Essen. Zwei legendäre Schalker werden 60 Jahre alt: Erwin und Helmut Kremers, die berühmtesten Zwillinge des deutschen Fußballs.
Der offensive Verteidiger Helmut Kremers und der Linksaußen Erwin Kremers bildeten in den 70-er Jahren ein legendäres Duo beim FC Schalke 04. Die Zwillinge verstanden sich auch auf dem Fußballplatz perfekt. Am Dienstag werden sie 60 Jahre alt. Peter Müller sprach mit ihnen über den Fußball von gestern und heute.
Warum erlebt Schalke 04 derzeit eine dermaßen turbulente Saison?
Erwin Kremers: Die Unruhe entstand, weil die sportliche Abteilung nicht funktioniert hat. Ich glaube, dass Andreas Müller als Manager tatsächlich große Fehler gemacht hat. Es wurde versäumt, kreative Spieler zu holen. Und einige haben ihren Zenit überschritten.
Beneiden Sie die heutige Spielergeneration?
Erwin Kremers: Ja. Was der alles geboten wird – angefangen bei den Stadien.
Helmut Kremers: Man wird ja nicht einmal mehr nass. Die Voraussetzungen sind bestens. Wenn wir verletzt waren, mussten wir uns noch selbst den besten Arzt suchen. Ich habe mich in Kaiserslautern an der Achillessehne operieren lassen und hinterher einen Eimer Sand ans Bein gehängt, um an der Muskulatur zu arbeiten. Niemand hat sich darum gekümmert, wie ich wieder fit werde.
Den Spielern von heute wird oft eine Legionärsmentalität vorgeworfen.
Helmut Kremers: Na ja, wir haben uns auch Vereine ausgesucht, bei denen wir relativ viel Geld verdienen konnten.
Erwin Kremers: Trotzdem sollte es immer noch eine Ehre sein, für einen Verein wie Schalke spielen zu dürfen.
Sie hatten damals Angebote von den Bayern.
Erwin Kremers: Ja, aber wir hatten so viele Freunde in der Schalker Mannschaft, dass wir gar nicht erst verhandelt haben.
Helmut Kremers: Berater gab es ja noch nicht. Wir hatten eine tolle unsere Beziehung zu unserem Verein – aber wir hätten viel mehr erreichen müssen.
Erwin Kremers: Bei den Bayern hätten wir wahrscheinlich je 50 Länderspiele mehr gemacht.
Helmut Kremers: Bei Mönchengladbach auch.
Erwin Kremers: Die Entscheidung für Schalke war ja goldrichtig, aber ich bin bis heute stinksauer darüber, dass wir damals nicht Deutscher Meister geworden sind.
Die Pokalsiegermannschaft von 1972 war sensationell.
Erwin Kremers: Ja, aber es kam damals schon Unruhe durch den Skandal auf. Einige Jungs zitterten davor, vielleicht nie wieder Fußball spielen zu dürfen. Dass wir nicht abgestiegen sind, als sie gesperrt wurden, war der größte Erfolg überhaupt. Das war wirklich Schwerarbeit.
Heutzutage wären die Kremers-Zwillinge Popstars.
Helmut Kremers: Das waren wir damals auch schon. Wir haben ja sogar Schallplatten gemacht, wir waren mit Künstlern befreundet, und in der Bravo standen jede Menge Geschichten über uns.
Diese Single – Das Mädchen meiner Träume – war eine furchtbare Schnulze.
Helmut Kremers: Ja, aber sie stand auf Platz drei der Hitparade. Dabei war das gar nicht meine Musik. Ich höre bis heute lieber Rolling Stones.
Wie kam es dann dazu?
Erwin Kremers: Wir waren zu Gast bei Frank Elstner in dessen Sendung Montagsmaler. Hinterher fragte er uns: Könnt ihr eigentlich auch singen? Und Helmut hat ja gesagt. Als sich später der Vater von Vicky Leandros am Telefon meldete, dachte ich zuerst: Da will mich einer veräppeln.
Helmut Kremers: Das Schlimmste war, dass man irgendwann geglaubt hat, man könnte tatsächlich singen. Dabei war das so ein Käse.
An Ihren fußballerischen Qualitäten hat allerdings niemand gezweifelt. Erwin ist 1972 Europameister geworden, Helmut stand 1974 im WM-Aufgebot.
Helmut Kremers: Ich fühle mich aber nicht als Weltmeister. Das war eine ganz schlimme Zeit für mich.
Warum?
Helmut Kremers: Ich bin dabei erwischt worden, als ich aus dem Trainingslager in Malente ausgebüxt bin. Ich habe dann relativ schnell gemerkt, dass meine Chance auf einen Einsatz bei 0,0 stand. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch, ich hatte es einfach nicht mehr ausgehalten, eingesperrt zu sein. Das war ja damals die Zeit der RAF. Wenn man zur Toilette ging, stand einer mit einem Gewehr daneben.
Heute kümmert sich die Leitung der Nationalmannschaft darum, dass die Profis keinen Lagerkoller bekommen.
Helmut Kremers: Damals hat der DFB uns zu einem Ausflug eingeladen. Zum Legoland! Da bin ich nicht einmal aus dem Bus gestiegen.
Und Sie, Erwin, wurden zur WM nicht eingeladen, weil Sie im letzten Bundesligaspiel vor der WM wegen Schiedsrichterbeleidigung vom Platz flogen.
Erwin Kremers: Heute werden Stürmer von den Schiedsrichtern geschützt, damals wurde ich in Kaiserslautern von der ersten Minute an getreten. Kurz vor Schluss bin ich ausgeflippt. Ich habe den Schiedsrichter allerdings massiv beleidigt.
Angeblich sogar mit ausdrücklicher Wiederholung.
Erwin Kremers: Ja, als er fragte, ob er richtig gehört habe, habe ich gesagt: Und jetzt noch mal für Doofe. . .
Immerhin waren Sie 1972 als Europameister Mitglied der besten deutschen Nationalelf, die es je gab.
Erwin Kremers: In dieser Mannschaft stimmte alles. Helmut Schön brauchte im Grunde gar keine Sitzung zu machen.
Klingt ähnlich wie der Spruch, durch den Sie, Helmut, 1994 zum Schalke-Präsidenten gewählt wurden: Wenn wir früher nach Dortmund gefahren sind, haben wir sie weggehauen, ohne uns umzuziehen.
Helmut Kremers: Man musste sich ja vorbereiten. Die Idee kam übrigens von Erwin.
Erwin Kremers: Er hatte mir vorher die Rede gezeigt. Da habe ich gesagt: Die musst du noch ein bisschen würzen.
Die Präsidentschaft dauerte nur drei Monate.
Helmut Kremers: Ich hatte wirklich das Gefühl, helfen zu können. Aber der Verein war wie gelähmt.
Erwin Kremers: Als ich merkte, was da alles passierte, habe ich zu ihm gesagt: Wenn du da weitermachst, rede ich kein Wort mehr mit dir.
Ihr 60. Geburtstag – ein Tag zum Innehalten, zum Nachdenken?
Erwin Kremers: Ein Tag wie jeder andere. Ich freue mich mehr darauf, dass ich bald Großvater werde.
Helmut Kremers: Ich will keinen Rummel um mich. Ich hasse Geburtstage.
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