Essen/Paris.. Dem Rassismus-Skandal folgt eine Welle der Empörung und der Solidarität. Ein genauer Blick zeigt jedoch: Der Eklat von Paris war kein Einzelfall.

Die Reaktion der Uefa konnte niemanden überraschen. Der europäische Verband wolle den Vorfall beim abgebrochenen Champions-League-Spiel zwischen Paris St. Germain und Istanbul Basaksehir untersuchen, hieß es, weitere Informationen werde es „in Kürze“ geben. Während der Rest der Sport-Welt alle nötigen Informationen beisammen hatte, um das Feuer der Empörung zu entzünden, erhoffte sich der Verband Zeit, die er nicht mehr hatte. Das Wort, das dem Skandal seine Wucht gab, war längst ausgesprochen.

Sebastian Coltescu, als Vierter Offizieller im Einsatz, musste vergessen haben, dass jedes Wort in der menschenleeren Arena zu hören war.  „Negru“, auf Rumänisch schwarz, war gut über die Mikrofone zu hören, als er Hauptschiedsrichter Ovidiu Hategan  Istanbuls Trainer-Assistenten Pierre Webo beschrieb. Der Kameruner sollte die Rote Karte bekommen, doch die zeigten die Spieler dem Vierten Offiziellen: Sie verließen den Platz.

PSG-Sieg am Mittwoch bei Spiel mit Symbolcharakter

Die Partie wurde bei 0:0 nach einer Viertelstunde abgebrochen, die Uefa ordnete eine Fortsetzung für Mittwochabend an. Gestern trugen die Spieler beider Teams Aufwärmshirts, auf denen unter den beiden Klub-Logos „No To Racism“ zu lesen war.  Die Pariser Profis knieten als Geste gegen Rassismus vor dem Anpfiff rund um den Mittelkreis und hoben die Faust – das berühmte Zeichen des American-Football-Stars Colin Kaepernick. PSG sicherte sich anschließend mit einem 5:1 (3:0) den Gruppensieg durch Treffer von Neymar (21., 38. 50.) und Kylian Mbappé (42./Foulelfmeter, 62.). Das Tor für Basaksehir erzielte Mehmet Topal (57.).

PSG-Spieler hatten den Vorfall bereits am Dienstagabend in den Sozialen Medien verurteilt. Der rumänische Verband distanzierte sich. Frankreichs Sportministerin Roxana Maracineanu begrüßte „die starke Symbolik ihrer Geste und ihrer Solidarität“.

Cacau erklärt das Problem

Auch aus Deutschland gab es Solidaritätsbekundungen. „Es war ein enorm wichtiges Zeichen, dass beide Mannschaften gemeinsam vom Platz gegangen sind. Das war deutlich: Wir tolerieren so etwas nicht! Uns ist das nicht egal!“, sagte der frühere Nationalspieler Gerald Asamoah (42) dieser Redaktion. Der Manager von Schalkes U23 betont: „Rassismus darf keinen Platz bei uns haben, weder auf dem Platz noch allgemein in der Gesellschaft.“

Kniefall vor dem Anpfiff: Die Spieler von Paris Saint-Germain und Basaksehir setzten am Mittwoch vor dem Anpfiff ein Zeichen gegen Rassismus.
Kniefall vor dem Anpfiff: Die Spieler von Paris Saint-Germain und Basaksehir setzten am Mittwoch vor dem Anpfiff ein Zeichen gegen Rassismus. © AFP | Unbekannt

Auch der DFB-Inte­grationsbeauf­tragte Cacau bezog  klar Stellung: „Ich fand den Spielabbruch angemessen“, sagte der 39-jährige gebürtige Brasilianer und ehemalige deutsche Nationalspieler dieser Redaktion. Auch ihm gefiel die Reaktion der Spieler, nun sei er gespannt auf die Bewertung der Uefa: „Ich hoffe, es werden viele durch eine gute Entscheidung der Uefa sensibilisiert.“ Bei der Interpretation gebe es keinen Spielraum. Die Schiedsrichter pochten darauf, das N-Wort nicht verwendet zu haben. Sondern das rumänische Wort für schwarz. Doch darin steckt das Problem, sagt Cacau: „Es ist nicht eine Frage der Übersetzung. Die Frage ist, warum ,negru’ gesagt wurde!“

„Das passiert jedes Wochenende in Deutschland auf den Fußballplätzen"

Warum? Diese Frage stellt sich auch hierzulande, in den Profiligen genauso wie im Amateursport. „Das passiert jedes Wochenende in Deutschland auf den Fußballplätzen. Die Leute wollen es nur nicht wahrhaben“, sagt Kosi Saka, einst Bundesliga-Profi bei Borussia Dortmund und  beim Hamburger SV, heute Spieler des nordrhein-westfälischen Oberligisten SF Baumberg. Der 34-Jährige hat erst vor zwei Monaten einen ähnlichen Fall erlebt.

Im Spiel beim TVD Velbert zeigte ihm der Schiedsrichter die Rote Karte. Weil er sich nach Ansicht des Linienrichters zu viel Zeit ließ, rief dieser laut Aussage mehrerer Spieler: „Der Schwarze soll runter!“ Ein Abbruch der Partie drohte, doch Saka, der die Äußerung nicht direkt gehört hatte, forderte seine Mitspieler auf, weiterzuspielen. „In der Kabine haben sie rumgeschrien und wollten die Schiedsrichter zur Rede stellen. Meine Mitspieler waren richtig sauer“, erzählt Saka.

Saka sagt: „Menschen dürfen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe identifiziert werden. Das müssen wir einfach lernen. Wir sagen auch nicht: ,Der Weiße’. Wir sagen: ,Die Nummer 7 oder 8’ oder sonst etwas. Deshalb finde ich gut, was in Paris passiert ist. Die Verantwortlichen tun zu wenig. Dieses Banner der Uefa ,Say no to racism’ ist mehr Schein als sonst etwas.“

Aus solchen Vorfällen würden die Menschen lernen, sagt Saka: „Wir haben alle Namen. Ich heiße Kosi. Und wenn Du nicht weißt, wie ich heiße, dann sag: ,Den da’. Aber nicht ,Den Schwarzen’.“ Mit dem Wort „Schwarzer“ oder allen anderen Begriffen, die die Hautfarbe bezeichnen, würden Assoziationen entstehen, von Afrika, von Armut. Die Vorurteile erfahre Saka dann auf dem Spielfeld: „Dann sagen sie: Du läufst so schnell, weil Du vor den Tigern weggerannt bist.“

Vom Linienrichter aus dem Oberliga-Spiel habe Saka bis heute nichts gehört. „Selbst wenn er es nicht gesagt hat, hätte er mich anrufen können. Ich jedenfalls hätte es gemacht.“ Ob der in Paris eingesetzte rumänische Vierte Offizielle Coltes­cu zum Hörer greifen wird?