Gelsenkirchen. Am Freitag, dem 13. wurde die Bundesliga lahmgelegt. Nicht nur für Schalke 04 begann an diesem Tag ein Kampf um die Existenz. Ein Protokoll.
Es begann mit einer SMS morgens um 9.49 Uhr. Versehen mit einem dicken, roten Ausrufezeichen und geschrieben in Großbuchstaben teilte Schalke 04 auf dem dringlichsten Weg mit, dass das für den Nachmittag vorgesehene Mediengespräch mit Trainer David Wagner „aufgrund von Vorsichtsmaßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19“ nicht stattfinden könne. Spätestens mit dieser Nachricht an einem Freitag vor knapp neun Wochen war klar, dass jetzt nichts mehr so sein würde wie bisher. Die Bedrohung durch das Corona-Virus hatte die Bundesliga lahmgelegt – wenige Stunden später wurde auch das für den nächsten Tag vorgesehene Derby zwischen Dortmund und Schalke abgesagt.
Es war Freitag, der 13. März.
Seit diesem Tag befindet sich die Bundesliga in einem Zustand der Bedrohung. Am kommenden Samstag soll der Re-Start versucht werden – das Protokoll der vergangenen neun Wochen zeigt eindeutig, was jetzt auf dem Spiel steht.
Montag, 16. März: In Frankfurt treffen sich die Profiklubs zur Krisensitzung – die Vertreter sind an diesem Tag tatsächlich noch persönlich vor Ort und nicht virtuell zugeschaltet. Danach geht Christian Seifert, der Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL) an die Öffentlichkeit und verbreitet schon jetzt die schonungslose Wahrheit: „Geisterspiele werden in der nächsten Zeit die einzige Überlebenschance sein.“ Für Schalke 04 verbreitet Kommunikations-Vorstand Alexander Jobst ein Statement, in dem es unter anderem heißt: „Die Auswirkungen der aktuellen Situation zeigen, dass es um die Existenz des FC Schalke 04 und der Clubs der ersten und zweiten Bundesliga geht.“
Schalke ist der einzige Verein, der das an diesem Tag so deutlich sagt. Bedroht sind aber viele.
Dienstag, 17. März: Schalke lädt zur Bilanz-Pressekonferenz – der Termin stand schon vorher fest, wird aber jetzt natürlich mit Corona in Verbindung gebracht. Finanzvorstand Peter Peters verkündet das schon vorher für das Geschäftsjahr 2019 erwartete Millionen-Loch (26,1 Millionen Euro Miese), sagt aber auch: „Es muss sich um die Grundsubstanz niemand Sorgen machen – wenn sich die Welt normal weiterdreht.“ Wenn…
Freitag, 20. März: Für Schalkes Spieler geht die erste Woche im Homeoffice zu Ende, sie trainieren zu Hause. Am Abend lässt Trainer David Wagner verbreiten: Das Homeoffice wird bis zum 27. März verlängert.
Sonntag, 22. März: Auf Schalke wird ein Einstellungs- und Investitionsstopp bekanntgegeben. Sportvorstand Jochen Schneider sagt: „Auch Transfergespräche sind vorerst auf Eis gelegt.“
Montag, 23. März: Schalke-Vorstand Alexander Jobst kündigt im WAZ-Interview an, dass ein Gehaltsverzicht auf Schalke kommen wird: „Das erste Signal kam von der Mannschaft.“ Gleichzeitig spricht er zum ersten Mal von Kurzarbeit.
Freitag, 27. März: Der Gehaltsverzicht wird offiziell beschlossen, er gilt zunächst für vier Monate bis Ende Juni. Pro Monat spart Schalke 2,5 Millionen Euro, insgesamt also zehn Millionen Euro. Es beteiligten sich 70 Personen, nicht nur die Profis und die Führungskräfte. Durch die Einsparungen kann Schalke das Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter aufstocken, die in Kurzarbeit sind. Die WAZ titelt danach: „Schalker Stabilitätspakt“.
Dienstag, 31. März: Schalkes Trainer David Wagner äußert sich bei Sky Sport News HD zum ersten Mal ausführlich zur Lage. Er hofft, bald zumindest in Kleingruppen wieder mit der Mannschaft auf dem Platz trainieren zu können. Angesprochen darauf, dass während der Pause verletzte Spieler wie Sané, Caligiuri oder Serdar zurückkehren, sagt er: „Ich kann aus der Geschichte nichts Positives mitnehmen“ – eine solche blau-weiße Brille würde er niemals aufsetzen.
Ohne Fußball hat Schalke: nichts
Am gleichen Tag kommen die Profi-Klubs zum ersten Mal zu einer virtuellen Sitzung zusammen. Alle Spiele sind bis mindestens 30. April ausgesetzt. Vorsichtig werden zwei Szenarien für den Re-Start entwickelt. Option eins: Ein Start am 2. Mai. Option zwei: Eine Woche später am 9. Mai. Zugleich wird beschlossen, dass es bei Insolvenzen von Vereinen keinen Punktabzug geben soll. Und: Es ist zu ersten Mal von einem Hygiene-Konzept die Rede, mit dem auch die Politik überzeugt werden soll, die Rückkehr in den Spielbetrieb zu genehmigen.
Freitag, 3. April: Das Fachmagazin Kicker meldet: 13 der 36 Proficlubs droht bis Juni die Insolvenz, wenn die letzte Rate der TV-Gelder nicht fließt. Betroffen seien auch vier Erstligisten. Am Wochenende sagt Schalke-Boss Clemens Tönnies der Welt am Sonntag: „Um Schalke mache ich mir große Sorgen.“ Wie konkret Schalke bedroht ist, will der Verein aber nicht erklären.
Mittwoch, 8. April: Schalke wendet sich an seine Ticket-Inhaber und bietet für die sich abzeichnenden Geisterspiele Trikots als Entschädigung an. Der Verein, so heißt es, befinde sich in einer „potenziell existenzbedrohenden Situation.“
Am Abend wird Alexander Jobst bei einem Fan-Chat die Frage gestellt, wie lange Schalke ohne Einnahmen noch durchhalten kann – eine konkrete Antwort bleibt er schuldig. „Wir wollen keine Ängste schüren.“ Seit drei Wochen mache er sich ernsthafte Sorgen um Schalke. Erstmals verbreitet Jobst jedoch auch ein Stück Zuversicht: „Wir sind positiv gestimmt, dass wir die Krise meistern werden.“
Dienstag, 14. April: Finanzvorstand Peter Peters verkündet beim nächsten Fan-Chat weitere Sparmaßnahmen: Der Verein wird für seine Basketballer keine Lizenz mehr für die 2. Liga ProA beantragen. Schalke müsse jetzt feststellen: „Wenn der Fußball nicht da ist, bleibt uns nichts. Nahezu alle Einnahmen hängen an der Durchführung eines Fußballspiels.“
Die DFL verschiebt ihre für den 17. April geplante nächste Krisensitzung auf den 23. April. Es macht sich im Fußball auch Demut breit – auch wenn das so nicht jeder erkennen will.
Mittwoch, 15. April: Schalke trainiert inzwischen wieder in Kleingruppen auf dem Platz. Bevor jemand aufs Vereinsgelände fährt, muss er Auskunft geben, ob er symptomfrei ist – Fiebermessen inklusive.
Freitag, 17. April: Die DFL dementiert, dass es bereits eine schriftlich fixierte Einigung mit dem TV-Sender Sky über eine Auszahlung der so wichtigen Fernsehgelder gebe. Dennoch zeichnet sich ab, dass das Geld kommen wird – für Schalke eine gute Nachricht.
Montag, 20. April: Im WAZ-Interview spricht Schalkes Trainer David Wagner über den Re-Start. Auch er gibt sich demütig: „Wir sollten extrem vorsichtig sein, Forderungen zu stellen.“
Am Abend signalisiert die Politik zum ersten Mal: Ein Neustart der Bundesliga am 9. Mai sei denkbar.
Donnerstag, 23. April: Die DFL verkündet nach ihrer nächsten Konferenz eine Einigung über die Auszahlung der Fernsehgelder – damit ist Schalkes Saison durchfinanziert, der Klub atmet auf. Gleichzeitig stellt die DFL die Weichen für den Neustart der Liga, legt sich dabei aber nicht auf einen Zeitpunkt fest: „Ein Datum zu nennen, wäre anmaßend“, sagt Seifert. „Es bleibt einzig und allein maßgebend, was die politisch Verantwortlichen entscheiden.“ Als heimlicher Wunsch gilt der 9. Mai, diskutiert wird aber jetzt auch über den 16. Mai.
Donnerstag, 30. April: Die von vielen erhoffte Entscheidung der Politik über den Neustart fällt noch nicht. Damit ist klar: Der 9. Mai ist als Termin nicht mehr realistisch.
Mittwoch, 6. Mai: Am Nachmittag gibt Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannt: Grünes Licht für einen Start in der zweiten Mai-Hälfte.
Donnerstag, 7. Mai: Die Liga legt sich bei ihrer nächsten Sitzung auf den 16. Mai als Start-Termin fest – für Schalke geht es dann mit dem Derby los. Noch am Nachmittag des 7. Mai nimmt Schalke wieder das Mannschaftstraining auf.
Samstag, 16. Mai: Die Bundesliga will wieder spielen – nach neun Wochen zwischen Hoffen und Bangen. Anstoß für das Derby: 15.30 Uhr.