Gelsenkirchen. Karel Geraerts soll Schalke 04 wieder in die Spur bringen. Im Interview spricht er über seinen neuen Klub, Belgien und seine Ziele.

Beim Fototermin im nachgebildeten Bergwerkstollen im Bauch der Arena staunt Karel Geraerts, auch wenn der 41-Jährige bereits seit sechs Wochen Trainer des FC Schalke 04 ist. Und auch wenn gerade kein Zuschauer da ist, nicht wie sonst 60.000. „Das ist jedes Mal etwas ganz Besonderes“, sagt Geraerts über die Atmosphäre. „Es gibt mir viel Kraft.“ Im großen Interview spricht er über den Anfang beim FC Schalke 04 und seine Ziele.

Bevor Sie Cheftrainer geworden sind, waren Sie in Belgien TV-Experte, haben sogar Interviews geführt. Wie hat Ihnen die Arbeit als Journalist gefallen?

Karel Geraerts: Es war gut für mich, die andere Seite kennenzulernen – wie Journalisten sprechen und manchmal denken. Manchmal verstehst du als Spieler nicht, warum Texte in eine bestimmte Richtung geschrieben werden. Ich habe als TV-Experte gearbeitet, weil ich Fußball liebe, weil ich es mag, Top-Spiele zu schauen und darüber zu debattieren. Für den Sender habe ich einmal Ivan Perisic in Mailand besucht und ihn interviewt. Ich hatte noch einen guten Draht zu ihm, weil ich beim FC Brügge mit ihm zusammengespielt habe. Er hat fast nie mit Medien gesprochen, außer mit mir.

Karel Geraerts: Über Schalke 04 wird mehr geschrieben

Was ist Ihr erster Eindruck der Medien auf Schalke?

Geraerts: Dass sehr viele Reporter Schalke verfolgen und viel mehr geschrieben wird als bei meinem Ex-Klub Union St. Gilloise. Aber es gefällt mir. Obwohl Fußball sehr populär in Belgien ist, ist das Land nun mal kleiner.

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Schon bei Ihrem Umzug nach Gelsenkirchen haben Sie erste Erfahrungen mit den Schalke-Fans gemacht…

Geraerts: (schmunzelt) Als ich meine Wohnung in der zweiten Etage beziehen wollte, hatten meine Frau und ich das halbe Möbelhaus im Auto. Es gibt in dem Haus aber keinen Aufzug, also habe ich meiner Frau gesagt: Wir müssen da jetzt durch und alles hochtragen. Das haben dann sechs Leute gesehen, die ich gar nicht kannte, und gesagt: Wir helfen euch. Auch der Vermieter hat mitgeholfen. Innerhalb von zehn Minuten war alles in der Wohnung. Das gab mir ein gutes Gefühl. Alle hier sind hilfsbereit, dafür bin ich sehr dankbar. Die Helfer aus der Nachbarschaft werde ich alle noch einladen.

Sie sind seit sechs Wochen Schalke-Trainer. Wie würden Sie diese Zeit beschreiben?

Geraerts: Sie sagen sechs Wochen – für mich fühlt sich das nicht so lang an. Das ist für mich ein gutes Zeichen. Ich habe mir ganz am Anfang das Spiel gegen Hertha BSC angeschaut, da habe ich die Nervosität und den Druck gespürt, nachdem der Trainer gewechselt worden war. Ich wollte meine positive Energie in den Klub bringen. Und wir sind auf einem guten Weg.

Stolz, Schalke-Trainer zu sein: Karel Geraerts.
Stolz, Schalke-Trainer zu sein: Karel Geraerts. © Gelsenkirchen | Christoph Wojtyczka

Was hat Sie an Schalke am meisten überrascht?

Geraerts: (überlegt) Ich war wirklich gut vorbereitet. Auch wenn ich vorher schon viele unglaubliche Geschichten gehört hatte, haben mich die Fans dennoch positiv überrascht. Sie reisen wirklich überall hin und das sehr zahlreich. Als wir mein erstes Spiel in Karlsruhe verloren haben, waren sie nicht glücklich, was ich verstanden habe. Ihre Botschaft an uns fand ich gut. Sie haben nicht gepfiffen, sie haben gesagt: Wir wollen nur sehen, dass ihr kämpft. Das ist alles. Das verlange ich auch von den Spielern: Sie sollen auf jeden Fall bis zur letzten Sekunde kämpfen.

Haben Sie sich schon an die Atmosphäre mit 60.000 Zuschauern gewöhnt?

Geraerts: Nein, jedes Mal ist es ganz besonders – und es muss immer etwas Besonderes bleiben. Es gibt mir viel Kraft.

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Ist die Fußball-Atmosphäre in Deutschland und speziell im Ruhrgebiet so anders als zum Beispiel in St. Gilloise?

Geraerts: Es gibt einen großen Unterschied in der Anzahl der Fans, hier kommen sieben Mal so viele. In St. Gilloise war es etwas anders: Dort haben die Fans unabhängig vom Ergebnis gefeiert, auch mit Fans des Gegners haben sie ihr Bier in den Bars vor dem Stadion getrunken. Das Stadion ist Fußball pur, sehr oldschool, auch Gegner haben dort gern gespielt. Wenn Schalke verliert, ist die ganze Stadt gefühlt zwei Tage lang traurig. Da feiert keiner. Diese Einstellung passt zu mir: Ich liebe es zu gewinnen und hasse es zu verlieren.

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Sie haben mit St. Gilloise auch deshalb das Europa-League-Viertelfinale erreicht, weil Sie sehr datenbasiert gearbeitet haben, wenn es um Zugänge ging – Sie waren erfolgreicher als viele andere Vereine in Europa. Wie hat das funktioniert?

Geraerts: Für die Transferpolitik waren die Daten sehr wichtig: Mögliche neue Spieler wurden erst einmal mit Blick auf gewisse Daten gecheckt. Wenn die Daten nicht passten, wurde der Spieler nicht weiter verfolgt. Wenn doch, folgte erst dann ein persönlicher Eindruck des Spielers im Stadion, anschließend der finanzielle Teil und zum Schluss ein Gespräch mit dem Trainer.

Werden Sie Ihre Erfahrungen in das Winter-Transferfenster einfließen lassen? Sie spielen dort eine große Rolle neben André Hechelmann.

Geraerts: Ich spreche jeden Tag mit André, aber mein Fokus liegt aktuell nur auf der Mannschaft und den Spielern, die bei uns sind.

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    Sie werden aber schon Spielerprofile oder Namen für die Transferperiode im Kopf haben.

    Geraerts: Natürlich analysieren wir, was ich über den Kader und die Spieler denke. Mein Fokus ist klar: Wir haben noch vier Spiele bis zum Winter, mein Job ist es zu trainieren und die Mannschaft auf diese Begegnungen vorzubereiten. Bis dahin stehe ich mit André zu den Planungen für Januar im Austausch. In der Winterpause werden wir dann die bis dahin erarbeiteten Pläne priorisieren. Bis dahin kümmert sich vor allem André um die Erarbeitung der Spielerprofile.

    Auf der rechten Abwehrseite hat Schalke Probleme. Cedric Brunner war lange verletzt, Henning Matriciani zuletzt formschwach.

    Geraerts: Ich habe mit André über alle Positionen gesprochen, wir wollen den Kader besser machen. Manchmal sind auf einmal tolle Spieler für Positionen verfügbar, auf denen du eigentlich gut aufgestellt bist.

    Matriciani und auch Bryan Lasme sind aktuell besonders umstritten.

    Geraerts: Henning gibt sein Bestes und ist wichtig für das Team. Von der ganzen Mannschaft muss offensiv noch mehr kommen. Ich bin überzeugt davon, dass wir – und damit meine ich nicht nur Henning – uns verbessern werden. Bryan hat zuletzt unglücklich gespielt, das stimmt. Aber ich sehe einen Spieler, der unbedingt besser werden will und ein positiver Typ ist. Vielleicht sieht er manchmal so aus, als sei er gar nicht interessiert an allem – aber das Gegenteil ist der Fall. Er kommt in mein Büro und fragt, ob wir zusammen sein Spiel analysieren können. Wir arbeiten zusammen, zeigen Videos. Eines Tages muss es klick bei ihm machen. Mit Boniface hatte ich in St. Gilloise dieselbe Situation: Mit ihm saß ich in den ersten zwei, drei Monaten zweimal pro Woche zusammen, wir hatten eine gute Kommunikation. So mache ich das mit Bryan und auch mit anderen Spielern. Es ist zu einfach, nur zu trainieren und dann direkt nach Hause zu fahren. Wir müssen die Einheiten analysieren und individuell mit den Spielern zu trainieren. Nur so können wir erfolgreich sein.

    Bryan Lasme (l.) kommt auf Schalke noch nicht ins Rollen.
    Bryan Lasme (l.) kommt auf Schalke noch nicht ins Rollen. © Ralf Ibing /firo Sportphoto | Ralf Ibing

    Warum haben Sie Rechtsverteidiger Steven van der Sloot aus der U23 noch nicht befördert?

    Geraerts: Noch einmal: Es geht nicht um einzelne Positionen, sondern wie wir uns als Team verbessern. Ich sehe nicht, dass Henning ein Problem ist, sondern wir ihn als Team besser unterstützen müssen. Ich vertraue ihm. Steven habe ich in unserem Testspiel gegen Eindhoven gesehen, war glücklich über seine Leistung. Nicht mehr, nicht weniger.

    Sie waren im Europa-League-Viertelfinale, nun ist die Spielerqualität schlechter, häufig misslingt bereits die Ballannahme – und sie verlieren mit Schalke 1:2 gegen Elversberg. Ist dies mit Ihren Ambitionen als Trainer zu vereinbaren?

    Geraerts: Jetzt werden Sie zu hart. Wir haben davor gegen Hannover und in Nürnberg gewonnen. Schalke ist ein riesiger Verein, zu dem ich mit Zielen gekommen bin. Ich möchte mit dem Verein Schritte nach vorn machen. Um erfolgreich zu sein, nehme ich einiges auf mich: Ich wohne als Familienmensch jetzt hier, weit entfernt von meinen Kindern in Belgien. Schon deshalb verlange ich diesen Erfolgshunger von jedem Spieler und jedem Mitarbeiter des Vereins.

    Was sind denn Ihre Ziele als Trainer?

    Geraerts: Ich will so weit nach oben wie möglich kommen. Meine Überzeugung ist: Wenn du hart arbeitest, an dich glaubst und Respekt vor allen Menschen hast, kannst du das erreichen.

    Für Schalke gilt: Wer es hier schafft, kann es überall schaffen

    Geraerts: Das weiß ich. Auch deshalb bin ich gekommen. Und ich glaube daran, dass ich es zusammen mit der Mannschaft schaffen kann.

    Schalke-Trainer Karel Geraerts (r.) im Gespräch mit (v. l.) Andreas Ernst und Robin Haack.
    Schalke-Trainer Karel Geraerts (r.) im Gespräch mit (v. l.) Andreas Ernst und Robin Haack. © Gelsenkirchen | Christoph Wojtyczka

    Gab es in Ihren ersten Wochen auf Schalke schon Momente, in denen Sie gezweifelt und sich gefragt haben, warum Sie diesen Job angenommen haben?

    Geraerts: Ihre Frage ist mir zu negativ.

    Aber ein Leben als Trainer von Schalke 04 ist hart. Das zeigen doch schon die vielen Trainerwechsel in den vergangenen Jahren.

    Geraerts: Gerade in Krisenzeiten musst du den Kopf oben halten, stolz sein. Ich bin sehr stolz darauf, Cheftrainer von Schalke 04 zu sein. Vor zwei Wochen waren viele belgische Journalisten hier in der Arena. Ihnen habe ich gesagt: Ich darf hier Cheftrainer sein, schaut euch hier mal um. Das ist top. Auch wenn wir verlieren, bin ich stolz, Trainer des FC Schalke 04 zu sein. Ich will, dass jeder stolz darauf ist, und das auf dem Spielfeld zeigt. Sich selbst zu pushen, ist Teil des Fußballs. Ja, es gibt Druck hier – aber das ist doch normal, wenn du nach vorne kommen willst. Mich motiviert dieser Druck. Ich brauche das. Es ist, wie Sie gesagt haben: Schaffst du es auf Schalke, schaffst du es überall. Das ist eine tolle Herausforderung.

    Sie haben in den Trainingseinheiten ein Punktesystem eingeführt. Nach jedem Spiel gibt es für die Siegermannschaft Punkte. Was ist Ihre Idee dahinter?

    Geraerts: Mir ist es wichtig, dass die Spieler gewinnen wollen, auch wenn wir trainieren oder Freundschaftsspiele haben. Es darf nie die Haltung entstehen, dass es in diesen Situationen egal ist. Diese zwei, drei, vier Prozentpunkte können den Unterschied ausmachen.

    Dass Sie auf Schalke sind, hat auch mit Youri Mulder zu tun, der Ex-Profi sitzt im Aufsichtsrat und hat sich für Sie stark gemacht. Kannten Sie ihn persönlich?

    Geraerts: Ich habe ihn im Rahmen einer TV-Sendung kennengelernt und mit ihm gesprochen. Er verfolgt den belgischen Fußball, ist ein berühmter, und sehr anerkannter Fußball-Experte im Fernsehen.

    Wie ist es mit Huub Stevens, Schalkes Jahrhunderttrainer? Sie haben etwas mit ihm gemeinsam – Sie kommen aus der Provinz Limburg, er aus den Niederlanden, Sie aus Belgien. Eine Arbeiterregion.

    Geraerts: (lacht) Wir Limburger sind eine große Familie.

    Huub Stevens zu sehen, Rudi Assauer daneben mit der großen Zigarre, das hat mich immer zum Lächeln gebracht.
    Karel Geraerts über seine Erinnerungen an Schalke 04

    Sind Sie ihm mal begegnet?

    Geraerts: Nein. Als ich jung war, habe ich mich für Schalke interessiert – weil Emile Mpenza hier gespielt hat, Marc Wilmots, auch weitere belgische Spieler. Huub Stevens zu sehen, Rudi Assauer daneben mit der großen Zigarre, das hat mich immer zum Lächeln gebracht.

    Die Schalke-Fans sehnen sich bei jedem Trainer danach, dass er ein neuer Huub Stevens wird, der länger als nur ein paar Monate bleibt.

    Geraerts: Das verstehe ich total. In sechs, sieben Monaten kannst du nicht alles verändern. Es hängt natürlich von den Ergebnissen ab, aber ich habe ein sehr gutes Gefühl bei diesem Klub. Ich habe viel gemeinsam mit André Hechelmann: wie wir Fußball und unsere Mannschaft sehen wollen, wie die Struktur sein soll und der Staff um das Team herum.

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    Wie ist Ihr Kontakt zur Knappenschmiede – haben Sie schon mit Norbert Elgert gesprochen?

    Geraerts: Bisher noch nicht. Wichtig ist für mich zunächst, die Spieler der Knappenschmiede einmal selbst zu sehen. Ich hole lieber Talente aus dem eigenen Nachwuchs zu den Profis als Spieler von anderen Klubs zu kaufen. Die besten jungen Spieler will ich in unserem Kader haben, damit sie jeden Tag mit den Profis trainieren. So können sie den letzten Schritt zum Profi gehen.

    Schalke-Trainer Karel Geraerts lobt S04-Talente

    Viele Schalke-Fans lechzen nach Talenten aus der Knappenschmiede bei den Profis.

    Geraerts: Wir haben mit Keke Topp und Assan Ouédraogo zwei Beispiele für die sehr gute Arbeit in der Knappenschmiede.

    Schalke ist aktuell auf dem 16. Platz. Schauen Sie nach vorne oder nach hinten in der Tabelle?

    Geraerts: In diesem Moment ist es nicht wichtig, auf die Tabelle zu schauen. Wir müssen immer nur an das nächste Spiel denken – und das ist aktuell Düsseldorf am Samstag. Das sage ich auch so den Spielern. Je häufiger wir gewinnen, desto besser werden wir spielen.

    Schalke-Trainer Karel Geraerts: Ziel ist die Bundesliga

    Ihr Vertrag gilt bis 2025. Wo sehen Sie Schalke im Sommer 2025?

    Geraerts: Das Ziel ist es, dass wir dann in der Bundesliga sind. Nun müssen wir erst einmal den Klub stabilisieren, das geht mit kleinen Schritten. Das Potenzial ist groß, es zu heben ist unsere Aufgabe.