euro zu erwirtschaften.

Beide Vereine trennen Welten, aber ihre Stadien keine 20 Kilometer. An diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) fahren die Dortmunder nun nach Bochum, ein Derby, das seine Faszination auch aus seiner Nähe zieht. Da kann man doch mal laufen. Wirklich? Ja, unbedingt.

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Doch wie lange braucht man wohl? Mal nachhören bei denjenigen, die für beide Klubs gearbeitet haben. Etwa bei Heiko Herrlich (51), stolzer Stürmer des BVB, erfolgloser Trainer des VfL: „Ich tippe auf zweieinhalb Stunden.“ Möglich, natürlich, der Weltrekord im Gehen über 20 Kilometer liegt bei rund einer Stunde und 15 Minuten.

Giovanni Federico (42), früher Mittelfeldspieler in Schwarz-Gelb und Blau-Weiß, tippt auf „sieben bis acht Stunden“. Also bitte, flaniert werden soll nun auch nicht.

Der Spaziergang führt entlang an Orten, die nicht viel gemein haben mit dem Bild, das viele Auswärtige vom Ruhrgebiet haben. Wie die Anhöhe mit Blick auf die Dortmunder Skyline, es geht vorbei an Naturschutzgebieten, an der Technischen Universität, an Bürogebäuden aus dem Einheitskatalog, in denen gegrübelt, gebrainstormt und in Computer getippt wird. Im größten Ballungsraum in Deutschland mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern fährt niemand mehr unter Tage, die Beschäftigungsfelder haben sich verändert, Probleme existieren trotzdem. Bei knapp zehn Prozent liegt die Arbeitslosenquote, über vier Prozentpunkte mehr als in der gesamten Bundesrepublik.

Und es gibt auch die Orte, die nach Ruhrgebiet aussehen, alles wirkt hier, Pardon, liebevoll hingerotzt. Wohnungen stapeln sich aufeinander, werden von brüchigen Häuserfassaden ummantelt. Viel Verkehr, viele Menschen, Kioske, Dönerbuden, Pizzerien. Nur spazieren zu gehen scheint keiner, die wenigen Fußgänger hasten zum Bus, zur Arbeit. Morgens, 10.30 Uhr im Ruhrgebiet, die Leute haben zu tun.

Drei Kinder, drei Mal an der Kasse

Wie die ältere Dame, die ihren Namen und ihr Alter nicht verraten möchte. Ein weißes Tuch hängt um ihren Hals, mühsam kratzt sie Unkraut aus den Pflastersteinen. Sie lebe schon immer in diesem Haus in Dortmund, drei Kinder habe sie großgezogen, drei Tage an der Kasse gearbeitet. „Sie können sich ja wohl denken, dass ich BVB-Fan bin, wenn ich hier aufgewachsen bin.“ Die verpasste Meisterschaft habe geschmerzt, „sie müssen sich halt mehr anstrengen“. Sie lebe gerne in ihrer Heimat, „auch wenn sie sich zum Schlechten verändert hat, hier leben weniger Menschen, die so denken wie wir“. Von diesem Gefühl, dass sie gar nicht näher beschreiben kann, hört man häufiger. Ob nun berechtigt oder nicht.

„Na dann, viel Vergnügen“, sagt die Dame, als sie vom Plan hört, zum Bochumer Stadion zu marschieren, und widmet sich wieder ihrem Unkraut. Na dann, ebenfalls viel Spaß.

Endlich, die Stadtgrenze

Etwas später kommt sie, die Stadtgrenze. „Bochum, Stadtteil Werne“ steht in Schwarz auf einem gelben Schild. Ein kleiner Schritt für den Reporter, ein Sprung für das Durchschnittseinkommen. Rund 32.000 Euro verdienen die Menschen in Dortmund laut dem Statistikamt Nordrhein-Westfalen im Schnitt pro Jahr, die Arbeitslosenquote liegt bei rund elf Prozent. In Bochum sind es 32.809 Euro Durchschnittseinkommen und eine Arbeitslosenquote von knapp unter neun Prozent.

Historiker Dietmar Osses erklärt, dass Bochum zwar schon immer darunter leide, von großen Nachbarn eingegrenzt zu werden. Doch die letzte Zeche in der ehemals größten Bergbaustadt habe schon 1973 geschlossen, früh sei klar gewesen, dass sich die Struktur verändern müsse. Deswegen sei der Wandel teilweise besser gelungen.

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Dortmund definiere sich nie so sehr über den Bergbau wie die Nachbarn, sagt Osses. „Dies sieht man auch daran, dass der Spielertunnel in Bochum wie auf Schalke einem Stollen nachgeahmt ist – beim BVB ist das nicht der Fall.“

Mal rein in den je nach Laufrichtung ersten oder letzten Bochumer Kiosk. Alaa Assaf, 37, hilft hier aus, früher gehörte ihm der Laden. „Da vorne das Haus ist in Bochum, das daneben in Dortmund. Alles etwas verwirrend.“ Hier einkaufen würden die Fans von der einen und der anderen Seite, „es ist besser, wenn sie nicht aufeinandertreffen“, meint Assaf und lacht.

Wieder draußen kündigt ein weiteres Straßenschild an, dass man schon wieder Dortmunder Boden betritt. „Ich glaube, die Straße liegt in Dortmund und die da vorne in Bochum“, meint eine Frau. „Ich fahre hier jeden Tag her, aber ich verstehe es auch nicht.“

Vielleicht sollte man doch einfach alles „Megacity“ nennen.

Flutlichtmasten tauchen auf

Irgendwann tauchen die Flutlichtmasten des Bochumer Stadions auf. Autos brettern über die Castroper Straße, ein dunkler Eingang lockt in eine Spielothek, es gibt ein Massagestudio, eine Reinigung, eine Eisdiele. Viel fehlt nicht mehr, aber kurz davor ist noch nicht am Ziel. Mainz lässt grüßen.

Langsam weht der Wind den Geruch von Rasen herüber, direkt neben dem Ruhrstadion liegen die Trainingsplätze des Klubs. Etwas mehr als viereinhalb Stunden hat der Marsch gedauert. Die Eingangstore sind nicht verschlossen, einige Arbeiter hübschen das Stadion auf, das seine Abnutzungserscheinungen trotzdem nicht verbergen kann. Es geht schöner als im Ruhrgebiet, aber irgendwie fügt sich doch alles ganz gut ineinander.

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