Gelsenkirchen. Schalke kommt nicht zur Ruhe. Auch in der Vorbereitung sind die Leistungen sehr schlecht. Was hat das mit Trainer Wagner zu tun? Ein Kommentar.
Als Jochen Schneider beim FC Schalke 04 den Posten des Sportvorstands gerade übernommen hatte, stand er vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte er Trainer Domenico Tedesco feuern oder nicht? Nach der 0:7-Klatsche bei Manchester City sprach er Tedesco zunächst das Vertrauen aus, um ihn wenige Stunden später doch vor die Tür zu setzen. Er begründete dies im März 2019 mit zwei Sätzen: "Die Stimmung war in allen Bereichen so niedergeschlagen, dass ich das Gefühl bekam, wir müssen sofort handeln." Und zweitens: "Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass eine Trendwende in der aktuellen personellen Konstellation nicht mehr möglich ist." Zwei Argumente, die auch auf die aktuelle Situation zutreffen - nach zweieinhalb Wochen in der Sommervorbereitung zur Saison 2020/21.
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Die Strategie, mit der Wagner in die Vorbereitung gegangen war, ist sehr riskant. Sein Team hat 16 Liga-Spiele in Folge nicht gewonnen, ist auf den zwölften Platz abgerutscht - und dennoch sind im Vergleich zur Sommer-Vorbereitung 2019 nur ganz wenige Dinge anders. Es gibt wieder zwei Trainingslager - erneut in Herzlake und Österreich. Die Spieler sind weitgehend identisch - die Spielidee, die gelehrt wird, ebenso. Okay, es gibt ein verändertes Athletiktraining und eine Ernährungsberaterin schaut den Spielern in den Kühlschrank, aber das sind fast nur Nuancen. Seine Art hat Wagner ebenfalls nicht geändert, wie die Spieler bestätigen. In der vergangenen Saison überließ er in den Einheiten seinen Co-Trainern die Kommandos und blieb in den Spielern eher ruhig - so ist es immer noch.
Schalke unterliegt Verl und Uerdingen
Die Hinrunde der vergangenen Saison, pflegt Wagner zu sagen, war großartig. Und deshalb kopiert er das Programm der Vorbereitung. Einen Neuanfang rief Wagner trotzdem aus. Den Sieglos-Rucksack wollte er nicht mit in die Vorbereitung nehmen. Doch nach den zwei Testspiel-Blamagen gegen die Drittligisten SC Verl (4:5) und KFC Uerdingen (1:3) sind die negativen Emotionen wieder da - und das mit voller Wucht. Von den jeweils 300 Zuschauern im Parkstadion gab es höhnischen Beifall, auch mal wütende "Schämt-Euch"-Rufe. Die Fans sind sehr niedergeschlagen, mehr noch: Einige haben sich schon abgewendet, viele andere Angst um ihren finanziell und sportlich angeschlagenen Klub. Symbolik und Emotionalität sind auf Schalke schon in Testspielen wichtig, Schneider sollte das nicht vergessen.
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Ist denn eine Trendwende aktuell möglich? Das ist schwer zu glauben. Es gibt noch keine externen Zugänge. Das heißt: Wagner kennt alle Spieler. Und alle Spieler wissen, welche Taktik der Trainer bevorzugt. Teambuilding-Veranstaltungen entfallen - alle kennen sich sowieso schon. Doch trotzdem sind die aktuellen Leistungen ein Desaster - fast alle anderen Bundesligisten überzeugen trotz des harten Trainings auch in den Testspielen. Schalke nicht.
Schlimmer: Die Spieler wirken teilweise lustlos, als ob Wagner sie nicht mehr packen könnte. Schalkes Kader ist ein Sammelsurium aus Individualisten. Davon sollen einige weg, andere wollen weg. Einigen fehlt aktuell das Tempo für die Bundesliga - vor allem Routiniers wie Bastian Oczipka, Benjamin Stambouli und Guido Burgstaller. Und die Spieler, denen Schalke wirklich am Herzen liegt, haben Angst. Angst vor dem Abstiegskampf. Dass eine nötige Trendwende nicht mehr gelingt.
Schalke: Schneider vertraut Wagner
Für Wagner läuft es nicht gut. Einen schnellen Rausschmiss muss er aber trotzdem nicht befürchten. Unumstritten ist der Trainer bei allen Schalke-Bossen schon längst nicht mehr. Sportvorstand Jochen Schneider musste seine Gründe nicht nur einmal vortragen. Nur dank Schneiders Zuspruchs ist Wagner überhaupt noch im Amt.
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Der Trainer gibt auf Ergebnisse in der Vorbereitung, so blamabel sie auch sein mögen, nichts - die Symbolik der Blamagen spielt für ihn keine Rolle. Schneider will Wagner die komplette Zeit einräumen, das Team auf die erste DFB-Pokalrunde vorzubereiten. Wagner steht noch ein Jahr und elf Monate unter Vertrag, sein Salär ist üppig, die Abfindung wäre riesig. Deshalb: Ein Rausschmiss ist teuer, die Einstellung des neuen Trainers noch mehr. Zu erwartende Transfererlöse will Schneider aber lieber in Spieler statt in Trainer investieren. Zumal die guten Alternativen auf dem Trainermarkt viel zu teuer sind.
Schneider wird Wagner weiter vertrauen. Und darauf hoffen, dass die Trendwende doch noch kommt - auch wenn viel dagegen spricht. Klappt es nicht und Schalke verpatzt den Saisonstart, muss sich auch Schneider gute Argumente überlegen.