Bochum. Früher gab es beim VfL Bochum die Herbst-Depression, heute hüpft das ganze Stadion: VfL-Kolumnist Michael Eckardt erklärt die Bochumer Stärken.

Vor nicht allzu langer Zeit schlitterten die Profis des VfL Bochum regelmäßig ins Minus, wenn sich die Blätter verfärbten. Das Blattwerk fiel von den Bäumen, die Darbietungen, Ergebnisse und Ambitionen der Kicker zeitgleich in den Keller. Dort war dann auch nicht selten alsbald die Laune aller Beteiligten zu finden.

  • Viele Jahre hat Michael Eckardt für die WAZ über den VfL Bochum berichtet. Nun hat er etwas Abstand, ist aber im Stadion dabei. Hier ist Eckis Einwurf.
Viele Jahre hat Michael Eckardt für die WAZ über den VfL berichtet. Nun hat er etwas Abstand, ist aber im Stadion dabei.
Viele Jahre hat Michael Eckardt für die WAZ über den VfL berichtet. Nun hat er etwas Abstand, ist aber im Stadion dabei. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Und nun? Hat sich der VfL etwa von der schon fast zur Gewohnheit gewordenen Herbstdepression, die bereits in der Aufstiegssaison deutlich milder ausgefallen war, ganz verabschiedet? Die Entwicklung der Mannschaft in den letzten Wochen deutet darauf hin.

Es ist inzwischen eine Robustheit zu bestaunen, die es ermöglicht wesentlich höher eingeschätzte und deutlich besser dotierte Gegner verdient zu bezwingen. Eintracht Frankfurts Spieler schlagen auf dem Portal transfermarkt.de mit geschätzten 200 Millionen Euro Transferwert zu Buche, der VfL Bochum ist dort bei vergleichsweise bescheidenen 38 Millionen angesiedelt.

VfL Bochum: Thomas Reis hat verinnerlicht, was es in der Bundesliga braucht

Und doch ist das möglich: 2:0 für den Aufsteiger, den „Habenichts“ im Vergleich zur Eintracht, die sich seit 2012 keinen der ungeliebten Ausflüge in die 2. Bundesliga mehr erlaubt und die Teilnahme an der Champions League zum Ende der letzten Saison nur knapp verpasst hat.

Wie aber macht man das? Wie stürzt man den Giganten? Um darauf eine Antwort zu finden, muss man unbedingt den Trainer mit ins Boot holen. Thomas Reis, der einst als VfL-Spieler unter Klaus Toppmöller in dessen Abstiegssaison nicht immer brav und folgsam alle taktischen Anweisungen befolgte, hat nach dem eher durchwachsenen Start rasch verinnerlicht, dass es in der Bundesliga vor allem auf defensive Stabilität und Zweikampfstärke ankommt.

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Reis forciert eine Mischung aus gelegentlichem frühem Pressing, unerbittlicher und unbedingter Zweikampfführung und rasantem Umschaltspiel, wenn der Gegner nach vorne spielen muss und deshalb seine Abwehr entblößt.

Fast jeder Akteur hatte nach dem Frankfurt-Spiel ein Einzellob verdient

Die Basis wird hinten gelegt. Bravourös, wie Geburtstagskind Cristian Gamboa Frankfurts Chefvorbereiter auf dem linken Flügel, Filip Kostic, bekämpfte so lange die Kraft reichte. Stark auch Anthony Losilla, der konsequent die Kreise von Daichi Kamara störte. Dass Danilo Soares inzwischen nicht nur mit feiner Klinge, sondern wenn nötig auch mal mit dem Säbel zu Werke geht, ist genau das, was die Mannschaft braucht, um sich Respekt zu verschaffen und zu behaupten.

Man könnte nach diesem Spiel nun nahezu sämtliche Akteure einzeln durchgehen, sie hätten es verdient. Wichtiger aber ist dieses Fazit: Niemand ist abgefallen, niemand hat locker gelassen oder gar sein Ego über das Kollektiv gestellt. Alle waren fokussiert auf ihre individuelle und gemeinsame Aufgabe. So sehen am glücklichen Ende verdiente Sieger aus. Oder, um es mit Eintracht-Trainer Oliver Glasner aus Frankfurter Sicht zu sagen: „Wir waren am Anfang nicht bereit für das Spiel und fahren verdient als Verlierer nach Hause.“ Der VfL indes, das war nicht zu übersehen, war bereit.

Die kleine Niederlagenserie hat der VfL gut weggesteckt

Was für eine Entwicklung. Von den drei Niederlagen in Folge gegen Köln, Hertha und die Bayern hat sich die Bochumer Mannschaft nicht aus den Schuhen hauen lassen. Sieben Punkte aus den letzten vier Spielen dokumentieren eindrücklich die Lernfähigkeit von Trainer und Team, das auch in unterschiedlichen Formationen funktioniert.

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Thomas Reis, dessen Gemüt offenbar kaum zu erschüttern ist, nimmt gelegentliche Defizite seiner Kicker hin, ohne sie groß zu kommentieren, nach außen zu tragen und sie damit über Gebühr aufzublasen. Mangelt es einem seiner Schützlinge in Training oder Spiel an der nötigen Ernsthaftigkeit, dann spielt halt ein anderer. Reis skandalisiert das nicht, er entscheidet. Aber nicht für immer, sondern nur für den Moment. Ganz außen vor bleiben perspektivisch lediglich die Spieler, die in seinen Augen das grundsätzliche Anforderungsprofil nicht erfüllen.

Nicht nur Danny Blum bekommt im Ruhrstadion Gänsehaut

Deutlich mehr als 17.000 Mitglieder hat der VfL Bochum inzwischen. Der Klub wächst und er wird weiter wachsen, sollten Mannschaft und Trainer auf dem eingeschlagenen Kurs bleiben. Viele der sehr jungen Fans erleben ihren VfL schließlich erstmals in der Bundesliga, sie kennen bislang nur die 2. Liga. Besonders sie müssen doch überwältigt sein von der aktuell fantastischen Atmosphäre im Ruhrstadion. Denn: „Das ganze Stadion hüpft.“

Nicht nur Danny Blum bekommt dabei eine „Gänsehaut“. Und vielleicht wird ja am Mittwochabend wieder gehüpft. Der goldene Oktober wäre perfekt.