Gelsenkirchen. Nach dem Theater um den Tickethändler Viagogo musste Schalkes Marketing-Vorstand Alexander Jobst „den Kopf frei bekommen“. Jobst spricht nun im Interview über den Vertrag mit Viagogo, Fan-Proteste, Vereins-Pflichten und den Wettbewerb der Spitzenklubs im Profifußball.

Einmal im Jahr geht Alexander Jobst (39) nah bis an die Grenze: Zusammen mit Schulfreunden fährt er mit dem Mountainbike sieben Tage lang über die Alpen. Früher, sagt Jobst, der beim FC Schalke 04 Marketing-Vorstand ist, war er ein richtiger Fan von Lance Armstrong, heute hat er das Livestrong-Armband abgelegt und ist „desillusioniert“ durch das Thema Doping. Dennoch war die Tour über die Alpen auch in diesem Jahr für Jobst wichtig. Er wollte „den Kopf frei bekommen“ nach dem Theater um den Tickethändler Viagogo, das die Kritiker auf Schalke vor allem ihm angelastet haben.

Herr Jobst, haben Fußball-Fans heute die Macht, einen Verein wie Schalke in seinem Tun und Handeln auszubremsen?

Alexander Jobst: Wenn Sie damit auf Viagogo anspielen: Wir haben eingesehen, dass das nicht gepasst hat. Das entsprach sicher dem Wunsch vieler Fans. Aber wir hatten die konsequenten Schritte im Umgang mit dem Unternehmen, die schließlich zu unserer Vertragskündigung geführt haben, schon im Vorfeld der Jahreshauptversammlung festgelegt und sind nicht erst durch die Tumulte darauf gekommen.

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Hat Sie die Wucht des Protests überrascht?

Jobst: Dass ein Sponsoringvertrag zum Thema Ticketing-Zweitmarkt kritisch betrachtet wird, war mir vorher klar. Dass es so stürmisch wird, habe ich unterschätzt – das haben wir alle unterschätzt. Es hat mich zudem betroffen gemacht, dass wir die sachliche Diskussion verloren haben. Daraus habe ich meine Schlüsse gezogen: Ich werde mich mit einigen Kritikern, die zwar Respekt einfordern, diesen aber selbst nicht gewähren, nicht mehr an einen Tisch setzen. Was auf der Jahreshauptversammlung abgelaufen ist, ging zu weit. Allerdings haben wir im Nachgang auch unzählige Briefe von Mitgliedern bekommen, die uns versichert haben: Das war nicht die Schalker Mentalität.

Sie als Marketing-Chef standen besonders in der Kritik…

Jobst: Einmal habe ich wirklich gezuckt, als eine Gruppe von etwa 300 Leuten aufgestanden ist und mir zugerufen hat: Wir sind Schalker und du nicht. Das ist das Schlimmste, was man äußern kann. Sicher, ich bin kein gebürtiger Schalker, aber das muss ich auch nicht sein. Ich identifiziere mich voll und ganz mit diesem Verein, das ist das Wichtigste. Wenn ich mich in den vergangenen Monaten auf Facebook getummelt hätte, dann hätte ich keine Nacht mehr schlafen können. Ich habe mich davon verabschiedet, diese Dinge zu lesen, weil sie unter der Gürtellinie waren. Wenn Sie das aufnehmen, können Sie nicht mehr rational arbeiten.

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Sie waren vor Ihrer Zeit auf Schalke bei der Fifa. Haben Sie zwischendurch mal gedacht: Was habe ich mir mit Schalke angetan?

Jobst: Ganz ehrlich: Nein, weil ich die Herausforderung hier als extrem spannend betrachte und als langfristige Aufgabe sehe. Zudem bin ich ehrgeizig und weiß einzuschätzen, welches Potenzial in Schalke 04 steckt und wie wir in den kommenden Jahren noch erfolgreicher sein können. Ich habe vom Aufsichtsrat den klaren Auftrag, die Ertragskraft und die Vermarktungserlöse des Vereins zu steigern. Und da sind wir mit einer Steigerung von 15 bis 20 Prozent in den vergangenen zwei Jahren auf einem sehr guten Weg. Wir werden im kommenden Jahr Vermarktungserlöse in Höhe von über 70 Millionen Euro erzielen. Damit sind wir in der Bundesliga unter den Top drei. Betrachtet man Faktoren wie Standort sowie Wirtschaftskraft in der Region, dann ist das eine beeindruckende Zahl. Aber…

Jobst: "Wir befinden uns aufgrund der Verstöße von Viagogo in einer klaren Rechtsposition" 

… mit Viagogo sind Sie an die Grenzen der Vermarktung gestoßen?

Jobst: Zur Souveränität gehört auch das Eingeständnis: Wir sind einen Schritt zu weit gegangen. Viagogo passt per se nicht zu unserem Verein. Aber was ich sagen will: Fußball ist heutzutage auch ein Geschäft, in dem man manchmal unpopuläre Schritte gehen muss, um im Wettbewerb mitzuhalten. Und wenn öfter solche internen Störmanöver vorkommen, habe ich Bedenken, wie dieser Verein in Zukunft weiter erfolgreich geführt werden soll. Manch ein Schalker beschäftigt sich mehr mit sich selbst, als den Weg im Wettbewerb zu sehen und konsequent mitzutragen. Das ist extrem gefährlich, und wenn wir da nicht aufpassen, dann laufen wir Gefahr, dass wir im Wettbewerb der Spitzenklubs im Profifußball in den nächsten Jahren hinten dran stehen.

Ist das ein spezielles Problem für Schalke, mit seiner Tradition und der Macht der Mitglieder?

Jobst: Ich sage es mal so: Mancher Kritiker, der ein Problem hat, sieht nur dieses einzige Problem – und nicht den gesamten Kontext, in dem es steht. Wir bekommen teilweise E-Mails von Mitgliedern, in denen dem Vorstand Fristen zur Beantwortung gesetzt werden – da fragt man sich schon, in welcher Tonart Schalker eigentlich miteinander kommunizieren? Da geht es dann um ein Thema, das diesen Einzelnen brennend interessiert, das aber möglicherweise im Gesamtkontext des Vereins eine nachrangige Priorität hat. Für die Einordnung, wie sich ein Sponsoringvertrag oder eine Ticketpreiserhöhung auf den Abbau von Verbindlichkeiten oder auf sportliche Transfergeschäfte auswirkt, gibt es nun einmal Verantwortliche. Und bei Viagogo stand ein Volumen von 1,2 Millionen Euro im Jahr, das Sie nicht so einfach anderweitig erzielen. Ein Verein in der gigantischen Größe wie Schalke 04 braucht klare Strukturen und hat demnach eine Vereinssatzung, an der sich jeder orientieren sollte.

Was ist denn nun konkret schief gelaufen bei Viagogo?

Jobst: Wie bekannt, befinden wir uns derzeit in rechtlicher Diskussion zwischen beiden Parteien, deshalb kann ich an dieser Stelle keine konkreten Details nennen. Nur soviel: Der Vertragspartner hat gegen mehrere vertragliche Regeln verstoßen. Zudem verlangt Viagogo zusätzlich zu den Gebühren noch Mehrwertsteuer. Im Vertrag steht aber, dass keine zusätzlichen Kosten zu Lasten der Fans anfallen dürfen. Es konnte einfach keine Vertrauensbasis aufgebaut werden – das lag aber nicht an uns, sondern an Viagogo.

Lässt sich der Schaden, der für Schalke entstanden ist, bemessen?

Jobst: Wir befinden uns aufgrund der Verstöße von Viagogo in einer klaren Rechtsposition und erwägen, Schadenersatzansprüche zu stellen. Schalke wird keinen monetären Schaden davontragen. Gleichzeitig haben wir, unabhängig vom Ausgang der Schadenersatzfrage, die Aufgabe, uns entgangene Vermarktungserlöse in den nächsten Monaten anderweitig zu kompensieren.

Laut Jobst wird Viagogo Schwierigkeiten haben mit großen Bundesliga-Klubs Verträge abzuschließen 

Viagogo hat sich auch Schritte gegen Schalke vorbehalten.

Jobst: Dem sehen wir sehr gelassen entgegen. Die Verstöße kamen ausschließlich von Viagogo. Insofern sollte die Rechtsposition eindeutig sein.

Und wie groß ist der Image-Schaden für Schalke?

Jobst: Den Image-Schaden, den Schalke 04 erlitten hat, würde ich als geringfügig einstufen. Viagogo wird mit Schalke 04 zum Bundesligastart nicht in Erscheinung treten. Den Reputations- und Imageschaden auf Seiten von Viagogo würde ich viel höher bemessen. Dieses Unternehmen wird auf kurz- und mittelfristige Sicht Schwierigkeiten haben, mit großen Klubs in der Bundesliga noch Verträge abzuschließen. Viagogo hat für mich eine der letzten Chancen verpasst, in Deutschland seriös in einer Partnerschaft aufzutreten.

Wie wollen Sie denn nun künftig mit dem Ticket-Schwarzmarkt umgehen?

Jobst: Das Thema Ticketing ist sehr sensibel, und das werde ich für die Zukunft behutsam im Auge behalten. Wir machen uns gerade Gedanken, wie wir selbst wieder eine eigene Ticketbörse einsetzen können. Das wird in den nächsten Monaten passieren. Wir werden den Fans wieder eine Möglichkeit anbieten, Tickets zu tauschen, ohne dabei einen Profit zu erzielen. Dabei wird es definitiv keinen Aufschlag geben, nur Gebühren für Versand und Bearbeitung.

Kurz nach der Panne mit Viagogo haben Sie mit Gerald Asamoah einen Sympathieträger nach Schalke zurückgeholt. Der Verdacht liegt nahe, dass Sie so etwas korrigieren wollten…

Jobst: Die Rückkehr von Gerald Asamoah war völlig unabhängig von der Geschichte mit Viagogo. Aber sie ist trotzdem ein wichtiges Signal gegenüber den Fans, und sie tut der Außendarstellung des Vereins gut.