Bochum. Hermann Gerland trägt den VfL Bochum im Herzen. Er spricht über die VfL-Chancen auf den Klassenerhalt, Talente und eine Wette mit Ata Lameck.

Die Klingel läutet, Hildegard Wagner öffnet. Hier, bei seiner 89-jährigen Schwiegermutter, lädt Hermann Gerland zum Interview ein. Das ehemalige Opel-Gelände liegt nicht weit entfernt. Als dort noch Autos zusammengeschraubt wurden, hat Gerland als Teil der „Unabsteigbaren“ beim VfL Bochum verteidigt, später als Trainer Kommandos gebrüllt. 2001 wechselte der heute 67-Jährige zum FC Bayern, formte Jugendspieler, arbeitete als Assistent.

In diesem Sommer endete seine Zeit in München, künftig unterstützt Hermann Gerland Bundestrainer Hansi Flick. Zeit also für ein Gespräch am Gartentisch kurz vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison.

Herr Gerland, der VfL spielt nach elf Jahren wieder erstklassig. Was bedeutet das für Bochum?

Im Garten in Bochum: Hermann Gerland mit Schwiegermutter Hildegard Wagner.
Im Garten in Bochum: Hermann Gerland mit Schwiegermutter Hildegard Wagner. © Buck

Hermann Gerland: Wenn man so lange weg ist aus der Ersten Liga, dann glaubt man fast nicht mehr an eine Rückkehr. Das tut Bochum gut, das tut der Region gut. Als ich hier tätig war, da stellte Opel in Bochum noch Autos her. Jetzt sind viele Firmen weggewandert. Der Verein ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Aber andere Klubs wie Paderborn oder Union Berlin haben auch bewiesen, dass es geht, ohne den ganz großen finanziellen Rückhalt.

Wie haben Sie die Saison verfolgt?

Hermann Gerland: Ich habe mir immer die Ergebnisse angeschaut. Und ich habe wöchentlich mit dem Ata telefoniert.

Sie meinen die Bochumer Vereinslegende Ata Lameck, mit der Sie zusammengespielt haben.

Hermann Gerland: Er war sehr zuversichtlich. Sonst ist er immer skeptisch, diesmal war ich eher zurückhaltend. Deswegen haben wir gewettet. Ich habe gesagt: ,Wenn Bochum aufsteigt, kriegst du von mir zwei Flaschen Whiskey. Wenn sie nicht aufsteigen, kriege ich eine von dir.‘ Und ich habe jetzt gerne gezahlt.

Hermann Gerland: Der VfL Bochum braucht die Zuschauer

Hält der VfL Bochum nun die Liga?

Hermann Gerland: Die Bochumer brauchen die Zuschauer, gerade in Phasen, in denen es nicht so läuft. Hier mussten früher die Bergarbeiter unter Lebensgefahr malochen. Die haben nichts dagegen, wenn man schönen Fußball spielt. Aber die haben was dagegen, wenn man schön spielen will, kanns aber nicht, und nicht alles gibt. Vielleicht war ich deswegen so angesehen. Die Mannschaft muss um jeden Meter kämpfen, dann hat sie eine Chance. Alle in der Stadt wollen, dass der VfL Bochum wieder unabsteigbar wird.

Wie Sie es in der legendären Mannschaft der 1970er-Jahre geschafft haben. Ist das nun schwieriger?

Hermann Gerland: Es ist deutlich schwieriger geworden. Wir waren damals ein verschworener Haufen, wir stammten alle aus der Region. Ich wollte nicht absteigen und dann den Klub verlassen. Ich wollte nicht, dass die Leute sagen: ,Da geht der Absteiger Gerland.‘ Mit dieser Einstellung haben wir es jedes Jahr geschafft.

Ärgert es Sie, jetzt nicht mehr mit dem FC Bayern ein Spiel in Bochum zu erleben?

Hermann Gerland: Ich bin ja freiwillig gegangen. Und jetzt kann ich gucken, ohne angespannt zu sein. Ich habe die Länderspiele zusammen mit Hansi Flick verfolgt. Natürlich wollten wir, dass Deutschland gewinnt. Aber wir hatten keinen Druck.

Hermann Gerland: "Ich mache nicht den Lauten"

Wie groß war Ihr Anteil in München an den vielen Erfolgen?

Hermann Gerland: Ganz gering.

Keine falsche Zurückhaltung. Sie haben einige Stars entdeckt und gefördert.

Hermann Gerland: Aber ich mache nicht den Lauten. Wenn ich oben im Büro der Verantwortlichen war und gesagt habe, der Spieler ist gut, dann war der er gut. Karl-Heinz Rummenigge hat mal gesagt: ,Der Hermann macht entweder den Daumen hoch – oder den Daumen runter. Dazwischen gibt es nichts.‘ Das wurde sehr geschätzt.

Bei wie vielen Spielern haben Sie den Daumen hochgehalten?

Hermann Gerland: Es gab sehr viele, aber das war auch meine Aufgabe. Dankbar bin ich Jupp Heynckes, der hat mich zum FC Bayern geholt. Ich bin damals in Birkenstock und kurzer Hose nach München gefahren. Präsident Fritz Scherer hat gedacht: ,Was ist denn das für einer.‘

Welcher Spieler brachte am meisten Talent mit?

Hermann Gerland: Der beste Spieler war Philipp Lahm.

Warum?

Hermann Gerland: Er hat alles richtig gemacht. Er hat mich so begeistert, das kann man sich nicht vorstellen. Aber keiner wollte ihn verpflichten, er sah aus wie 15. Meine Frau hat mich deswegen gefragt, ob ich mich vielleicht diesmal vertue. Da habe ich gesagt: ,Ich werde Volleyballtrainer, wenn das kein Super-Spieler wird.‘ Und ich sollte recht behalten. Ich habe ihn Felix Magath in Stuttgart empfohlen – und drei Monate später war Lahm der beste Spieler gegen Manchester United.

Hermann Gerland: Kevin-Prince Boateng hätte mehr rausholen können

Woher kommt Ihr Blick?

Hermann Gerland: Das kann ich nicht sagen. Ich beschäftige mich einfach sehr viel mit Fußball, das ist meine Passion. Nach einem Training wusste ich, dass David Alaba Profi werden wird. Ich kann mich auch noch daran erinnern, wie begeistert ich in der Jugend von Kevin Prince-Boateng war, der hätte noch mehr aus seiner Karriere rausholen können. Zuletzt war ich hinter Florian Wirtz her. Ich hätte ihn gerne zum FC Bayern geholt. Und ich hätte ihn auch zur EM mitgenommen.

Deutschland beklagt nach dem EM-Aus Nachwuchsprobleme. Wie sehen die Situation?

Hermann Gerland: Das Interesse, dass der Spieler sich weiterentwickelt, muss in der Jugendarbeit größer sein als das persönliche Interesse, erfolgreich zu sein. So etwas wie Belastungssteuerung habe ich nie gemacht. Bei den Profis muss das natürlich befolgt werden. Aber im Nachwuchs darf die Taktik nicht im Vordergrund stehen, wir müssen ausbilden, wir müssen üben. Das Wichtigste ist das Eins-gegen-Eins. Aber wir erziehen zur Gleichheit. Wenn ich daran denke, was Spieler teilweise bei mir für Mist gebaut haben. Ich habe denen einen verbraten, aber auf der Fahrt nach Hause habe ich gelacht, weil ich ja selbst Quatsch gemacht habe.

Was haben Sie denn angestellt?

Hermann Gerland: Mit 15 Jahren habe ich den Wagen von meiner Mutter in die Garage gebracht. Drei- bis viermal. Dann habe ich zu meinen Kumpels gesagt, kommt jetzt gucken wir mal, wie schnell das Auto fährt. Dann sind wir hier vorne über die L7 gerauscht. Wenn heute einer am Bayern-Campus den Tisch nicht richtig abputzt, dann wird der angemacht. Aber wir wollen listige Spieler haben, das passt nicht.

Hermann Gerland: "Ich war arm"

Wie war Ihre Jugend in Bochum?

Hermann Gerland: Ich war arm. Armut schändet nicht, jetzt weiß ich das. Aber als Kind wusste ich das nicht. Ich habe darunter gelitten.

Hat sich deswegen Ihr Wille im Fußball gebildet?

Hermann Gerland: Das weiß ich nicht. Ich kannte immer keine Gnade, ich wollte gewinnen. Ich bin immer marschiert. Mit 18 Jahren habe ich sofort einen Vertrag vom VfL Bochum erhalten. Ich war besessen, ich habe an nichts anderes gedacht. Ich wollte nicht als Bankkaufmann mit Krawatte in die Bank gehen. Aber ich war auch viel zu kritisch mit mir selbst. Ich habe mich bestraft, wenn mir etwas nicht gelungen ist. Ich hätte jemanden gebraucht, der mich beruhigt hätte. Es war eine Belastung.

Ist die Qualität heute besser?

Hermann Gerland: Manche meinen ja, wir hätten früher den Ball einfetten können und mehr nicht. Aber es soll mal einer gegen Willi Lippens in der guten Zeit antreten. Oder gegen Jupp Heynckes. Oder gegen Roland Sandberg. Bei uns waren die Pfosten eckig, der Platz war gefroren. Die Bälle waren schwer, die Fußballschuhe nicht so gut. Früher musste man einen ummähen, damit überhaupt gepfiffen wird. Heute ist natürlich alles professioneller.