Gelsenkirchen. Der Ex-Nationalspieler weiß, welches Rezept Klubs zum Aufstieg benötigen - und er weiß, wie sich Stürmer bei Torlos-Serien fühlen.
Der ehemalige Bremer Stürmer Martin Harnik (34) weiß nach wie vor, wo das Tor steht: Für den Hamburger Oberligisten TuS Dassendorf hat er bereits 19 Mal getroffen. Harnik kennt auch Durststrecken, wie sie Schalkes Knipser Simon Terodde aktuell durchlebt. Im WAZ-Interview verrät der Sport1-Experte, was eine Mannschaft braucht, um in die Bundesliga aufzusteigen.
Herr Harnik, Ihr Ex-Klub Werder trifft am Samstag um 20.30 Uhr (Sport1 und Sky) auf Schalke 04. Haben Sie sich schon damit angefreundet, dass es sich nur um ein Zweitliga-Duell handelt?
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Martin Harnik: Ich habe mich jetzt daran gewöhnt, dass sowohl Werder als auch Schalke nur noch Zweitligisten sind. Der Abstieg von den beiden Vereinen war keine Überraschung, sondern hatte sich über einen längeren Zeitraum angedeutet. Aber ehrlich gesagt finde ich es schöner, Werder und Schalke eine Etage tiefer als Spitzenteams zu sehen, anstatt mitzuerleben, wie sie durch die Bundesliga taumeln. Das hat im letzten Jahr schon wehgetan.
Und das, obwohl Sie in Ihrer aktiven Laufbahn nie für Schalke gespielt haben.
Stimmt, aber auch als neutraler Fußball-Fan tut es einem um einen Verein und eine Mannschaft leid. Man kennt den Schalker Mythos, das Stadion und die Fans. Ich habe mit meinen früheren Vereinen immer gerne auf Schalke gespielt. Und wenn man sich dann noch vor Augen führt, was auf Schalke früher für Kaliber unter Vertrag standen, dann ist es schon traurig, dass sie jetzt nicht mehr in der Bundesliga sind.
Sie haben die 2. Liga als Sport1-Experte genau im Blick. Wie fanden Sie die bisherigen Auftritte der Königsblauen?
Schalke war ziemlich schwankend in den Leistungen. Sie haben sich zu Beginn schwergetan, sich dann aber stabilisiert und zwischenzeitlich eine Serie von vier Siegen in Folge eingefahren. Dann kam das Pokal-Aus bei 1860 München, was nicht passieren darf, aber halt immer mal wieder vorkommen kann gegen einen ambitionierten Drittligisten. Dazu gab es anschließend zwei Niederlagen in der Meisterschaft. In Heidenheim kurz vor Schluss 0:1 zu verlieren, schmerzt. Auch das 2:4 zuhause gegen Darmstadt war sicher nicht eingeplant, wobei man sagen muss: Darmstadt ist ähnlich wie St. Pauli eine Mannschaft, die richtig gut funktioniert.
Hat es Schalke durch sein emotionsgeladenes Umfeld und die breite Medienlandschaft schwerer?
Da ist schon etwas dran. Du hast auf Schalke eine unglaubliche Aufregung, wenn etwas nicht nach Wunsch läuft, und eine extreme Aufmerksamkeit bei Fans und Medien. Dazu gibt es den Konkurrenzgedanken zu Nachbar Borussia Dortmund, der jetzt eine Liga höher spielt. Auf Schalke gibt es unglaublich viel Potenzial zur Enttäuschung. Vieles lässt die Leute brodeln und diskutieren.
Trainer Dimitrios Grammozis ist zuletzt wieder stärker in die Kritiklinie geraten. Für Sie nachvollziehbar?
Dimitrios Grammozis hat einen schweren Stand auf Schalke. Ich kann das in gewisser Weise verstehen, weil er seine Handschrift bei der Mannschaft noch nicht entscheidend durchbringen konnte. Die Dinge müssen jetzt allmählich greifen. Das Spiel am Samstag sehe ich für Schalke als Chance, ein Zeichen zu setzen. Beide Teams strotzen nicht vor Selbstbewusstsein.
Auch S04-Torjäger Simon Terodde steht unter Beobachtung, weil er seit dem 3. Oktober nicht mehr erfolgreich war. Können Sie sich als langjähriger Stürmer in Terodde hineinversetzen?
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Ja, das kann ich total. Simon Terodde hat ein ganz besonderes Tor vor der Brust: Wenn er noch einmal trifft, setzt er eine neue Zweitliga-Bestmarke. Vielleicht hat er einen besonderen Jubel im Kopf, vielleicht trägt er auch ein spezielles T-Shirt mit einer Botschaft unter seinem Trikot. Ich denke schon, dass sich Simon vor jedem Schalker Spiel mit gewissen Szenarien auseinandersetzt und dann frustriert ist, wenn es nicht mit einem Torerfolg klappt.
Wie sehr nagen Durststrecken an einem Torjäger?
Als Stürmer willst du in jedem Spiel treffen. Wenn das nicht klappt, ist man unzufrieden mit sich selbst. Aber ich bin sicher: Wenn Simon Terodde dieses eine magische Tor zum alleinigen Rekord erzielt, dann wird auch die Leichtigkeit zurückkehren. Es ist ja nicht so, dass er in den vergangenen Spielen Riesenchancen vergeben hat. Er ist oft geblockt worden und hatte in der einen oder anderen Szene etwas Abschlusspech. Solche Phasen gibt es eben.
Mit Simon Terodde haben Sie nie in einer Mannschaft zusammengespielt, mit dem ehemaligen Schalker Guido Burgstaller, der jetzt seinen Beitrag zu St. Paulis Höhenflug leistet, sind Sie für Österreichs Nationalelf aufgelaufen. Was ist „Burgi“ für ein Typ?
Guido Burgstaller ist unbekümmert, spielt befreit. Er macht sich keinen Kopf, sondern zieht sein Ding durch. Und damit ist er total erfolgreich. Burgstaller und St. Pauli – das passt. St. Pauli tritt als echtes Team auf. Wie sie sich zusammen über Tore freuen, wie sie harmonieren, wie jeder für den anderen fightet: Das ist schon richtig stark. Ich würde mich nicht wundern, wenn St. Pauli in die Bundesliga aufsteigt. Sie haben nicht den breitesten Kader, aber einen unheimlichen Zusammenhalt. Solchen Mannschaften kann der große Wurf gelingen. Das haben ja Bochum und Bielefeld vorgemacht.
2017 ist Ihnen mit Hannover 96 der Sprung ins Oberhaus geglückt. Welche Mischung macht einen Aufsteiger aus?
50 Prozent macht sicherlich der Teamfaktor aus. Es ist ein Unterschied, ob du elf Arbeitskollegen oder elf Freunde auf dem Platz hast. Wir hatten bei 96 in der Aufstiegssaison ein Riesen-Team. Das kann man nicht künstlich erzeugen, das muss wachsen. Ein weiterer Faktor ist die individuelle Qualität: Die würde ich auf 30 Prozent beziffern. Und 20 Prozent machen ein gewisses Spielglück aus. Wenn das alles zusammenpasst, dann kann man aufsteigen.
Sind die großen Vereinsnamen ein Rucksack für Schalke und Werder?
Für alle Zweitliga-Mannschaften steigt gegen Werder und Schalke das Spiel des Jahres. Das ist Problem und Herausforderung zugleich. Für jeden Spieler der Konkurrenz ist es ein Highlight, dem S04- oder Werder-Wappen gegenüberzustehen. Ich kenne das aus meiner Zeit: Immer, wenn wir gegen Bayern oder Dortmund ran mussten, habe ich mir gesagt: Ich will zeigen, dass ich es so gut kann wie die! Deswegen wird es sowohl für Werder als auch für Schalke schwer mit dem direkten Wiederaufstieg.