Gelsenkirchen. . Am Samstag beginnt für den FC Schalke 04 die Rückrunde mit einem Heimspiel gegen den VfB Stuttgart. Das Team von Trainer Huub Stevens will an seine Leistung der ersten Saisonhälfte anknüpfen und sich weiter in der Tabellenspitze festsetzen. Im Interview spricht Schalkes Coach über seine Saisonziele mit den Köngisblauen, Raul und seine Ausstiegsklausel.
Herr Stevens, als Sie mit dem FC Schalke 04 in dieser Woche unter Tage waren, sind Sie an die Seite gesprungen, als die Kumpel Ihnen eine Meisterschale in die Hand drücken wollten. Wollen Sie kein deutscher Meister werden?
Huub Stevens (lacht): Das war zwar nur ein Spaß, aber den mache ich nicht mit. Denn ich finde, eine Schale muss man sich verdienen. Wenn die Bergleute sich das wünschen, verstehe ich das sehr gut. Wir stehen jedoch nicht auf der ersten Stelle und die Saison ist auch noch nicht vorbei.
Können Sie den Wunsch in dieser Saison schon erfüllen?
Stevens: Nein, ich denke nicht, dass das möglich ist, weil wir eine junge Mannschaft haben, die sich noch entwickeln muss. Wir bewegen uns in die gewünschte Richtung. Darum geht es, dass wir den einen nach dem anderen Schritt machen und nicht zehn Schritte vorwärts schauen, um über eine Meisterschaft zu reden.
Ihr Spieler Klaas-Jan Huntelaar sprach vor kurzem ziemlich offen über den Titel. Ärgert Sie das dann?
Stevens: Natürlich halte ich die Spieler nicht zurück. Wenn sie es hinkriegen und jedes Spiel gewinnen, dann wären wir am Ende höchstwahrscheinlich Meister. Ich glaube aber, dass es schwierig wird.
Zumal der FC Schalke 04 mit der Europa League eine zusätzliche Belastung schultern muss?
Stevens: Das empfinde ich nicht so. Mit der Belastung muss man umgehen können. Ein Profi muss drei Spiele in der Woche absolvieren können und trotzdem frisch sein. Außerdem ist es doch schöner, Spiele zu spielen statt zu trainieren. Zumal, wenn man erfolgreich ist.
Wenn es schwierig ist, die Meisterschaft zu gewinnen - ist es einfacher, die Europa League zu gewinnen?
Stevens: Nochmals, wir sind eine Mannschaft, die in der Entwicklung ist. Wir haben Phasen, in denen spielen wir wirklich hervorragend. Dann haben wir Phasen, in denen es nicht so gut läuft. Und zehn schwache Minuten können in der Bundesliga oder international fatal sein. Das abzustellen, daran arbeiten wir. Aber so weit sind wir noch nicht.
Frage: Ihr Manager Horst Heldt strebt trotzdem das Endspiel der Europa League an. Sie auch?
Stevens: Ich möchte auch gerne in das Finale. Aber wenn du auf dem Weg dorthin zum Beispiel Manchester United als Gegner bekämest, würde es sicherlich nicht einfach. Natürlich ist in zwei Spielen immer eine Chance vorhanden, aber ich bin auch realistisch.
Waren Sie in Ihrer ersten Amtszeit auf Schalke auch schon so realistisch? Es heißt, der Trainer Huub Stevens hätte sich gewandelt.
Stevens: Wenn ich noch immer der Trainer wäre wie vor 15 Jahren, dann wäre das kein Kompliment für mich. Es gibt andere Trainingsmethoden und ich bereite die Spiele auch anders vor als vor 15 Jahren. Als Mensch wirst du ebenfalls erfahrener.
Sie scheinen außerdem gelassener mit den Dingen umzugehen. Oder täuscht der Eindruck?
Stevens: Das sagt man, ja. Aber ich will noch immer gewinnen und hasse es, zu verlieren. Ich habe auch etwas gegen Ungerechtigkeiten. Ich gehe damit vermutlich besser um als vor 15 Jahren, aber das ist ganz normal.
Jermaine Jones zum Beispiel hätten Sie früher nach seinem Foul gegen Marco Reus im Pokal gegen Mönchengladbach unmittelbar zur Rede gestellt?
Stevens (lächelt): Vielleicht habe ich früher direkter und schneller reagiert.Mittlerweile lasse ich etwas auch mal einen Tag liegen und rede dann mit einem Spieler, damit er die Zeit bekommt, selbst darüber nachzudenken. Das Allerbeste ist doch, wenn Spieler ihre Fehler selbst sehen und sie verstehen. So wie Jermaine, der sich bei Marco Reus entschuldigt hat.
Spielte in diesen, ich nenne es mal Reifeprozess, auch die Krankheit Ihrer Frau herein?
Stevens: Auch das prägt einen Menschen. Und einige Sachen sieht man mit mehr Erfahrung eben doch einige Prozente anders als früher. Aber ich bin noch immer begeistert vom Fußballspielen und will gewinnen. Doch es gibt auch andere Wege zum Erfolg. Vielleicht habe ich es durch meine Erfahrung jetzt sogar etwas einfacher als früher.
Wie selbstverständlich war es für Sie, nicht mit zum Europa-League-Spiel nach Haifa zu fliegen, als im Dezember Ihre Mutter schwer erkrankte?
Stevens: Das war überhaupt nicht einfach. Als mein Bruder mich kontaktierte, wusste ich, dass irgendetwas sein musste. Er hätte mich sonst nie so kurz vor der Reise nach Israel am Flughafen angerufen. Erst wollte ich noch mitfliegen, aber nach einem Gespräch mit Horst (Heldt, d. Red.) haben wir uns anders entschieden.
Weil man aus Israel nicht mal eben so schnell nach Hause fahren kann wie aus Gelsenkirchen?
Stevens: Nach dem Heimspiel gegen Werder Bremen bin ich auch wieder nach Sittard gefahren, weil es meiner Mutter nicht gut ging. Und dann hat sich herauskristallisiert, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Daher konnte ich konnte ich unmöglich mit zum Pokalspiel gegen Mönchengladbach fahren.
Ihre Mutter starb zwei Tage nach der Partie.
Stevens: Ja, sie ist friedlich eingeschlafen und so konnten wir sie gut gehen lassen. Natürlich vermissen wir sie. Ich habe z.B. oft mit ihr telefoniert. Aber – so traurig ich über den Tod meiner Mutter bin – das Leben muss weitergehen.
Es klingt banal, aber tritt in so einem Moment der Fußball in den Hintergrund?
Stevens: In so einem Moment ist das Leben wichtiger als der Fußball. Mir hat auch niemand einen Vorwurf gemacht, dass ich nicht mit in Gladbach war.
Hatten Sie das Gefühl sich für Ihre Entscheidung rechtfertigen zu müssen?
Stevens: Nein, ich hatte eben mit anderen Sachen zu tun, die in diesen Tagen einfach wichtiger waren. Außerdem habe ich niemanden im Stich gelassen, weil ich ja während des Spiels Kontakt mit meinem Co-Trainer hatte. Ich war zwar nicht vor Ort, aber doch dabei.
Was Huub Stevens über Ex-Schalke-Trainer Ralf Rangnick denkt
Ihr Vorgänger Ralf Rangnick trat wegen eines Burn-out-Syndroms zurück. Würden Sie einen derart mutigen Schritt auch gehen?
Stevens: Wenn ich die Krankheit spüren würde: Ja! Ich würde es nicht drauf ankommen lassen.
Hätten Sie vor 15 Jahren auch so geantwortet?
Stevens: Das weiß ich nicht. Ich bin nicht in die Situation gekommen und ich wünsche diese Krankheit niemandem. Aber wenn einem so etwas passiert und man erkennt es, finde ich es super, diese Maßnahme zu ergreifen. Ich kann Ralf nur ein großes Kompliment aussprechen.
Wann haben Sie zuletzt Kontakt zu Ralf Rangnick gehabt?
Stevens: Ich habe ihm aus dem Trainingslager in Katar eine SMS geschickt und er hat auch reagiert. Es geht ihm gut.
Sein Pech war Ihr Glück. Wundern Sie sich selbst über Ihre neue Popularität? Sie waren nach dem Engagement in Salzburg doch etwas aus dem Blickfeld geraten.
Stevens: Das finde ich nicht. Ich hatte mehrere Angebote - auch in der Zeit, als ich in Salzburg Trainer war. Aber ich wollte einfach eine Pause einlegen. Und es tat auch gut, mal wieder etwas mehr Zeit für die Familie, für die Enkelkinder zu haben.
Wie sehr musste Horst Heldt Sie zur Rückkehr nach Schalke überreden?
Stevens: Ich hatte mir vorher schon gedacht: Wenn jetzt wieder ein Angebot kommt, könntest du dich damit beschäftigen. Erst hat sich der Hamburger SV gemeldet, dann Horst. Wir sind uns dann innerhalb von zwei Tagen einig geworden, weil ich schon beim ersten Gespräch ein gutes Gefühl hatte und der HSV mich nach meinem Kontakt mit Schalke nicht mehr wollte.
Ist Ihnen von Anfang an bewusst gewesen, dass Schalke den mit Ralf Rangnick eingeschlagenen Weg weitergehen wollte?
Stevens: Ich habe schon in den ersten Gesprächen gefühlt, dass man seine Linie weiter verfolgen wollte. Das tue ich zwangsläufig auf eine andere Art als Ralf. Als Trainer will schließlich nicht jemanden kopieren, sondern man selbst bleiben.
Ihr Vertrag besitzt angeblich eine Ausstiegsklausel zum Ende der Saison.
Stevens: Was in meinem Vertrag steht, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Das geht nur den Verein und mich etwas an. Ich sehe das auch als nicht so wichtig an. Ich habe einen Vertrag für zwei Jahre unterschrieben und den möchte ich gerne erfüllen, weil ich mich hier sehr wohl fühle.
Welche Rolle spielt ein Superstar wie Raul, dessen Vertrag am Ende der Saison ausläuft, in ihren langfristigen Planungen?
Stevens: Die Gespräche mit Raul führe nicht ich, sondern der Verein. Als Trainer kann ich mir bestimmte Sachen wünschen. Aber der Verein muss die sportlichen und wirtschaftlichen Dinge in Einklang bringen. Als Trainer musst du mit den Spielern arbeiten, die dir zur Verfügung stehen.
Welchen Wunsch haben Sie Horst Heldt gegenüber in Bezug auf die Gespräche mit Raul denn geäußert?
Stevens: Sie sagen es richtig: Ich habe mich geäußert, aber darüber werde ich nicht in der Öffentlichkeit reden. Ich kann nur sagen, dass Raul seinen Beitrag geleistet und mit dafür gesorgt hat, dass die Mannschaft erfolgreich ist. Ob er das in der Zukunft ebenfalls machen kann, hängt auch von ihm und seinen Vorstellungen und Planungen ab.
Die aktuell größte Baustelle innerhalb der Mannschaft scheint im defensiven Mittelfeld auf der so genannten 6 zu sein, oder?
Stevens: Natürlich vermissen wir Jermaine Jones. Wir haben einige Spieler, die seine Position spielen können, aber sie können ihn nicht eins zu eins ersetzen. Jeder hat seine eigene Qualität.
Wer kann ihn am Samstag gegen den VfB Stuttgart ersetzen?
Stevens (schmunzelt): Das weiß ich noch nicht. Einer allein wird es nicht schaffen. Das muss die Mannschaft gemeinsam tun. Wir müssen eine bestimmte Balance finden, um wieder erfolgreich zu sein. Darüber werde ich noch mit den Spielern sprechen, denn sie müssen mitentscheiden, sie müssen es ja ausführen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir in der Hinrunde mit 0:3 gegen Stuttgart verloren haben. Aber da war ich ja noch nicht dabei (Stevens lacht). Zum Glück.