Alicante. Seit drei Jahren arbeitet der Psychologe Thomas Graw mit den Fußballern des VfL Bochum zusammen, hört zu und bietet mentales Training an. In der momentanen sportlichen Situation der Bochumer muss Graw vor allem eins: Aufbauen und aufpassen, dass niemand in Resignation verfällt.

Die Erscheinung ist augenfällig: Fast zwei Meter groß, den Kopf kahl rasiert, auf der Nase eine Intellektuellenbrille. Der lange Schlacks steht bei jedem Training auf dem Platz. Als stiller Beobachter. Thomas Graw ist Psychologe. Seit drei Jahren gehört er zum Funktionsteam des VfL Bochum. Und ist in diesen schwierigen Zeiten beim Bundesligisten ganz besonders gefordert.

Gespräche, Gespräche

Denkt der Laie. „Meine Arbeit ist nicht mehr oder weniger, als wenn die Mannschaft Zwölfter wäre. Sie ist jetzt nur anders”, sagt der 43-Jährige. Mehr Punkte kann er auch nicht herbeischaffen, er kann derzeit nur eins: Viele Gespräche führen, aufbauen und aufpassen, dass niemand in Resignation verfällt. „Fußball ist ein Fehlerspiel”, erklärt er, „und der, der die wenigsten macht, setzt sich letztlich durch.”

Die Couch ist ein Klischee

Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Öffentlichkeit wenig erbaut davon, dass die hochbezahlten Profis sich jetzt auch noch auf die Couch eines Seelenklempners legen. Aber spätestens seit der WM 2006, als Klinsmann Heinz-Dieter Hermann als Teampsychologen verpflichtete, änderte sich das. „Die Couch gibt es schon lange nicht mehr”, sagt Graw mit einem Anflug von Lächeln. „Die Gespräche finden in ganz normaler Atmosphäre statt.” Daheim in Bochum meist auf der Geschäftsstelle, jetzt im Trainingslager auf der Terrasse oder im Frühstücksraum.

"Ich schaue auf die Fehler"

Vor drei Jahren sprach Marcel Koller auf einer Trainertagung den Psychologen Herrmann an, ob er nicht jemanden kenne, der in dieser Funktion beim VfL Bochum tätig werden könnte. Hermann empfahl Graw, seitdem gehört der Diplom-Psychologe in Bochum dazu. Fast bei jeder Trainingseinheit ist er dabei. „Ich schaue auf die Fehler”, meint Graw, denn als Psychologe müsse man nicht unbedingt etwas vom Fußball kennen, „sondern Fehler verstehen.”

Scheitern als Chance

Als stiller Beobachter hält sich Thomas Graw im Training zurück. Foto: WAZ, Joachim Kleine-Büning
Als stiller Beobachter hält sich Thomas Graw im Training zurück. Foto: WAZ, Joachim Kleine-Büning © WAZ

Und dann kommt es auf die Aufarbeitung an. Entsteht der Fehler, weil der Spieler nachlässig ist? Oder unkonzentriert? Oder trifft er in manchen Situationen die falsche Entscheidung? Wobei manche Dinge auch als Normalität erkannt werden müssen. „Nicht jede Aktion kann gelingen. Scheitern gehört dazu”, so Graw. Im Fußball würden viele Dinge automatisiert. Das müsse so sein. Aber auch die Fehler. „Und dann müssen wir schauen, dass wir diesen Automatismus durchbrechen.”

Natürlich sei es immer noch so, dass wichtig ist, was auf dem Platz passiert, „aber da ist auch der Kopf dabei.” Er könne keine seriöse Zahl nennen, wie viel Prozent im Spiel reine Kopfsache sei, „aber die Psyche begleitet jeden.”

Für die miserable Hinrunde des VfL Bochum hat auch der Psychologe nur Erklärungsansätze. „Unsere Fehler wurden immer gleich hart bestraft. Bei anderen Teams war das nicht so gravierend”, nennt Graw einen der möglichen Gründe. „Aber letztlich gehört bei allem auch ein Quäntchen Glück dazu.” Und das habe den Bochumer bisher gefehlt.

Wobei ein Psychologe auch nur ein kleines Rädchen im großen Ganzen sein kann. „Die Alles-Beeinflussung, die gibt es nicht. Manchmal muss man eben akzeptieren, dass es so ist, wie es ist.”

Er glaubt fest an den Klassenerhalt

An den Klassenerhalt glaubt der Psychologe fest. „Ich kann aus meiner Sicht nur sagen, dass es in der Mannschaft stimmt, der Begriff von Teamplayern trifft in Bochum absolut zu.” Auch zwischen den Spielern und dem Trainer gäbe es keine negativen Tendenzen. „Klar, ist der eine oder andere mal unzufrieden, weil er nicht spielt. Aber das muss auch so sein.” Die Unzufriedenheit wirke bei keinem destruktiv.

Für den Psychologen Graw ist in diesen Tagen eins vor allem wichtig: Dass die Spieler Selbstbewusstsein aufbauen und auch nach Nackenschlägen nicht resignieren. „Dann zählt nur eins: Aufstehen, einfach immer wieder aufstehen.”

Eine Fotostrecke aus dem Trainingslager gibt es hier