Emmerich. Jupp Tenhagen, eine Legende des VfL Bochum, sagte einst dem großen FC Bayern ab. Seine Heimat blieb immer der Niederrhein.

Um verstehen zu können, wie die Fußballer des Underdogs VfL Bochum in den Siebzigern und Achtzigern zu Legenden wurden, warum sie bis heute als „die Unabsteigbaren“ geadelt werden, lohnt es sich, einer Anekdote von Jupp Tenhagen zu lauschen. Vor einem Bundesligaspiel, er weiß nicht mehr vor welchem, „aber es wird schon wichtig gewesen sein“, fühlte er sich geschwächt, erhöhte Temperatur wies auf einen Infekt hin. „Aber ich wollte unbedingt spielen. Wir waren vor unseren Heimspielen immer im Hotel in Wuppertal, da habe ich dann die Badewanne mit eiskaltem Wasser volllaufen lassen und mich reingelegt. Ich habe das damals keinem erzählt und tatsächlich gespielt. Das war natürlich verantwortungslos, aber es ist gutgegangen.“

Er sagt es ja selbst: Das war hochriskant und nicht besonders schlau, „mit dem Wissensstand von heute würde ich so etwas natürlich nicht mehr machen“. Aber damals waren sie einerseits ahnungslos und andererseits unerschütterlich. Das ewige Außenseiterteam mit Typen wie Ata Lameck, Hermann Gerland, Jupp Kaczor, Heinz-Werner Eggeling kämpfte Jahr für Jahr mit Leidenschaft, mit Zusammenhalt und daher auch mit Erfolg gegen den Sturz in die Zweite Liga an. Und Jupp Tenhagen war der Beste von ihnen.

Zweikampf mit einem Welt- und Europameister: Der Bochumer Jupp Tenhagen (links) schirmt den Ball vor Uli Hoeneß vom FC Bayern ab.
Zweikampf mit einem Welt- und Europameister: Der Bochumer Jupp Tenhagen (links) schirmt den Ball vor Uli Hoeneß vom FC Bayern ab. © imago

Eigentlich heißt er Franz-Josef, aber in der Fußballbranche nennt ihn keiner so. Am Montag wird er 70, und wenn er zurückblickt auf seine Karriere, gönnt er sich ein Lächeln der Gelassenheit: „Ich bin mit dem, was ich erreicht habe, sehr zufrieden. Ich bereue nichts.“

Auch nicht, dem FC Bayern eine Absage erteilt und damit eine internationale Karriere verpasst zu haben? „Ach“, sagt Jupp Tenhagen und winkt ab. „Wir hatten in Bochum eine tolle Zeit. Meine damalige Frau war zu einem Umzug nach München nicht zu bewegen.“ Franz Beckenbauer war 1977 zu Cosmos New York gewechselt, Trainer Dettmar Cramer suchte einen neuen Libero. „Er rief in einer Woche fünfmal an und gab nie auf“, erzählt Jupp Tenhagen. „Aber ich wollte die Familie nicht alleine lassen.“

Jupp Tenhagen: Lob für die VfL-Geschäftsführer

So blieb er in seiner Heimat am Niederrhein. Bis heute lebt der gebürtige Millinger in Haldern, in Emmerich führt er seit Jahren ein Sportgeschäft, bei den Vereinen in der Umgebung leitet er viermal pro Jahr eine Fußballschule – „so halte ich Kontakte, das macht mir Spaß“. Auch im großen Fußball mischt er noch mit: Er gehört dem Vorstand und Aufsichtsrat seines Herzensvereins VfL Bochum an, um dessen Bundesliga-Verbleib er sich natürlich sorgt, den er aber für die Zukunft gerüstet sieht: „Bei dieser Geschäftsführung ist der VfL in guten Händen. Ilja Kaenzig lebt den VfL und hat einen Plan, wie er ihn weiterentwickeln kann. Und Pa­trick Fabian hat die VfL-DNA, er ist aufrichtig und kommuniziert gut.“

Jupp Tenhagen wurde 1977 der erste Nationalspieler des VfL. Dass er nur drei Länderspiele bestritt, war keine Qualitätsfrage. „Es wären bestimmt einige mehr gewesen, wenn ich in Gladbach, in Köln oder bei den Bayern gespielt hätte. Wir Bochumer hatten keine Lobby.“

1977 bei der Nationalmannschaft: Jupp Tenhagen (Mitte) mit dem Schalker Klaus Fischer (links) und dem Kölner Dieter Müller.
1977 bei der Nationalmannschaft: Jupp Tenhagen (Mitte) mit dem Schalker Klaus Fischer (links) und dem Kölner Dieter Müller. © imago

In seinem Sportgeschäft hängt ein altes Nationaltrikot – darauf die Autogramme der Stars von damals. Jupp Tenhagen schwärmt von seinen drei Einsätzen. „Nach meinem Debüt, einem 2:1 gegen Jugoslawien in Belgrad, wurde ich zu Hause mit einem Tambourcorps empfangen.“ Es folgte ein Karriere-Höhepunkt: Während der Südamerika-Reise der Nationalmannschaft wurde der Bochumer beim 1:1 gegen Brasilien eingewechselt – im legendären Maracana von Rio. „Vor 160.000 Zuschauern!“ Dann noch ein 1:1 gegen Wales in Dortmund, das war’s. Von seiner Ausbootung für die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien erfuhr er, als das Aufgebot im ZDF-Sportstudio verkündet wurde. „Das war kein feiner Stil. Ich hätte erwartet, dass Helmut Schön vorher mal anrufen würde.“

Jupp Tenhagen: Bochum, Dortmund und zurück

Jupp Tenhagens Popularität im Ruhrgebiet blieb unangetastet. 1981 wurde er beim VfL zum Retter wider Willen: Nur durch seinen Transfer zu Borussia Dortmund, der die damals hohe Ablösesumme von einer Million Mark einbrachte, bekamen die klammen Bochumer die Lizenz. Er hatte lange gezögert, im Nachhinein tat ihm der Wechsel aber auch gut: „In Dortmund ging es noch professioneller zu. Von der Trainingsgestaltung von Branko Zebec, der leider von seinem Alkoholproblem eingeholt wurde, bin ich immer noch begeistert. Und Reinhard Rauball, damals ein junger Präsident, zählt zu den Persönlichkeiten im Fußball, vor denen ich den größten Respekt habe.“

Als Jupp Tenhagen aber im dritten Jahr lange verletzt war und beim BVB wiederholt die Trainer wechselten, zog es ihn zurück zum VfL. Zwei Jahre später wurde er dort Co-Trainer, schließlich sogar Cheftrainer. Leider ohne Fußballlehrer-Lizenz. Als er mit Rückrundenbeginn den Lehrgang nachholte, fehlte er unter der Woche beim Training, das Co-Trainer Klaus Fischer leitete. Es kam schließlich zur Trennung. Danach trainierte Jupp Tenhagen noch die Zweitligisten Fortuna Köln, SG Wattenscheid 09 und LR Ahlen.

Den runden Geburtstag feiert er im kleinen Kreis, mit Familie und Freunden. Seine 14-jährige Enkelin wird auch dabei sein, sie hat sein Ballgefühl geerbt. Es wird bald Zeit für ein zweites DFB-Trikot im Sportgeschäft: Mailin Tenhagen ist schon U-16-Nationalspielerin. Und, na klar, Opas ganzer Stolz.