Gelsenkirchen. Teil 4 der Serie über Schalkes Krisen: Der Bundesliga-Skandal von 1971 riss die halbe Liga in einen Strudel, Schalke traf er aber besonders hart.

Es läuft die 82. Spielminute in der Gelsenkirchener Glückauf-Kampfbahn. Das Bundesliga-Match zwischen Schalke und der abstiegsbedrohten Arminia aus Bielefeld steuert scheinbar unaufhaltsam auf ein 0:0 zu. Vor der Pause hat Schalke in Gestalt von Aki Lütkebohmert je einmal Pfosten und Latte getroffen, nach der Pause arbeiten sich die Bielefelder verzweifelt am starken Schalker Keeper Dieter Burdenski ab. Was keiner der rund 12.000 Zuschauer im alt-ehrwürdigen Oval ahnt: Dieses Spiel kann nicht torlos enden. Denn die Schalker Profis haben es an ihre Bielefelder Konkurrenten „verkauft“, für 40.000 Mark. Und so gelingt dem späteren Bundesliga-Trainer Gerd Roggensack in der Schlussphase tatsächlich noch der 1:0-Siegtreffer für die Gäste. „Die Hälfte der Spieler tänzelte unter Normalform übern Rasen“, wird die WAZ anschließend über Schalkes Vorstellung schreiben.

Darum hatte Schalke noch viele Jahre mit den Folgen zu kämpfen

Das Duell vom 28. Spieltag der Saison 1970/71 war nur eine von unzähligen verschobenen Partien in jenen Wochen. Mehrere Abstiegskandidaten boten ihren Gegnern hohe Geldsummen, damit diese ihnen die Punkte überließen. Und die Geköderten willigten nur allzu oft ein. Nachweislich an derlei Betrügereien beteiligt waren neben Schalke und Bielefeld auch Rot-Weiß Oberhausen, Kickers Offenbach, der MSV Duisburg, der VfB Stuttgart, Hertha BSC, der 1. FC Köln und Eintracht Braunschweig. Doch wenn heute vom „Bundesliga-Skandal“ die Rede ist, fällt zuerst der Name Schalke 04. Das ist einerseits ungerecht, hat andererseits jedoch gute Gründe: Die königsblauen Profis weigerten sich nämlich am hartnäckigsten, ihre Missetaten zu gestehen, weshalb Schalke noch viele Jahre mit den Folgen zu kämpfen haben sollte ...

Vor Gericht: Jürgen Sobieray, Klaus Fischer, Hans Pirkner und ganz rechts  der zu Werder Bremen gewechselte Dieter Burdenski.
Vor Gericht: Jürgen Sobieray, Klaus Fischer, Hans Pirkner und ganz rechts der zu Werder Bremen gewechselte Dieter Burdenski. © imago sportfotodienst | imago sportfotodienst

In der Endabrechnung der Saison 1970/71 verhinderte das 0:1 gegen Bielefeld den Schalker Einzug in den UEFA-Cup und brachte den Klub um stattliche Zusatzeinkünfte. Das nahm man noch vergleichsweise locker. Weniger gelassen reagierten die Schalker auf einen „Bild“-Bericht im November 1971, demzufolge Bielefeld-Profi Waldemar Slomiany, ein früherer S04-Spieler, ihnen vor der Partie ein Couvert mit 40.000 Mark übergeben hatte. Das stimmte zwar, doch Verein und Spieler klagten gegen diese Darstellung und fügten eine eidesstattliche Erklärung von acht Profis (darunter Rolf Rüssmann, Stan Libuda, Jürgen Sobieray, Klaus Fichtel und Klaus Fischer) hinzu. Eine Dummheit, die den Betroffenen ein Verfahren wegen eidesstattlicher Falschaussage und dem Klub den Beinamen „FC Meineid“ einhandelte.

Sportlich litt Schalke zunächst gar nicht unter der Affäre, im Gegenteil: In der folgenden Saison 1971/72 spielte das Team des kroatischen Trainers Ivica Horvat groß auf und wäre um ein Haar Deutscher Meister geworden. Erst ein 1:5 beim direkten Konkurrenten FC Bayern am 34. Spieltag beendete Schalkes Titeltraum. Kurz darauf aber feierten die Knappen in Hannover den Gewinn des DFB-Pokals durch einen furiosen 5:0-Sieg über Kaiserslautern. Es war das vorläufig letzte Spiel von Libuda in Königsblau. Der begnadete Dribbler wurde bald darauf wegen der Spielmanipulation gesperrt und floh zu Racing Straßburg nach Frankreich.

In der Saison 1972/73 musste Schalke zudem auf weitere gesperrte Stützen wie Fischer, Sobieray und später auch Rüssmann verzichten. Statt sein begonnenes Meisterwerk zu vollenden, musste Coach Horvat nun auf namenlose Nachwuchskräfte wie den Luxemburger Nico Braun (damals 21), den Ickerner Hartmut Huhse (20) oder die blutjungen Bottroper Paul Holz (19) und Manni Dubski (17) setzen. „Schalke war zum Glück in der Jugend gut aufgestellt“, erinnert sich der damals 16-jährige Rechtsaußen Rüdiger Abramczik, der in jener Saison erstmals mit dem Bundesliga-Team trainieren durfte: „Mit Friedel Rausch hatten wir einen tollen A-Jugend-Trainer und in Horvat einen Profi-Coach, der den Jungen, die hochkamen, vertraute.“

Der Abstieg wurde am 34. Spieltag verhindert

Das unerfahrene Schalker Rumpfteam meisterte die Krise, die ihm die Stars eingebrockt hatten, letztlich bravourös: Ein 2:0-Heimsieg über den HSV am 34. Spieltag verhinderte den Abstieg und den drohenden wirtschaftlichen Super-GAU. Doch auch so brachten Skandal und Sperren den Klub um eine Millionensumme, denn der Zuschauerschnitt war von 27.800 (Saison 1971/72) auf rund 21.000 (1972/73) gefallen. Erst zur Saison 1973/74 kehrten viele abtrünnige Fans zurück, zumal im weiteren Verlauf einige Stars wie Fischer (ab dem 10. Spieltag) und Rüssmann (nach der Winterpause) vom DFB begnadigt wurden. Obendrein sorgte der mittlerweile 17-jährige Abramczik für Furore bei den Profis: „Horvat hatte mich quasi fertig ausgebildet“, blickt „Abi“ heute dankbar zurück. „Er war ein harter Trainer, aber ein liebenswürdiger Mensch, für den man sich gerne den Arsch aufriss.“

Am Ende der Saison 1973/74 grüßten die Knappen von Platz sieben, und es hätte weitaus mehr werden können, hätte nicht im April 1974 der Prozess wegen eidesstattlicher Falschaussage gegen besagte acht Spieler begonnen: Schalke war plötzlich komplett von der Rolle und verlor die letzten drei Saisonspiele allesamt. Letztlich dauerte es noch bis Anfang 1978, ehe das verhängnisvolle 0:1 gegen Bielefeld (sport-)gerichtlich komplett aufgearbeitet war. Rüdiger Abramczik ist sich bis heute sicher: „Wäre der Bundesliga-Skandal nicht gewesen, wären wir unter Horvat früher oder später Meister geworden.“