Mönchengladbach. . Ein Kind von Traurigkeit war Jermaine Jones nie. Das absichtliche Foul gegen Marco Reus während einer Spielunterbrechung im DFB-Pokalspiel bei Borussia Mönchengladbach ist für den zuletzt hochgelobten Schalker ein Rückfall in die Steinzeit.

Bonames ist, vorsichtig formuliert, nicht gerade Frankfurts Vorzeige-Ortsteil. Am Ben-Gurion-Ring im Frankfurter Norden hat die Kriminalität ein Heimspiel, nächtliche Randale, Schlägereien und Drogendelikte sind in dieser Gegend keine Seltenheit. Wer hier aufwächst, heißt es, kann sich nicht wie ein Gewinner fühlen. Jermaine Jones aber hat es geschafft. Raus aus Bonames, rein in die große Welt, ran ans große Geld.

Der Sohn eines amerikanischen Soldaten und einer deutschen Krankenschwestern hat früh gelernt, sich zu behaupten. Er hat seine Lehren von der Straße auf den Fußball übertragen und den Kampf zu seiner persönlichen fußballerischen Kunstform erhoben. Warum, das erklärte er schon als junger Profi: „Weil ich im Leben nichts anderes gewohnt bin.“

Unverzichtbare Stammkraft im defensiven Mittelfeld

Permanente Rüpelmanieren und Unbeherrschtheit beim Ellbogeneinsatz bringen allerdings einen talentierten Fußballer nicht an die Spitze. Jermaine Jones, 30 Jahre alt, hat auf dem Platz oft genug Verantwortung für sich und andere übernommen, er hat sich durch Verletzungen an Leib und Seele nicht unterkriegen lassen und gilt seit dieser Saison wieder als unverzichtbare Stammkraft im defensiven Mittelfeld des FC Schalke 04. Erste Beobachter hatten schon angenommen, er habe heimlich die Diplomatenschule besucht. Was er sich am Mittwochabend bei der 1:3-Blamage des Titelverteidigers im DFB-Pokal-Achtelfinale bei Borussia Mönchengladbach leistete, war ein Rückfall in die Steinzeit.

Die Gelb-Rote Karte, die er sich in der Schlussminute nach einer Rangelei mit Igor de Camargo einfing, nachdem er in der zehnten Minute Gelb für ein taktisches Foul an Patrick Herrmann gesehen hatte – geschenkt. Für einen Skandal hatte Jones schon in der sechsten Minute gesorgt, als Schiedsrichter Wolfgang Stark gerade nicht hinsah.

Das Spiel ist unterbrochen. Der Gladbacher Marco Reus klemmt den Ball unter den Arm, sein Sturmpartner Mike Hanke steht dabei, der Schalker Raúl will Reus den Ball abnehmen. Da schleicht sich Jones von hinten an die Kleingruppe heran. Er geht links herum, er hat es gezielt auf Reus abgesehen. Er weiß: Der Nationalspieler spielt wegen eines Zehenbruchs mit einem Spezialschuh. Und Jones steigt Reus, das entlarven die Fernsehbilder unmissverständlich, mit voller Absicht von oben mit den Stollen auf den Schuh.

Passiert ist zum Glück nichts, Reus entschied das Spiel mit zwei Treffern und blieb sportlich: „Ich will mich da gar nicht drauf einschießen“, sagte er. „Wenn er meint, er hat das nötig. . .“ Lucien Favre, sein Trainer, wurde deutlicher: „Das ist leider keine Überraschung für mich, das ist typisch Jones“, sagte der für maßvolle Urteile bekannte Schweizer.

Nach dem Spiel verschwand Jermaine Jones zügig aus den Katakomben des Borussia-Parks. Kopfhörer auf, kein Blick zur Seite, ab zum Bus.

Eichkorn schien sich für Jones zu schämen

Trainer Seppo Eichkorn, der den in den Niederlanden bei der kranken Mutter verbliebenen Huub Stevens vertrat, schien sich für Jones zu schämen. „Vielleicht muss ich froh sein, die Szene nicht gesehen zu haben“, sagte er. Manager Horst Heldt hatte sie gesehen und hielt sich mit einem Urteil nicht zurück: „Jermaine spielt immer am Limit und grundsätzlich hart, aber das ist eine Aktion, die er tunlichst vermeiden sollte.“ Heldt wollte aber nicht vorschnell eine vereinsinterne Strafe für Jones verkünden: „Das sollte man nicht aus der Emotion heraus entscheiden, darüber machen wir uns in Ruhe Gedanken.“

Jones dürfte die Tätlichkeit noch teuer zu stehen kommen. Der Kontrollausschuss des DFB hat gleich am Donnerstagvormittag ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Mit einer längeren Sperre für künftige DFB-Pokalspiele ist zu rechnen.

Die erschreckende Entgleisung stoppt auf radikale Weise eine erfreuliche Entwicklung. Jermaine Jones hatte vor zwei Jahren eine ganze Saison wegen einer Schienbeinverletzung verpasst; er wurde anschließend von Felix Magath aussortiert und zu den Blackburn Rovers ausgeliehen; er kam zurück und spielte keine Rolle mehr im Konzept des neuen Trainers Ralf Rangnick, für den er spieltechnisch zu wenig zu bieten hatte. Doch unter dem Pragmatiker Huub Stevens blühte der Draufgänger Jones wieder auf, und Jürgen Klinsmann belohnte ihn mit der Rückkehr in die amerikanische Nationalelf.

Erst am Montag titelte das Fachmagazin Kicker: „Stinkstiefel war mal“ – und die Zeile über der Jones-Story schien ihre Berechtigung zu haben. Seit Mittwochabend ist sie wertlos.