Essen. VfL Bochum trifft auf Werder Bremen: Ilja Kaenzig und Marco Bode diskutieren vor dem Treffen der Traditionsklubs über den Einfluss des Geldes.
Wer mit Ilja Kaenzig (49) und Marco Bode (53) diskutiert, landet schnell bei den großen Themen des Fußballs – und vor allem bei der Frage, wie Traditionsklubs im durchkommerzialisierten Geschäft ihren Platz finden können. An diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) treffen zwei dieser Vereine, der VfL Bochum und Werder Bremen, in der Bundesliga aufeinander. Kaenzig, der Sprecher der VfL-Geschäftsführung, und Bode, Werders ehemaliger Aufsichtsrats-Chef, Deutscher Meister mit Bremen und Europameister von 1996, werden genau hinschauen. Ein Gespräch über das Dilemma des Fußballs, 50+1 und das Warten auf den großen Crash.
Der VfL Bochum empfängt Werder Bremen. Wie klingt das für Sie, Herr Bode?
Marco Bode: Nach guter alter Zeit. Der VfL war ein gutes Jahrzehnt nicht in der Bundesliga. Letztes Jahr hat dann Werder einen Abstecher in Liga zwei gemacht. Ich freue mich sehr auf das Spiel. Der VfL hat zwar keinen guten Start erwischt, Bremen einen besseren – aber das heißt gar nichts. Es wird ein Spiel auf Augenhöhe. Die Chancen stehen 50:50.
Ilja Kaenzig: 50:50 wäre für uns ja schon mal schön. In der Realität ist es meist 30:70, den Unterscheid müssen wir dann durch Überperformance kompensieren. Was ich gerne noch anfügen möchte: Bremen ist für mich auch Old-School-Bundesliga - im positiven Sinne. Werder hat immer auch für die Kleinen und für einen ausgeglichenen Wettbewerb gekämpft und ist durch Bodenständigkeit und volksnahen Fußball aufgefallen.
Zwei Traditionsklubs, die aber in den vergangenen Jahren Schwierigkeiten hatten, ihre sportliche Bedeutung wiederzufinden.
Bode: Es ist schon so, dass Werder ein Stück weit den Anschluss verloren hat, nachdem die regelmäßige Teilnahme an der Champions League ausgeblieben ist. Tradition, Identifikation und Fannähe haben allerdings eine größere Bedeutung erlangt. Natürlich gewinnst du nur mit diesen Werten keine Spiele, denn die finanziellen Unterschiede werden immer größer.
Sie haben über die Probleme dieser Vereine ein Buch mit dem Titel „Tradition schießt keine Tore“ verfasst. Was muss sich genau ändern?
Bode: Klubs, die sich normal finanzieren, müssen ihre Ziele breiterdenken. Bislang eint sie die Ziele sportlicher Erfolg auf ihrem jeweiligen Niveau und finanzielle Stabilität. Ich glaube, dass es weichere Ziele gibt, die mit Identifikation zu tun haben, mit sozialer Verantwortung – insbesondere in der Region – , und Werten. Damit müssen sich Klubs wie Werder und der VfL Bochum beschäftigen. Es gibt allerdings nicht den einen richtigen Weg. Wir sollten uns nur nicht mit dem Rattenrennen abfinden.
Kaenzig: Bremen und Bochum können dieses Rennen entschärfen. Wichtig ist, dass wir uns damit auseinandersetzen. Nichtdestotrotz brauchst du als Verein Stabilität, um die weichen Faktoren auszuspielen. Wir bemühen uns nicht umsonst immer wieder um Kontinuität, sonst ist kein Erfolg möglich. Man sieht an den Tabellen, wo das gelingt.
Man hat aber doch schon den Eindruck, dass derzeit – zumindest bei einigen Vereinen – ein Umdenken stattfindet, oder?
Bode: Hier und da gibt es gute Ansätze. Das alte Denken ist aber nicht verschwunden, nach der Pandemie sind viele in alte Muster zurückgefallen. Kontinuität ist das Ziel, aber auch das Ergebnis guter Arbeit. Was dramatisch für kleine Klubs ist: Der Markt zerreißt sie, weil die besten Spieler weggekauft werden, der Trainer andere Ambitionen hat. Beim SC Freiburg – für mich das Positivbeispiel – liegt die Kontinuität am Verein selbst und bei Christian Streich, der sicher auch die Möglichkeit gehabt hätte, bei einem anderen Verein zu arbeiten. Auch von Spielern bräuchte es mal ein Zeichen, dass sie ihrem Klub treu bleiben. Das ist natürlich sehr viel verlangt, weil die Schere auseinander geht.
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Kaenzig: Wir versuchen, zu zeigen, dass Geld nicht das Wichtigste ist. In der Champions League sieht man ja auch, dass noch andere Faktoren eine Rolle spielen, weil einige der reichsten Klubs noch keinen Titel gewonnen haben. Das Problem: Vereinsvertreter handeln oft irrational, was Kontinuität betrifft. Das kommt unbemerkt und schleichend. Es braucht viel Disziplin, Kontrolle, ein Mehr-Augen-Prinzip.
Dennoch lassen sich doch die vielen Absurditäten des Fußballs – immense Gehälter, Ablöse, fehlender Wettbewerb an der Spitze – nicht stoppen, weil gerade die großen Geldgeber und erfolgreichen Klubs gar kein Interesse daran haben.
Kaenzig: Das ist genau die zentrale Frage: Wie sieht der Fußball von morgen aus? Werden die Großen immer reicher? Wollen sie überhaupt gegen uns antreten oder sind wir nur noch Sparringspartner? Es lässt sich beobachten, dass die großen Sponsoren vor allem zu den großen Klubs wollen. Die internationalen Medienerlöse steigen, man hört, dass sogar noch mehr möglich ist. Durch nationale TV-Gelder ist das gar nicht mehr aufzuholen.
Ihre Prognose?
Kaenzig: In Deutschland überlegen wir, wie wir mehr Geld reinholen können – nicht um den VfL Bochum zu stärken, sondern damit unsere Europapokal-Teilnehmer bessere Chancen haben, die dann wiederum noch reicher werden. Das will ich nicht kritisieren. Es würde aber also ganz extreme Lösungen brauchen, um dieses System zu brechen. Wir werden uns dem amerikanischen System zumindest annähern, prophezeie ich. Das bedeutet: In fünf, zehn oder 15 Jahren werden alle irgendwie aufs gleiche Niveau gebracht.
Bode: Es fühlt sich manchmal deprimierend an, dennoch haben wir alle Freude an diesem Sport. Die Korrelation zwischen Geld und Erfolg ist nicht zu übersehen. Wir brauchen möglichst gerechte Regeln durch die Verteilung der Medienerlöse. Ich meine damit nicht Gehaltsobergrenzen wie in Amerika, sondern ein System im Sinne der sozialen Marktwirtschaft: Die Starken müssen etwas für die Gemeinschaft tun.
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Trotzdem: Werder Bremen und andere einst erfolgreiche Klubs werden wahrscheinlich nie wieder Deutscher Meister. Das ist doch nicht der Sinn von Sport.
Kaenzig: Das ist genau das Problem. Ein kleiner Kreis von Mannschaften kann die Champions League gewinnen, und selbst in kleineren nationalen Ligen sehen wir diesen Trend. Am Schluss kann das nur zu einem, nennen wir es kulturellen Crash führen. Früher gab es auch Größenunterschiede, jetzt wird es aber extrem, weil ein Bochumer oder Bremer Sieg in Dortmund schon fast etwas Historisches ist. So ein Zustand hat in allen Sportarten zu Problemen geführt.
Was wäre die Alternative?
Kaenzig: Es bräuchte eine radikale Lösung. Nehmen wir die Diskussion um das Beispiel Super League: Eine Liga, in der nur die den Top-Ligen entrückten Schwergewichte versammelt sind. Das würde zunächst einen Zerfall der Rechtewerte geben, dann aber vielleicht Euphorie durch neue Spannung generieren, wenn plötzlich in einer Bundesliga ohne die Bayern der 1.FC Union Berlin Meister werden könnte.
Bode: Wir stecken tatsächlich in einem Dilemma. Einerseits war ich immer ein Freund der 50+1-Regel und von dem Gedanken der Fan-Beteiligung. Auf der anderen Seite ist die Spreizung der TV-Gelder zwischen den Vereinen in der Premier League, die ausschließlich in Besitz von Investoren sind, am geringsten. Dort hat eine Handvoll Klubs die Chance Meister zu werden. Doch wollen wir in diese Richtung und die Regel aufgeben? Uns muss der Preis dafür bewusst sein. Ich tue mich schwer damit, würde es aber nicht ausschließen.
Herr Bode, Werder Bremen im Besitz eines Öl-Emirats – das klingt noch wie ein Albtraum.
Bode: In meinem Buch gibt es ein Kapitel namens Imagine. Darin wird eine Vision aufgezeichnet, wie Werder 2030 aussehen könnte. Der Fokus liegt auf gesellschaftlicher Verantwortung und der Ausbildung von Spielern. Ein strategischer Partner, der sich dazu bekennt und diese Werte nach vorne stellt, nicht renditeorientiert oder ein superreicher Mäzen ist, wäre ein Ausweg für einen Klub wie Werder – auch wenn das naiv klingen mag. Was mir wichtig ist: In einem sportlichen Wettbewerb müssen die Regeln für alle gleich sein. Man stelle sich das olympische Finale über 110 Meter Hürden vor, aber auf drei Bahnen stehen keine Hürden. Wir haben in den letzten Jahren leider immer wieder sehen können, wie das Uefa-Konzept Financial Fairplay, das ja nun Financial Sustainability heißt, ausgetrickst wird.
VfL-Chef Kaenzig: "Es driftet immer weiter auseinander, es nicht mehr der gleiche Sport."
Kaenzig: Es ist sogar noch investorenfreundlicher geworden. Das zeigt schon, was die Zukunft bringen wird. Wir müssen uns bewusst sein: Die Topklubs und auch der Mittelstand diskutieren neue Vermarktungsmöglichkeiten, wie man wettbewerbsfähiger wird. Es driftet immer weiter auseinander, es nicht mehr der gleiche Sport. Das ist der Lauf der Dinge, den ich emotionslos sehe, welcher aber, wie gesagt, eines Tages zu einer radikalen Reform führen wird. Aktuell wichtig ist, dass wir weiter auf diese Entwicklungen hinweisen, damit wir den schönen Volkssport Fußball nicht irreparabel beschädigen.
Bode: Vielleicht ein tröstlicher Gedanke zum Ende: Der Zufall ist im Fußball wichtiger als wir alle denken, das Schöne ist, dass wir nicht wissen, wie es ausgeht. Daher bin ich auch überzeugt davon, dass in den nächsten drei, vier Jahren jemand den Bayern ein Bein stellen und Meister werden kann.