Foxborough. Malick Thiaw will sich beim DFB-Team für einen EM-Platz empfehlen. Im Interview spricht er auch über seinen Ex-Klub Schalke und Finnland.
Malick Thiaw schlendert in Badeschlappen durch eine noble Hotellobby zum Interviewtermin. Er trägt ein weinrotes Shirt mit DFB-Logo auf der Brust. Aus dem Talent, das vor wenigen Monaten noch beim FC Schalke 04 unter Vertrag stand, ist ein Nationalspieler geworden, der für die AC Mailand schon im Halbfinale der Champions League auf dem Rasen stand. Am Samstagabend (21 Uhr/RTL) will sich der 22-jährige Innenverteidiger im Testspiel in Hartford gegen die USA für einen Platz im EM-Kader empfehlen. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Ein Gespräch über einen bemerkenswerten Aufstieg.
Warum sind Sie eigentlich nicht Eishockey-Spieler geworden, Herr Thiaw?
Malick Thiaw: Gute Frage!
Wenn man bei Wikipedia nach Oulu sucht, der Geburtsstadt Ihrer Mutter in Finnland, dann stehen unter den berühmten Söhnen und Töchter der Stadt ja fast nur Eishockey-Profis. Da lag diese Laufbahn doch nahe.
Thiaw: Als Kind war ich tatsächlich sehr daran interessiert. Ich war oft bei meiner Oma in Finnland zu Besuch, da lernst du früh Schlittschuhlaufen. Direkt nebenan, vielleicht eine Minute zu Fuß entfernt, ist ein riesiger Eishockeyplatz unter freiem Himmel. Dort kamen alle Jungs in meinem Alter zusammen. Wir waren fünf oder sechs Jahre alt. Ich würde behaupten, dass ich wirklich gut im Laufen war, Eishockey hatte ich da allerdings noch nicht ausprobiert. Als ich nach den Ferien nach Deutschland zurückkam, wollte ich mich hier im Verein anmelden. Zwei Tage vor dem Training hat mein bester Freund gesagt: Komm doch mal mit zum TV Kalkum-Wittlaer. Und dann bin ich beim Fußball geblieben.
Ex-Schalker Thiaw will bei AC Mailand und für Deutschland überzeugen
Zum Glück für Sie und Ihre Fußball-Karriere. Jetzt befinden Sie sich schließlich mit der deutschen Nationalmannschaft auf USA-Reise. Nach Ihrem starken Debüt im Juni haben Sie selbstbewusst gesagt, dass es Ihr Ziel ist, sich nun auch dort festzuspielen – auch mit Hinblick auf die Europameisterschaft.
Thiaw: Dabei bleibe ich auf jeden Fall. Ich versuche, mich bei meinem Verein AC Mailand zu beweisen, und auch bei der Nationalelf meine beste Leistung zu zeigen. Für uns als Mannschaft ist es wichtig, hier gegen die USA und Mexiko gut zu spielen und Ergebnisse einzufahren. Ich hoffe, dass ich viel Einsatzzeit bekomme.
Beeinflusst die Rückkehr von Mats Hummels in die Nationalelf als neuer Konkurrent Ihre Stammplatzambitionen?
Thiaw: Ich freue mich, dass er wieder hier ist. Er hat bei Borussia Dortmund gute Leistungen gezeigt. Wir mussten nach dem Champions-League-Spiel in Dortmund beide zur Dopingprobe. Da haben wir miteinander geredet. Er hat einen offenen, netten Eindruck gemacht.
Wie erleben Sie den neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann?
Thiaw: Als sehr sympathisch, sehr zielstrebig, sehr offen. Er sagt klar seine Meinung und macht deutlich, was er von uns verlangt.
Wer kleidet sich denn besser: Nagelsmann oder Paolo Maldini?
Thiaw: (lacht) Julian habe ich hier bislang vor allem im Trainingsanzug gesehen. Maldini war ja auch kein Trainer, sondern Technischer Direktor bei uns in Mailand. Maldini hat schon Klasse.
Maldini, ehemaliger Milan-Verteidiger, Rekordspieler, auf und neben dem Platz elegant, musste mittlerweile gehen. Aber er hat Sie im vergangenen Sommer per Videotelefonat angerufen und von einem Vereinswechsel überzeugt. Was ist das für ein Gefühl?
Thiaw: Das war schon krass. So fühlt, glaube ich, jeder Abwehrspieler – egal, auf welchem Niveau. So eine Legende vor sich zu haben und mit ihm zu reden, ist besonders. Vor allem, wenn sie dann noch Interesse an dir bekundet.
Thiaw über seinen Wechsel von Schalke 04 zur AC Mailand
Erzählen Sie doch mal von Ihrem letzten Jahr. Sie sind vom FC Schalke 04 nach Mailand gewechselt. Während ihr Jugendklub abgestiegen ist, haben Sie sich bei Milan in die erste Elf gespielt, standen im Champions-League-Halbfinale und feierten Ihr Debüt in der Nationalmannschaft.
Thiaw: Es war unglaublich, wie schnell alles gegangen ist. Ich kam nach Mailand, bin geduldig geblieben und habe dann meine Chance bekommen und genutzt.
Bei der AC Mailand. Das ist nicht irgendein Klub.
Thiaw: Auf jeden Fall. Vor der Saison muss gar nicht das Saisonziel ausgegeben werden, den Scudetto zu gewinnen – das wird einfach vorausgesetzt. Meine ersten Berührungspunkte mit Milan hatte ich aber gar nicht durch das Fernsehen, wie es eigentlich üblich ist. Früher gab es nämlich nicht die Möglichkeit, italienischen Fußball zu schauen. Ich bin als kleiner Junge über das Videospiel Pro Evolution Soccer zum Verein gekommen, Ronaldinho hat damals noch da gespielt. Später konnte ich dann die Champions-League-Spiele von Milan im TV schauen, das war dann schon die Mannschaft mit Zlatan Ibrahimovic, Kevin-Prince Boateng und Alexandre Pato.
Wie fühlt es sich an, ins San Siro einzulaufen?
Thiaw: Unglaublich. Man muss mal da gewesen sein, um es zu verstehen. Das Stadion steht bei mir ganz oben.
Stimmung auf Schalke vs. Stimmung in San Siro
Ist die Stimmung besser als auf Schalke?
Thiaw: Schwierig! Sie ist anders. Auf Schalke ist die Nordkurve extrem laut, alle anderen Tribünen auch. Aber in Mailand ist es noch einmal extremer. Da gibt es auch die Fan-Kurve, aber das ganze Stadion macht mit. Wenn du führst und alle auf und ab springen, ist das ein tolles Gefühl.
Sie wurden in der Schalker Knappenschmiede ausgebildet, gingen auf die Gesamtschule Berger Feld und gaben Ihr Profi-Debüt in Blau und Weiß. Leiden Sie noch mit Schalke?
Thiaw: Ich bin immer noch Fan und schaue mir gelegentlich die Spiele an. Ich bin manchmal schon traurig. Es ist ein mieses Gefühl, den Verein dort zu sehen, wo er gerade ist, wenn man weiß, was er für eine Strahlkraft hat.
Für Thiaw sind Schalke Erfahrungen intensiver als mit Ibrahimovic
Was war Ihre prägendste Erfahrung in Ihrer Karriere? Vielleicht eine Anekdote mit Ihrem Mitspieler Ibrahimovic?
Thiaw: Wenn ich ehrlich bin: Nein. Denn das war die Abstiegssaison mit Schalke. Wir haben so viel Schlechtes erlebt. Das kann einen Spieler zerstören oder seinen Charakter stärken. Bei mir war letzteres der Fall. Wenn du ein Spiel verlierst, weißt du, wie man damit umgehen muss. Selbst wenn es am Ende zehn in Serie werden sollten.
Was bedeutet Ihnen Ihre Herkunft? Ihr Vater stammt aus dem Senegal, Ihre Mutter ist Finnin.
Thiaw: Das ist schon ein lustiger Mix, den es so sicher nicht so oft gibt. Meine Eltern ähneln sich in ihrer Erziehung sehr. Sie haben mir mitgegeben, immer dankbar und geduldig zu sein. Auf dem Boden zu bleiben, respektvoll und bescheiden allen Menschen gegenüberaufzutreten. Die Mentalität in Finnland und im Senegal ist eher locker, in Deutschland geht es manchmal ein bisschen straighter zu. Im Senegal leben zwei meiner Geschwister, ich war im Sommer erst dort. Es ist ein guter Ort, um runterkommen, sich zu entspannen, auch mal das Handy aus der Hand zu legen.
Einmal Schalker, immer Schalker - auf Finnisch!
Und Finnland?
Thiaw: Da war ich häufiger, vielleicht achtmal? Ganz genau weiß ich es nicht. Die Stadt ist sehr ruhig, das Meer ist nicht weit weg. Auch im Sommer ist es kalt dort. Es fällt immer sehr viel Schnee. Meine Oma hat mir erst Anfang der Woche noch geschrieben, dass es gerade wieder angefangen hat.
Sie sprechen auch Finnisch.
Thiaw: Fließend, aber nicht so gut wie Deutsch.
Was heißt Einmal Schalker, immer Schalker?
Thiaw: (lacht) Kerran Schalker aina Schalker!