Bochum. Der Ex-Schalker Christian Heidel weiß, wie der Bundesliga-Klassenerhalt geht. Vor dem Spiel am Samstag beim VfL Bochum spricht er über die Liga.

Christian Heidel erinnert sich gerne ans Ruhrgebiet. Vor allem an seinen Lieblingsitaliener Trattoria Fine Secolo im Essener Stadtteil Heidhausen, wo er nach den Spielen mit Schalke 04 gerne essen ging. Das Kapitel Schalke ist für den Manager allerdings abschlossen. Der Fokus des 58-Jährigen liegt auf Mainz 05, auf dem Verein, den er in die Bundesliga führte, dort etablierte, und in der vergangenen Saison nach seiner Rückkehr vor dem Abstieg bewahrte. An diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) ist der Sportvorstand mit Mainz zu Gast beim ersten Bundesliga-Heimspiel des VfL Bochum seit dem Aufstieg.

Herr Heidel, der VfL Bochum hofft auf den Klassenerhalt und träumt von einer dauerhaften Rückkehr. Was braucht ein Verein, um sich in der Bundesliga zu etablieren?

Christian Heidel: Den Klassenerhalt einmal schaffen, hat noch wenig mit Etablieren zu tun. Das ist dann geschafft, wenn ein Verein über Jahre in der ersten Liga spielt. Jetzt geht es erstmal darum, die Klasse zu halten. Der VfL war jetzt längere Zeit nicht da. Das ist für alle eine Umstellung. Am Anfang ist die große Euphorie da, dann kommt die Realität des harten Bundesligaalltags Aufsteiger. Und ich glaube, das ist die große Kunst: Dass man da durchgeht und die Rückschläge verkraftet. Wenn man dann die Qualität hat, hat man gute Chancen, in der Bundesliga zu bleiben.

Der VfL plant mit einem Etat von 23 Millionen und zählt damit zu den kleinen Klubs. Wie wichtig ist Geld für den Klassenerhalt?

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Heidel: Dass wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle spielen, ist klar. Aber im ersten Jahr ist Geld nicht das große Problem, weil man mit einer eingespielten Mannschaft in die Bundesliga geht. Bochum hat natürlich den einen oder anderen Abgang, aber das ist normal. Die Verträge wurden in der Zweiten Liga gemacht, auch deshalb sind die finanziellen Mittel erstmal nicht entscheidend. Auf Dauer wird das eher ein Problem: Wenn man gute Spieler mitbringt, erfahren diese, dass an anderen Standorten mehr gezahlt wird. Wir sind nach dem erstmaligen Aufstieg genau dann abgestiegen, als die Verträge ausliefen. Die Spieler haben sich dann neue Klubs gesucht, als sie merkten, dass man in der Bundesliga auch noch mehr verdienen kann.

Sollte sich Bochum Mainz aus dem Aufstiegsjahr 2004 zum Vorbild nehmen?

Heidel: Jeder sollte sich seine eigenen Vorbilder suchen. Unser bester Schachzug war, dass wir uns im Abstiegsjahr 2007 wirtschaftlich und personell so aufgestellt haben, dass wir in der Zweiten Liga eine Hausnummer waren. Damit haben wir das Fundament gelegt für den Wiederaufstieg und sind seit 2009 in der Bundesliga. Man muss immer damit rechnen, dass es auch zurückgehen kann und darf sich wirtschaftlich nicht übernehmen.

Der VfL Bochum feiert die Zweitliga-Meisterschaft und den Aufstieg in die Bundesliga.
Der VfL Bochum feiert die Zweitliga-Meisterschaft und den Aufstieg in die Bundesliga. © dpa | Guido Kirchner

Ist es heute schwieriger für Traditionsvereine, nach oben zu kommen?

Heidel: Da muss man noch einen Unterschied machen zu Vereinen wie beispielsweise jetzt Schalke und Bremen – auch wenn der VfL eine große Geschichte hat. Ich hoffe, dass der Aufstieg im Umfeld des VfL immer noch etwas Besonderes ist und die Erwartungen nicht in die Höhe steigen. Der VfL zählt trotz seiner Historie und seiner tollen Fans deutschlandweit nicht zu den großen Klubs, entsprechend wird die Bundesliga kein Selbstläufer und damit müssen die Menschen im Umfeld umgehen können.

Mainz 05 gehört im 13. Bundesligajahr nicht mehr zu den kleinen Vereinen. Der Unterschied zur Liga-Spitze ist aber dennoch enorm. Wird dieser Spalt zwischen den großen und kleinen Klubs größer?

Heidel: Das ist die nie endende Diskussion. Es deutet wenig darauf hin, dass die Schere kleiner wird. Ich glaube, die Verteilung der Bundesliga-TV-Gelder ist im Großen und Ganzen in Ordnung. Die großen Unterschiede werden durch die Einnahmen aus Europa und Champions League gemacht. Die Klubs, die regelmäßig international spielen mit den Wahnsinns-Einnahmen, werden sich immer weiter absetzen.

Ein oft diskutiertes und rechtlich umstrittenes Mittel für Chancengleichheit ist der Salary Cap. Könnte eine Gehaltsobergrenze den kleinen Klubs helfen?

Heidel: Ich bin eigentlich ein Gegner von Regularien und ein Verfechter des freien Marktes. Ich glaube aber auch, das ist eher ein Thema für den internationalen Fußball, wenn man sieht, was beispielsweise in Paris abläuft. In Deutschland wird in aller Regel sehr vernünftig gewirtschaftet.

Ist die Bundesliga die „vernünftige“ Liga?

Heidel: Im Vergleich zu den anderen hat die Bundesliga noch romantischere Züge. Ob das so bleibt, ist eine andere Frage. Der internationale Fußball muss dafür sorgen, dass der faire Wettbewerb gewahrt wird. Wenn in England oder Italien und Frankreich andere Regeln gelten, ist das nicht möglich.

Was heißt das für die Bundesliga?

Heidel: Wir sollten dafür sorgen, dass wir eine spannende Erste Liga haben. Die Bundesliga bewegt immer noch mehr Menschen als die Champions League unter der Woche. Hier betrifft es 36 Vereine. Wenn wir über die Champions League reden, betrifft es nach einem halben Jahr nur noch ein oder zwei Vereine und der Rest ist ausgeschieden. Erste Priorität ist, dass der nationale Fußball funktioniert. Erst dann kommt der internationale – nicht umgekehrt.

Mainz 05 hat durch einen historischen Schlussspurt den Abstieg verhindert. Die Wende kam nach dem Pokalaus gegen den VfL Bochum, als Sie Vorstand wurden. Konnten Sie sich damals vorstellen, dass sich beide Vereine in der Bundesliga wiedersehen?

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Heidel: Ich war an dem Abend auch im Stadion und habe mir über ganz andere Dinge Gedanken gemacht. Aber ich bin ehrlich: Auch ich konnte mir schwer vorstellen, dass Mainz noch die Klasse hält. Als wir begonnen haben, hatten wir die Relegation im Kopf. Selbst das war bei dem Rückstand eigentlich vermessen.

Wie haben Sie es geschafft, als Vorletzter 32 Punkte in der Rückrunde zu holen?

Heidel: Das habe nicht ich geschafft, sondern das Team. Ich habe mir damals sehr viele Gedanken gemacht und auch Zweifel nach dem Abgang von Rouven Schröder gehabt, weil ich gar nicht so viel verändern wollte. Mir war eines klar: Mit neuen Leuten, die den Verein und das Umfeld nicht kennen, brauchst du gar nicht anfangen. Diese Zeit hatten wir nicht bei nur sechs Punkten. Deshalb habe ich auf Bo Svensson gesetzt. Ich habe schon, als er noch Spieler bei uns war, zu ihm gesagt: Du wirst Trainer. Deshalb habe ich ihm 2014 einen Vier-Jahres-Vertrag gegeben. Für mich gab es nur eine Möglichkeit: Bo Svensson, in Verbindung mit Martin Schmidt als Sportdirektor. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn sie Nein gesagt hätten.

Brachte die Mainzer wieder in die Spur: Trainer Bo Svensson (rechts).
Brachte die Mainzer wieder in die Spur: Trainer Bo Svensson (rechts). © dpa | Torsten Silz

Sie sagen, der Trainer ist mit Abstand die wichtigste Person im Verein. Mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel bei Mainz, Domenico Tedesco auf Schalke und jetzt Svensson haben Sie bei Trainern ein gutes Händchen bewiesen. Sagen Sie uns: Was zeichnet einen guten Trainer aus?

Heidel: Oh je, das müsste eine Sonderseite geben. Ich versuche mich kurz zu fassen: Nach meinem Grundverständnis kann Erfahrung gut sein, muss aber keine Bedingung für den Erfolg sein. Jürgen Klopp wurde durch eine reine Bauchentscheidung von mir Trainer. Er hatte noch keine Mannschaft trainiert und war kein Sensationsfußballer. Trotzdem hat er den ganzen Verein auf den Kopf gestellt. Heute zählt er zusammen mit einem anderen ehemaligen Mainzer zu den besten Trainern der Welt. Das Allerwichtigste ist: Ein Trainer muss intelligent sein. Ich habe noch keinen guten doofen Trainer erlebt, der dauerhaft Erfolg hat. Er muss das Fachwissen haben, das ist natürlich das Wichtigste. Dafür muss er aber nicht die große Erfahrung haben. Soziale und emotionale Intelligenz sind heutzutage viel wichtiger als früher.

Für gute Trainer werden jetzt auch höhere Ablösesumme gezahlt.

Heidel: Und das ist völlig in Ordnung. Ich habe nie verstanden, warum das nicht so war. Warum soll die Ablöse für einen Mittelfeldspieler niedriger sein als für den Chef des Mittelfeldspielers. Vor einigen Jahren wollte Schalke mal Thomas Tuchel von uns wegholen, obwohl er noch einen Vertrag hatte. Ich habe gesagt: Unter 40 Millionen geht der nicht und wurde ungläubig angeschaut. Aber ich war damals schon der Überzeugung, dass wir irgendwann dahinkommen werden, dass für Trainer genauso hohe Ablösesummen gezahlt werden müssen wie für Spieler, weil es für mich einfach Sinn ergibt. Wenn ich einen Trainer weghole, der sportlich fast allem vorsteht, kann es viel schlimmer sein, als wenn ich einen Spieler von zwanzig weghole.

Bo Svensson ist wie Thomas Reis ein früherer Spieler des Vereins. Ist das schon ein Erfolgsrezept?

Heidel: Wenn ein Trainer eine emotionale Bindung zu einem Verein, zu einer Stadt hat, ist das sehr viel wert. Die Akzeptanz in der Stadt ist automatisch größer. Für Bo Svensson ist Mainz etwas Besonderes. Ich kann mir vorstellen, dass das bei Thomas Reis genauso ist. Aber eine Vereinsvergangenheit ist keine Bedingung, dass ein Trainer auch mit diesem Verein Erfolg hat. Es ist ein Pluspunkt.

Unter Svensson gibt es wieder ein Wir-Gefühl. Das zeigte sich auch beim Sieg gegen Vizemeister Leipzig, der trotz Quarantäne zustande kam. Ist Mainz nun auf dem Zenit dieses Gefühls?

Heidel: Ich hoffe nicht, ich finde, es gibt immer Steigerung. Aber was da jetzt zusammenwächst, ist außergewöhnlich. Die jungen Kerle haben sich reingeworfen, als gibt es keinen Morgen. Die anderen in der Quarantäne haben ebenso mitgefiebert in der WhatsApp-Gruppe. Dieser Zusammenhalt ist schon besonders. Wir haben die Qualität in der Breite des Kaders. Und natürlich die Zuschauer, die jetzt endlich wieder da sind. So wie die Atmosphäre am Sonntag im Stadion war, so wäre sie in der gesamten Rückrunde gewesen.

Hofft mit dem VfL Bochum auf den Klassenerhalt: Trainer Thomas Reis.
Hofft mit dem VfL Bochum auf den Klassenerhalt: Trainer Thomas Reis. © dpa | Swen Pförtner

Mainz hat den Klassenerhalt ohne Zuschauer geschafft, Bochum den Aufstieg. War es vielleicht doch gut, dass die Fans nicht dabei waren und Ruhe herrschte?

Heidel: Böse Menschen könnten behaupten, dann ist der Druck nicht groß. Aber da könnten wir jeden Fußballer fragen, warum er Fußball spielt: Um genau dieses Gefühl im vollen Stadion zu haben. Hätten wir Zuschauer gehabt, hätten wir die gleiche Rückrunde gespielt. Zuschauer pushen die Mannschaft. Ich kann mir keinen Fußballer vorstellen, der ohne Zuschauer besser ist.

Wie weit kann es für Mainz denn mit Zuschauern in dieser Saison gehen?

Heidel: Wir haben zunächst immer nur ein Ziel: in der Liga zu bleiben. Der FC Bayern muss andere Ziele haben, sonst bekommt er Probleme. Aber hier in Mainz geht es immer um Weiterentwicklung. Dafür muss man auch zwei, drei Plätze tiefer in der Tabelle akzeptieren, wenn es der Zukunft des Vereins guttut. Unser Ziel ist, den Weg, den wir im Januar begonnen haben, fortzusetzen.