Gelsenkirchen. . Im Interview bewertet Schalke-Zugang Tom Krauß seinen Saisonstart. Der Mittelfeldspieler spricht über Vergleich mit Bayern-Star Joshua Kimmich.

Bei Schalke 04 ist Tom Krauß der Mann der Stunde. Mit seiner emotionalen und aggressiven Spielweise hat der Mittelfeldmann die Fans der Königsblauen zuletzt begeistert. Obwohl der gebürtige Leipziger erst wenige Wochen im Ruhrgebiet ist, verkörpert wohl kein Spieler des aktuellen Bundesliga-Kaders die Schalker Werte mehr als Krauß. Der 21-Jährige ist jemand, der sich über einen gewonnenen Zweikampf genau so freuen kann wie über ein erzieltes Tor.

Schalke-Zugang Tom Krauß: Vergleiche mit Joshua Kimmich

Vor seinem ersten Revier-Derby bei Borussia Dortmund (Samstag, 15.30 Uhr/Sky) spricht Schalke-Zugang Krauß im WAZ-Interview über seine Spielweise, seinen Weg in die Bundesliga, sein besonderes Verhältnis zu Trainer Frank Kramer und Vergleiche mit Nationalspieler Joshua Kimmich.

Herr Krauß, Sie wohnen in Buer, nur wenige Minuten vom Vereinsgelände entfernt. Warum haben Sie sich für Gelsenkirchen entschieden? Viele Ihrer Kollegen wohnen außerhalb.

Tom Krauß: Die kurzen Wege zum Training sind praktisch. Auch in Nürnberg und in Leipzig habe ich nah am Trainingsgelände gewohnt. Außerdem spüre ich Schalke 04 hier in Gelsenkirchen ganz besonders. Hier ist jeder Schalke-Fan. Auf der Straße werde ich häufig von Fans erkannt und auch mal angesprochen. Ich mag diesen direkten Austausch.

Wie gehen Sie damit um, regelmäßig erkannt zu werden?

Krauß: Es ist ein schönes Gefühl. Als Kind habe ich die Fußballspieler auch bewundert. Heute bin ich selbst einer und Fans freuen sich, wenn sie ein Foto mit mir machen können. Wenn ich dann sehe, wie glücklich manche Kinder nur wegen eines gemeinsamen Fotos sind, geht mir das Herz auf. Gleichzeitig macht es mich auch stolz, dass ich es bis in die Bundesliga geschafft habe, denn das habe ich mir hart erkämpft. Ich war nie der Talentierteste, aber dafür einer der Fleißigsten.

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Nach dem 3:1-Sieg gegen Bochum haben sich Fans und Mannschaft gemeinsam vor der Nordkurve auf das Derby gegen den BVB eingeschworen. Wie haben Sie diese Momente erlebt?

Krauß: Auch beim 1. FC Nürnberg ist die Stimmung oft extrem gut. Aber was nach unserem Sieg gegen Bochum in der Arena abgegangen ist, war noch einmal ein anderes Level. Ich hatte Gänsehaut. Meine Oma war auf der Tribüne und sagte mir, sie hätte so etwas noch nie erlebt. (lacht) Dass ich auch ihr und meinem Vater mit dem Sieg ein Geschenk machen konnte, war am Samstag das i-Tüpfelchen.

Im Trikot des 1. FC Nürnberg haben Sie im Mai die Schalker Meisterfeier hautnah miterlebt. Wussten Sie damals schon, dass aus den Gegnern bald Teamkollegen werden?

Krauß: Es gab schon damals erste Gespräche, aber der Wechsel war noch lange nicht perfekt. Davon abgesehen, war dieses Spiel am letzten Spieltag etwas Besonderes für mich. Es war mein Abschiedsspiel für den Club und die zwei Jahre haben mir wirklich viel bedeutet. Außerdem durfte ich gegen meinen Lieblingsverein spielen.

Ist bekannt für seine aggressive Zweikampfführung: Schalkes Mittelfeldspieler Tom Krauß (hier gegen Bochums Gerrit Holtmann)
Ist bekannt für seine aggressive Zweikampfführung: Schalkes Mittelfeldspieler Tom Krauß (hier gegen Bochums Gerrit Holtmann) © getty Images

Schon als Kind waren Sie Schalke-Fan. Am Samstag steht dann Ihr erstes Derby für Königsblau an.

Krauß: Als Zuschauer habe ich aus der Ferne viele legendäre Derby-Momente miterlebt. Ich kann mich noch genau an das 4:4 mit dem Last-Minute-Ausgleich von Naldo 2017 erinnern. Es war tragisch, dass ich das Derby damals nicht live sehen konnte, weil ich am selben Tag auch ein Spiel hatte. Ich weiß aber noch, wie mein Vater mich immer mit den Zwischenergebnissen versorgt hat. Wenn ich mir vor Augen führe, dass ich am Wochenende in einem der geilsten Derbys der Welt auf dem Rasen stehen werde, fängt es bei mir schon an zu kribbeln.

Gegen Bochum haben Sie die Zuschauer mehrfach angepeitscht und animiert. Was macht die Fan-Unterstützung mit Ihnen?

Krauß: Ich liebe es. (grinst) Wenn ich gut im Spiel bin und merke, dass die Fans da sind, wende ich mich vom Rasen aus gern an sie, um noch mehr Stimmung reinzubekommen. Unmittelbar vor dem 2:1 ist es aus mir herausgeplatzt und es wurde noch einmal lauter in der Arena. Vielleicht haben wir dann auch dank der Fans das Führungstor gemacht.

Bei den Fans kommt Ihre Spielweise gut an.

Krauß: Ich bin ein aggressiver Spieler, der über harte Arbeit kommt – ein Malocher, wie man im Ruhrgebiet sagt. Von mir sieht man keine Übersteiger, mein Spiel lebt von Emotionalität. Und ganz ehrlich: Ich muss auch nicht zwingend selbst Tore schießen, dafür haben wir genug andere Spieler auf dem Feld. Mein gewonnener Zweikampf vor dem 1:0 war für mich genauso geil wie ein Tor.

Nach Ihrer guten Leistung gegen Bochum gab es von allen Seiten viel Lob für Sie. Wie gehen Sie damit um, dass Sie auf Schalke immer mehr im Fokus stehen?

Krauß: Mir ist es nicht wichtig, ob ich gefeiert werde oder nicht. Ich versuche nach Möglichkeit auszublenden, was über mich geschrieben wird. Für meinen Kopf wäre es nicht gut, wenn ich jeden einzelnen Kommentar lesen würde.

In den Sozialen Medien ist es aber schwer, sich den Kommentaren zu entziehen. Als Sie nach dem Sieg gegen Bochum ein Bild bei Instagram gepostet haben, haben darunter mehr als 200 Leute kommentiert.

Krauß: Am wichtigsten ist mir für mich, was mir meine Freunde und auch mein Vater sagen. Er war selbst Profi und weiß, wie es im Fußball zugeht. Ihm ist es ein großes Anliegen, dass ich bodenständig bleibe.

Schalkes Mittelfeldspieler Tom Krauß (links) mit Trainer Frank Kramer.
Schalkes Mittelfeldspieler Tom Krauß (links) mit Trainer Frank Kramer. © firo

Die Klub-Verantwortlichen sehen in Ihnen einen zentralen Baustein der Schalker Zukunft. Verspüren Sie viel Druck?

Krauß: Es freut mich, dass der Verein etwas in mir sieht. Aber ich mache mir keinen Kopf darum, was die Leute hier von mir erwarten. Das würde mich nur hemmen. Ich will einfach meine Leistung bringen. Mein Ziel ist es, in jeder Woche so zu spielen, wie gegen Bochum – das ist für mich der Maßstab. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass ich jetzt gerade einmal sechs Bundesligaspiele von Beginn an gemacht habe und 21 Jahre alt bin. Es wird auch Tiefen geben.

Welche Note würden Sie sich für Ihren Saisonstart geben?

Krauß: Eine 2 -. Es war aber längst nicht alles gut. Gegen Köln und Union war ich nicht zufrieden mit mir. Wichtig ist es, mich immer zu verbessern und das umzusetzen, was der Trainer mir mitgibt. Das gelingt mir von Woche zu Woche besser. Trotzdem habe ich noch viel Luft nach oben. Zum Beispiel im Abschluss.

Joshua Kimmich ist ein großes Vorbild von Ihnen. Was begeistert Sie an Kimmich?

Krauß: Ich habe ihn schon in der 3. Liga bei RB Leipzig gesehen. Er war nie das allergrößte Talent, sondern hat es über Mentalität und Ehrgeiz bis zu einem Weltklasse-Spieler geschafft. Er ist enorm fleißig und will sich immer und überall verbessern. In seinen ersten Profijahren waren seine Flanken zum Beispiel noch ausbaufähig, doch er hat enorm daran gearbeitet und schießt jetzt fast jeden Standard beim FC Bayern. Meine Mentalität ist ähnlich. Es ist ein Traum, irgendwann einen ähnlichen Weg zu gehen wie er.

Welche Note würden Sie der Schalker Mannschaft für den Saisonstart geben?

Krauß: Insgesamt würde ich uns eine 3 geben. Es war weder perfekt noch wirklich schlecht, wenn man sich vor Augen führt, dass es für uns nur um den Klassenerhalt geht.

Wo muss sich die Mannschaft noch verbessern?

Krauß: In allen Bereichen gibt es Steigerungspotenzial. Mit dem Ball können wir noch viel mehr rausholen, weil wir auch die nötigen Spieler dafür haben – das wissen wir. Aber es ist ein Prozess. Die Mannschaft wurde im Sommer neu zusammengestellt und es dauert, bis sich Automatismen entwickeln.

Im Gespräch: Schalke-Profi Tom Krauß (rechts) mit den Reportern Andreas Ernst (m.) und Robin Haack.
Im Gespräch: Schalke-Profi Tom Krauß (rechts) mit den Reportern Andreas Ernst (m.) und Robin Haack. © Ingo Otto / Funke Foto Services

Viel gesprochen wird auf Schalke auch über Frank Kramer. Sie kennen ihn schon aus der U18-Nationalmannschaft und es scheint, als hätten Sie einen besonderen Draht.

Krauß: Vor meinem Wechsel zu Schalke habe ich lange mit ihm gesprochen und ich komme mit seiner direkten und offenen Art gut klar. Wenn ich schlecht gespielt habe, sagt er es mir unverblümt. Aber er ist auch jemand, der sich dann mit den Spielern hinsetzt und ihnen erklärt, wie sie sich verbessern können. Besonders ist auch, dass er das Team immer wieder miteinbezieht.

Inwiefern?

Krauß: Er holt in manchen Situationen auch die Meinungen der Spieler ein, fragt uns, was wir als Mannschaft ändern würden, um besser zu werden. Wir alle sind gefragt. Er nimmt uns daher mit ins Boot, denn für ihn steht der Teamerfolg an oberster Stelle.

Sollte Schalke die Klasse halten, greift eine Kaufverpflichtung im Leihvertrag zwischen Schalke und RB Leipzig. Sie würden in diesem Fall langfristig Schalker bleiben. Warum haben die Leipziger Sie ziehen lassen?

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Krauß: Ich habe den Verantwortlichen bei RB Leipzig im Sommer klar kommuniziert, dass ich eine Veränderung möchte. Bei RB ist die Qualität in der Zentrale unglaublich hoch und ich hätte es sehr schwer gehabt, dort auf Spielzeit zu kommen. Für mich stand nach den zwei Jahren in Nürnberg fest, dass ich dennoch in die Bundesliga möchte – aber nicht wieder nur für eine kurzfristige Leihe. Ich wollte mehr Planungssicherheit und ich hoffe sehr, dass die Option greift und ich noch lange auf Schalke spielen kann. Den Traum, mit Schalke in der Bundesliga zu spielen, hatte ich schon immer im Hinterkopf. Dass es aber so früh geklappt hat, ist unglaublich. Ich bin den Verantwortlichen von RB Leipzig enorm dankbar, dass sie mir keine Steine in den Weg gelegt haben.

Als aktueller U21-Nationalspieler ist auch die A-Nationalmannschaft nicht mehr ganz weit weg. Inwiefern haben Sie das DFB-Team im Blick?

Krauß: Jeder Fußballer träumt von der Nationalmannschaft – auch ich. Für mich zählt aber derzeit nur die U21. Der Weg bis nach ganz oben ist für mich noch lang und steinig.