Bochum. Die Stimmung rund um den FC Schalke 04 ist nach den Unentschieden in Frankfurt und Bukarest abgekühlt. In der Liga weit weg von der Spitzengruppe, in der Königsklasse droht das Aus - Instabilität auf mehreren Ebenen belastet die Königsblauen. Eine Analyse.
In der Bundesliga auf Platz sechs und weit hinter dem Führungstrio, in der Champions League unter Zugzwang: Zwei Unentschieden des FC Schalke 04 innerhalb weniger Tage haben die Stimmung auf Gefriertemperatur gebracht, Nachlässigkeit beim 3:3 in Frankfurt und Einfallslosigkeit beim 0:0 in Bukarest haben für Ärger, Unzufriedenheit und Verunsicherung gesorgt.
Vor allem bei den Fans – denn Spieler und Verantwortliche überpinseln das blasse Bild bisweilen mit Leuchtfarbe und vertrauen dem Prinzip Hoffnung. Im Dezember fallen erste Entscheidungen: am 3. im Pokal gegen Hoffenheim, am 11. in der Königsklasse gegen Basel. Das Bundesliga-Heimspiel am Samstagabend gegen Stuttgart gibt die Richtung vor. Das Problem: Es gibt auf Schalke derzeit zu viele Baustellen.
Baustelle 1: Die Einstellung
Schalke 04 hat in der Bundesliga bereits 26 Gegentore kassiert – mehr als der Tabellenletzte Eintracht Braunschweig. Das Defensivverhalten der gesamten Mannschaft ist zu oft mangelhaft, und das liegt nicht allein an der Abwehr und auch nicht allein an fehlendem Können. Es hat auch etwas mit Haltung zu tun, mit Laufbereitschaft und mit Mannschaftsgeist.
Denn in der Rückwärtsbewegung muss Geschlossenheit gezeigt werden, muss einer dem anderen helfen. Schalke aber verteidigt unter Druck mal unachtsam, mal fahrlässig, mal verängstigt. „Es kann nicht jeder mit Druck und Kritik umgehen, das ist der Grund, warum die Mannschaft zusammenbricht“, behauptet Jermaine Jones und verweist auf zweifelnde junge Spieler. Falsche Selbsteinschätzung ist auch so ein Problem: Der Routinier Jones spielt auf der Schlüsselposition vor der Abwehr, seine vielen Fehler aber sind nicht zu übersehen.
Baustelle 2: Die Torwartfrage
Timo Hildebrand konnte am Dienstag in Bukarest wegen einer Hüftprellung nicht spielen und auch am Donnerstag noch nicht wieder trainieren. Sollte er bis Samstag doch noch wieder fit werden und ihm Trainer Jens Keller weiterhin das Vertrauen schenken, käme dies bei einem Großteil der Fans ganz schlecht an. Denn die fordern massiv Ralf Fährmann – allein schon wegen seines Schalker Stallgeruchs.
Der Beweis, dass Fährmann tatsächlich mehr Sicherheit ausstrahlen kann als Hildebrand, steht noch aus. Manager Horst Heldt hat bereits mit der Suche nach einer alternativen Nummer eins für die nächste Saison begonnen. So viel ist klar: Der Neue müsste unantastbar sein.
Baustelle 3: Die Verletzten
Die Schalker Mannschaft ist nicht homogen genug, um Ausfälle von Leistungsträgern verkraften zu können. Die Verpflichtung von Kevin-Prince Boateng war grundsätzlich ein Glücksgriff: Einen solchen unerschrockenen Anführer benötigt dieses Team dringend. Allerdings nicht in angeschlagenem Zustand wie in Frankfurt. Die Statik in Boatengs Knie bedarf einer ständigen Kontrolle, Boateng fliegt dazu regelmäßig zu einem Spezialisten nach München. Und Trainer Jens Keller muss damit rechnen, wie in Bukarest zu weiteren kurzfristigen Improvisationen gezwungen zu werden.
Auf Klaas-Jan Huntelaars Tore wird Schalke wohl noch bis in die Rückrunde hinein warten müssen – ein besonders schmerzhafter Verlust. Und selbst ein Marco Höger wird sehr vermisst: als Alternative zu den inkonstanten Sechsern Jermaine Jones und Roman Neustädter.
Baustelle 4: Die Finanzen
Aufsichtsrat und Vorstand haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und sich selbst zur Konsolidierung verpflichtet. Diese Entscheidung ist von Vernunft und von Weitsicht geprägt, und sie ist alternativlos. Aber sie beschränkt den Spielraum des Managers auf dem Markt der Möglichkeiten natürlich erheblich.
Nachbesserungen im Winter? Vielleicht – wenn sie nicht zu teuer sind. Auch wenn sich Schalke mit einem Heimsieg gegen Basel für das Achtelfinale der Königsklasse qualifizieren sollte, wird der zuvor nicht eingeplante Gewinn nicht komplett in die Mannschaft investiert. Schalke hofft darauf, dass Papadopoulos stark zurückkehrt, dass Obasi endlich die frühere Hoffenheim-Form erreicht und dem jungen Goretzka ein Leistungssprung wie seinem Altersgenossen Meyer gelingt.
Baustelle 5: Der Trainer
Berti Vogts stellte damals als Bundestrainer entnervt fest: „Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann er!“ In eine ähnlich missliche Lage hat sich Jens Keller manövriert.
Anfangs war es unfair, dass er wegen fehlender Erfahrung und Ausstrahlung medial vorverurteilt wurde. Nach gut einem Jahr aber rumort es auch in der Anhängerschaft, und die Vorwürfe sind nicht haltlos: Schalkes Spiel lässt keine Handschrift erkennen, es ist uninspiriert und unzulänglich, durchschaubar und defizitär. Eine Entwicklung ist nicht zu erkennen, Siege werden durch Kraftakte erzwungen oder sind Resultate individueller Geniestreiche von Spielern wie Boateng, Draxler und Meyer. Wann hat Schalke zuletzt begeisternd gespielt?
Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies nennt den kritischen Umgang mit Jens Keller „albern und unverständlich“. Aber nach der Derby-Niederlage gegen Dortmund rief der Boss persönlich einige Spieler an, um sich zu beschweren. Tönnies wünscht sich nichts sehnlicher als Ruhe und Kontinuität. Das heißt aber nicht, dass er nicht schnell handeln würde, wenn er zu oft sauer wird.