Gelsenkirchen. Schalke hat einen Vorstandsvorsitzenden gefunden. Bernd Schröder kommt aus Leverkusen - ein Mann ohne große Fußball-Erfahrung. Ein Kommentar.

Der Aufsichtsrat des FC Schalke 04 hat einstimmig entschieden: Bernd Schröder ist der neue Vorstandsvorsitzende. Ein Mann, den viele Fans und wohl die meisten der 160.000 Mitglieder erst einmal googeln müssen, soll die Königsblauen durch eine der größten Krisen der 117-jährigen Vereinsgeschichte führen - Schalke ist nur noch Zweitligist, die finanzielle Lage bedrohlich. Die Entscheidung für den unbekannten Schröder ist mutig und riskant.

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Der 55-Jährige kommt zwar von Bayer Leverkusen, hat aber keinen langjährigen Fußball-Hintergrund. Bevor er 2019 in Leverkusen begann, war er ein klassischer Wirtschafts-Manager mit verschiedenen Leitungspositionen in unterschiedlichsten Branchen - ob Versicherung, Medienunternehmen oder Juwelier, Schröder fand sich überall schnell zurecht. Auch als Schalke-Anhänger ist Bernd Schröder bisher nicht in Erscheinung getreten - ihm fehlt der Stallgeruch. Dem Schalker Aufsichtsrat war nicht wichtig, einen Fußball-Experten zu holen - oder etwa einen Fan, der schon als Grundschüler eine Dauerkarte für die Nordkurve besaß.

Schalke: Schröder suchte bisher nie die Öffentlichkeit

Viele Schalker genossen es, sich in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrem Führungspersonal identifizieren, an ihm reiben, mit ihm streiten zu können. Das beste Beispiel dafür ist Rudi Assauer. Schröder aber ist kein Typ zum Identifizieren. TV-Interviews mit ihm sind in keiner Mediathek zu finden, die Öffentlichkeit suchte er noch nie. Als die Königsblauen zuletzt einen Verantwortlichen hatten, den zuvor nur Insider kannten, ging das schief. Jochen Schneider, der ehemalige Sportvorstand, konnte mit seiner Art die Herzen der Schalker Fans nie gewinnen.

Doch riskant allein ist die Berufung Schröders nicht. Dass er kein Fußball-Experte und Schalke-Fan ist, muss kein Nachteil sein. Zu viele Emotionen können in schwierigen Zeiten hemmen. Verfehlt Schalke zum Beispiel den Wiederaufstieg im Sommer 2022, könnten schmerzhafte Stellenkürzungen auf der Geschäftsstelle anstehen. Mit seiner Erfahrung wäre einer wie er gut für diesen Job geeignet.

Positives Beispiel für einen Quereinsteiger: Christian Seifert

Aus Leverkusen wird Schröder viel Kompetenz für den Bereich Vertrieb und Marketing nachgesagt - zudem ein sehr angenehmer Umgangston. Er sei einer, der alle Mitarbeiter hinter sich zu vereinen wüsste. Einer, der zuhören könne. Viele Bereiche der Geschäftsstelle waren in den vergangenen Jahren zerstritten. Ein Versöhner wie Schröder könnte deshalb der richtige Mann sein.

Und im Profifußball gibt es ein Beispiel, wie erfolgreich Quereinsteiger sein können: Als Christian Seifert 2005 zur Deutschen Fußball Liga (DFL) kam, war er im Profifußball unbekannt und hatte zuvor lediglich bei MTV und KarstadtQuelle gearbeitet. Seifert entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem profilierten Manager, der den deutschen Fußball bravourös durch die Corona-Pandemie führte.

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Schröder sollte nicht nur deshalb die faire Chance bekommen, sich ab seinem ersten Arbeitstag am 1. Januar 2022 in Ruhe einarbeiten zu können, um dann erste Akzente zu setzen. Doch wenn einige Monate später eine Zwischenbilanz gezogen wird, gilt diese nicht nur für ihn, sondern auch für den neuen Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Axel Hefer.

Schalke: Gegenentwurf zu Ex-Boss Tönnies

Hefer, der am 17. Juli sein Amt angetreten hatte, setzt klare Prioritäten: Er meidet die Öffentlichkeit, meldet sich bestenfalls über die Vereinsmedien zu Wort. Hefer will den Aufsichtsrat aus sämtlichen Schlagzeilen heraushalten - so wie das in der Wirtschaft üblich ist. Das ist ein klarer Gegenentwurf zur langjährigen Amtszeit von Vorvorgänger Clemens Tönnies.

Und auch Schröder soll Schalke führen wie ein Wirtschaftsunternehmen - ruhig, klug und dann konsequent. Und nicht emotional und aus dem Bauch heraus. Entertainer-Qualitäten sind in der Führungsetage nicht mehr gefragt. Hefer, Schröder und die beiden anderen Vorstandsmitglieder Christina Rühl-Hamers und Peter Knäbel überlegen sich jedes Wort zweimal.

Es kann sein, dass der überemotionale FC Schalke 04 genau diese Ruhe braucht, um nach turbulenten Jahren wieder zu sich zu finden. Es kann aber auch sein, dass Schalke langweilig wird. Sportlich droht einem der mitgliederstärksten Klubs der Welt das Zweitliga-Mittelmaß. Das Medieninteresse hat bereits stark nachgelassen. Und die neue Klubführung achtet zusätzlich noch darauf, Schlagzeilen zu vermeiden. Der einzige, der in der Außendarstellung dauerhaft Leidenschaft verkörpert, ist Sportdirektor Rouven Schröder. Einer aus der zweiten Reihe.

Diese Vereinspolitik ist mutig. Und riskant.