Gelsenkirchen. Im exklusiven Interview spricht Schalke-Trainer Frank Kramer über das Derby gegen den BVB, Mike Büskens, seinen schwierigen Start und mehr.
Dreimal erlebte Frank Kramer als Trainer bisher ein traditionelles Derby – als Trainer der SpVgg Greuther Fürth traf er 2013 und 2014 insgesamt dreimal im Frankenderby auf den 1. FC Nürnberg. Seine Bilanz: zwei Siege, ein Unentschieden. Am Samstag aber wartet auf den 50-Jährigen die größte Derby-Herausforderung seiner Karriere. Mit Schalke 04 tritt er als klarer Außenseiter bei Borussia Dortmund an (15.30 Uhr/Sky). Aber er spürt Vorfreude in der Mannschaft, und er setzt auf die Unterstützung der Schalke-Fans, die ihn bisher begeistert haben.
Sie haben das Derby oft als TV-Zuschauer erlebt. An welchen Moment denken Sie zuerst?
Frank Kramer: An das 4:4 nach 0:4-Rückstand aus dem November 2017. Normalerweise ist ein Spiel mit 0:4 zur Pause durch. Aber da sieht man mal, wie verrückt der Fußball manchmal sein kann und welche Geschichten er schreibt, vielleicht auch speziell in solchen Spielen, deren Ausgangslage besonders ist.
Zeigen Sie solche Derby-Momente der Mannschaft oder ist so etwas nicht mehr modern?
Kramer: Da gibt es kein modern oder nicht modern. Zurück in die Vergangenheit zu schauen kann pushen, muss aber nicht. Da muss man die Mannschaft kennenlernen und sehen: Was können wir einsetzen?
Sie kennen die Mannschaft seit zweieinhalb Monaten. Ist sie auf die Wucht des Dortmunder Stadions vorbereitet?
Kramer: Ich kann sagen, dass sich die Jungs sehr darauf freuen. Das ist die beste Voraussetzung, mit einer positiven Emotionalität in ein Spiel zu gehen. Wir alle freuen uns auf Tausende von Schalkern, die in blau und weiß mitfahren. Die Unterstützung bisher in dieser Saison war grandios. Das wissen sowohl das Trainerteam als auch die Spieler sehr zu schätzen.
Die Dortmunder konzentrieren sich erst seit Donnerstag aufs Derby. Am Mittwoch stand das Champions-League-Spiel in Manchester auf dem Programm.
Kramer: Das habe ich mir natürlich angeschaut, zu Hause vor dem TV.
Sind denn Erkenntnisse möglich? Der BVB geht sicher anders in ein Spiel bei ManCity als gegen Schalke 04.
Kramer: Man kann aus jedem Spiel etwas herausziehen, das stimmt schon. Dortmund war in Manchester darauf bedacht, kompakt zu stehen und die Wucht des Gegners aufzunehmen. Im eigenen Stadion gegen uns wird ihre Marschroute natürlich eine ganz andere sein.
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Vor zehn Jahren waren die Voraussetzungen anders, die Klubs auf allen Ebenen ebenbürtiger.
Kramer: Ich sehe das aktuell so: Die Favoritenrolle ist geklärt. Wir versuchen, die Unterschiede, die es in wirtschaftlicher Hinsicht gibt, die man auch an der Zusammenstellung des Kaders sehen kann, in dem Spiel mit unseren Tugenden wettzumachen. Das reizt uns.
Zwei, die das Derby schon oft erlebt haben, sind Ihr Co-Trainer Mike Büskens und Gerald Asamoah, der Leiter der Lizenzspieler-Abteilung. Haben sie Ihnen schon viel erzählt?
Kramer: Ja, da kann man eine Menge mitnehmen. Aber ich möchte mich da gar nicht auf eine Geschichte festlegen (lacht).
Mike Büskens und Sie – Ihr Verhältnis war ein großes Thema, bevor Sie begonnen haben. Aufstiegstrainer Büskens ist nun Ihr Co-Trainer. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Kramer: Wir arbeiten als Team, der Austausch ist intensiv und vertrauensvoll. Mike ist wichtiger Ansprechpartner in allen Belangen. In inhaltlichen Dingen tauschen wir uns aus, er ist zusätzlich das Bindeglied zur Knappenschmiede. Ich versuche natürlich, seine Meinung und sein Gefühl einfließen zu lassen. Letztendlich muss aber einer die Entscheidungen treffen, in unserer Konstellation bin ich das.
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Für Sie ist das Derby das siebte Bundesligaspiel auf Schalke. Seit Ihrer Unterschrift sind Sie nicht ganz unumstritten. Wie schwierig war der Start für Sie?
Kramer: Er war gar nicht schwierig. Warum?
Von Beginn an umstritten zu sein, ist doch nie schön.
Kramer: Von der Mannschaft, den Verantwortlichen und den Menschen im Klub, mit denen ich ganz eng zu tun habe, bin ich mit offenen Armen empfangen worden. Ich möchte die Menschen sowohl mit meiner Art als Typ und mit dem Inhaltlichen überzeugen. Der Zuspruch vieler Fans ist enorm groß. Und diesen Zuspruch nehme ich nicht nur mit, sondern das ist auch unter anderem die tägliche Motivation für mich.
Sie haben vor Ihrem Amtsantritt viel über Schalke gehört, jetzt erleben Sie Schalke seit zweieinhalb Monaten selbst. Wo hat Schalke Sie überrascht?
Kramer: Ganz klar mit der Emotionalität, diese ist noch größer und noch wuchtiger als mir beschrieben und darüber berichtet wurde.
Das überrascht Sie?
Kramer: Es ist doch super, wenn man in diesem Punkt noch einmal positiver überrascht wird als ohnehin schon. Diese Direktheit und Offenheit muss man einfach selbst erleben.
Sie haben mit Ihrer Familie die Führung „Mythos Schalke“ mitgemacht, ein Spaziergang an wichtigen Orten der Klubgeschichte vorbei. Was hat Sie dabei am meisten beeindruckt?
Kramer: Wenn man die Geschichte des Vereins kennenlernt und hautnah erlebt, was dahinter steckt, wie viel dieser Verein den Menschen hier bedeutet, dann ist es beeindruckend. Die Kirche, der Friedhof, die Glückauf-Kampfbahn: Alles ist mit dem Verein verbunden. Der Fußball gibt auch denjenigen Hoffnung, die die Schattenseiten des alltäglichen Lebens erleben. Hierfür haben wir ein Verständnis bekommen.
Das ist Schalke-Trainer Frank Kramer
Der 50 Jahre alte Frank Kramer studierte nach dem Abitur Deutsch und Englisch auf Lehramt und unterrichtete an einem Gymnasium. Er kam als aktiver Spieler nicht über den Amateurbereich hinaus (FC Memmingen, Bayern München II, TSV Vestenbergsgreuth, SC Weisman, 1. FC Nürnberg II, 1. SC Feucht, SpVgg Greuther Fürth II).
Die Trainerkarriere verfolgte er zunächst nur nebenbei, trainierte im Nachwuchsbereich in Fürth (2004 bis 2011) und bei der TSG Hoffenheim (2011 bis 2013). Seine erste Station als Chef im Profibereich war die SpVgg Greuther Fürth (2013 bis 2015), nachdem er 2012 in Hoffenheim kurzfristig Interimstrainer war. Zudem trainierte er Fortuna Düsseldorf (2015), Arminia Bielefeld (2021 bis 2022) sowie beim DFB die U18, U19 und U20 (2016 bis 2019). Seine größten Erfolge: Der dritte Platz mit Fürth in der Zweitligasaison 2013/2014 und der Klassenerhalt mit Arminia Bielefeld 2020/2021.
Kramer ist verheiratet und hat zwei Kinder - Leni (16) und Emil (14). Seine Familie lebt in Tuchenbach im Landkreis Fürth.
Sie haben im Gegensatz zu anderen neuen Spielern oder Trainern sogar Ihre Familie zu dieser Tour mitgenommen. Warum?
Kramer: Ich lebe diesen Verein ja durch und durch. Deshalb ist mir wichtig, dass diejenigen, die mit mir am engsten zusammenleben, diese Emotionalität auch spüren und ein Gefühl dafür bekommen, warum der Papa mal nicht so früh nach Hause kommt.
Wie hat Ihre Familie denn auf die Schalke-Anfrage reagiert? War sie begeistert oder hat sie gesagt: ,Das ist ein Schleudersitz, mach das bloß nicht‘.
Kramer: Die hat sofort gesagt: ‚Da gibt es keine andere Antwort als Ja.‘ Wir sind eine Fußball-Familie.
Weil es eine große Chance ist?
Kramer: Weil es große Herausforderung ist.
Ist es Ihre letzte Chance in der Bundesliga, nachdem es zuvor in Bielefeld nicht so gut lief?
Kramer: In Bielefeld haben wir 2021 mit sehr limitierten Voraussetzungen den Klassenerhalt geschafft. Das wurde damals vor Ort als kleines Fußballwunder wahrgenommen. Im zweiten Jahr bei der Arminia bin ich mit zwei Punkten Rückstand vier Spieltage vor Schluss von meinen Aufgaben entbunden worden. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir es wieder geschafft hätten, die Klasse zu halten.
Sie sind ein Trainer, der die Mannschaft gern mit ins Boot holt. Warum ist Ihnen das wichtig?
Kramer: Es gibt Dinge, die ein Trainer allein entscheiden muss – zum Beispiel die Aufstellung, die Taktik. Aber die Mannschaft steht auf dem Platz. Deshalb ist wichtig, dass sie überzeugt davon ist, was wir machen. Wenn die Überzeugung bei den Spielern da ist, profitieren alle. Wir verbringen so viel Zeit miteinander, ob im Trainingszentrum oder bei den Spielen – man kommt gemeinsam besser voran.
Gibt es Trainertypen, denen Sie nacheifern?
Kramer: Nacheifern ist das falsche Wort. Es gibt Trainer, die man beobachtet, weil sie auf einem internationalen top Niveau herausragende Arbeit leisten. So hat zum Beispiel Pep Guardiola in den vergangenen 15 Jahren taktisch einiges neu aufgestellt und viele Ideen geliefert. Was die Mannschaftsführung angeht, sind zum Beispiel Carlo Ancelotti, Jupp Heynckes und Hansi Flick Trainer, von denen man viel lernen und mitnehmen kann. Das Beste daran für mich ist: Mit einigen von ihnen durfte ich bereits persönlich im Austausch sein.
Julian Nagelsmann war mal Ihr Co-Trainer in der U23 der TSG Hoffenheim. Fragen Sie sich: Warum trainiert der den Meister und ich stecke im Abstiegskampf?
Kramer: Mit Julian bin ich einen gemeinsamen Weg gegangen. Er war damals schon ein großes Trainertalent und ist heute ein herausragender Trainer. Wir hatten eine großartige Zeit zusammen und ich wünsche ihm weiterhin nur das Beste.