Essen. Die Bundesliga-Saison soll mit Geisterspielen zu Ende gebracht werden, sonst drohen Insolvenzen. Sportrechtler Summerer hat eine Empfehlung.

Die Fußball-Bundesliga steht vor wegweisenden Entscheidungen. Die Profivereine hoffen, dass die wegen der Corona-Krise unterbrochene Saison irgendwie zu Ende gespielt werden kann. „Geisterspiele sind unbeliebt, deshalb ultima ratio, aber für die Klubs unverzichtbar, weil sonst die letzte Rate der Fernsehgelder auszubleiben droht, auf die die meisten Klubs angewiesen sind, um eine drohende Insolvenz zu verhindern“, sagt der renommierte Sportrecht-Experte Thomas Summerer im Interview. Der 59-Jährige war von 2001 bis 2007 Direktor Recht und Personal bei der Deutsche Fußball-Liga und baute als Chefjustiziar die DFL-Rechtsabteilung auf. Er ist Gründungspartner der auf Sport- und Sportsteuerrecht spezialisierten Sozietät SOS mit Standorten in München, Freiburg und und Düsseldorf.

Die Bundesliga pausiert zumindest bis Ende dieses Monats, alles läuft auf eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs am 9. Mai hinaus. Am 23. April steht erneut eine außerordentliche Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga an. Die Vereine hoffen darauf, die Spielzeit mit Geisterspielen bis zum 30. Juni zu beenden.

Sportrecht-Experte erklärt mögliche Insolvenzen für Bundesliga-Vereine

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Welche Fragen drängen sich Ihrer Meinung nach in der aktuellen Situation aus rechtlicher Perspektive für den Sport auf?

Thomas Summerer: Primär ist zu fragen, wie Sportvereine und Verbände den Spielbetrieb organisiert hätten, wenn sie eine Krise wie Corona vorhergesehen hätten. Der Sport sollte seinem Anspruch und seinen Werten treu bleiben, die sowohl in Zeiten mit Corona als auch in Zeiten ohne Corona gleichermaßen gelten: Gesundheitsschutz für Sportler und Betreuer, Chancengleichheit für Sportler und Klubs, Wettbewerbsintegrität, mitgliedschaftliche Treuepflichten und Fanakzeptanz. Aus diesen Maximen lassen sich die richtigen Antworten ableiten.

Es läuft darauf hinaus, dass die Bundesliga mit Geisterspielen zu Ende gespielt wird. Wie ist das zu bewerten?

Geisterspiele sind unbeliebt, deshalb ultima ratio, aber für die Klubs unverzichtbar, weil sonst die letzte Rate der Fernsehgelder auszubleiben droht. Darauf sind die meisten Klubs angewiesen, um eine drohende Insolvenz zu verhindern. Insoweit sehe ich die Ligen geradezu verpflichtet, einen vorzeitigen Abbruch der Saison möglichst zu vermeiden, die Saison falls nötig über den 30. Juni hinaus zu verlängern und als letztes Mittel Geisterspiele durchführen zu lassen, sofern die DFL für eine ausreichende Infektionsprävention sorgt und die Behörden es zulassen. Insofern ist die DFL rechtlich auf dem richtigen Weg.

Welche Rechte haben Sponsoren, Geld zurückzufordern wenn gar nicht mehr gespielt wird oder die Saison mit Geisterspielen fortgesetzt wird?

Wenn nicht mehr gespielt wird, sind Sponsoren berechtigt, ihre Leistung zu verweigern und Geld zurückzufordern. Wenn die Saison mit Geisterspielen fortgesetzt wird, kommt es darauf an, inwieweit die Marke der Sponsoren von ihrer Zielgruppe noch wahrgenommen wird. Wenn die „Awareness“ sinkt, erhöht sich der „1000er-Kontakt-Preis“, was den Wert für die Sponsoren verringert. Daraus ergibt sich ein Anspruch der Sponsoren, ihre Zahlungen anzupassen, also gegebenenfalls zu verringern. Man spricht von einer Störung der Geschäftsgrundlage.

Thomas Summerer ist ein auf Sportrecht spezialisierte Anwalt. Der 59-Jährige war von 2001 bis 2007 Direktor Recht und Personal bei der Deutsche Fußball-Liga und baute als Chefjustiziar die DFL-Rechtsabteilung auf. Er ist Gründungspartner der auf Sport- und Sportsteuerrecht spezialisierten Sozietät SOS mit Standorten in München, Freiburg und und Düsseldorf.
Thomas Summerer ist ein auf Sportrecht spezialisierte Anwalt. Der 59-Jährige war von 2001 bis 2007 Direktor Recht und Personal bei der Deutsche Fußball-Liga und baute als Chefjustiziar die DFL-Rechtsabteilung auf. Er ist Gründungspartner der auf Sport- und Sportsteuerrecht spezialisierten Sozietät SOS mit Standorten in München, Freiburg und und Düsseldorf. © dpa

Wie wären Entscheidungen über Auf- und Abstieg, Meisterschaft und die Teilnahme an Europapokalwettbewerben bei einem Abbruch zu beurteilen? Welche Option wäre da die rechtlich sicherste?

Einen absolut sicheren Weg gibt es nicht. Die Sportverbände haben jedenfalls aufgrund ihrer Autonomie einen Ermessensspielraum, wie sie die wohl unvorhersehbare Krise am besten lösen. Dabei gilt es, Angriffsflächen und Härtefälle gering zu halten, um Klagen zu vermeiden. Meines Erachtens wäre die Annullierung der gesamten Saison die undankbarste Lösung, weil diejenigen Klubs, die hart gearbeitet und sich entwickelt haben, um die Früchte ihrer Arbeit gebracht würden. Die Hinrunden-Tabelle ist kein hinreichender Gradmesser, da die weiteren Spiele ignoriert würden.

Bleibt die aktuelle Tabelle.

Diese aktuelle Tabelle sollte im Falle eines Saisonabbruchs als maßgeblich herangezogen werden, um die Teilnehmer an den europäischen Wettbewerben festzulegen, was freilich mit der Uefa abzustimmen wäre. Dies gilt konsequenterweise auch für die Kür des deutschen Meisters; vielleicht würde dieser als Akt der Solidarität darauf sogar verzichten. Absteiger sollte es möglichst keine geben, Aufsteiger schon, was zu einer Aufstockung der Bundesliga für eine Saison führen würde. Dies wäre organisatorisch machbar. Die aktuelle Tabelle einer Spielklasse taugt aber nur dann als Maßstab, wenn die Klubs gleich viele Spiele absolviert haben; ist dies nicht der Fall, bedarf es eines Rankings mit dem jeweiligen Punktedurchschnitt aus der unterschiedlichen Zahl absolvierter Partien.

Welche Chance auf Entschädigung haben Ticketbesitzer?

Besitzer einer Einzelkarte können eine Erstattung des Preises verlangen, Dauerkartenbesitzer eine Teilerstattung. Allerdings plant die Bundesregierung zum Schutz der Vereine gerade ein Gesetz, wonach anstatt einer Erstattung vorläufig nur ein Gutschein verlangt werden kann.

Wie würde sich die Verlängerung der Saison über den 30. Juni hinaus auf vertragliche Beziehungen auswirken?

Zahlreiche Spielerverträge enden am 30. Juni, da deren Dauer an das Ende einer Saison gekoppelt ist. Allerdings hat der DFB zugunsten größtmöglicher Flexibilität die Spielordnung geändert, so dass die Saison über den 30. Juni hinaus fortgesetzt und das neue Spieljahr 2020/21 zu einem späteren Zeitpunkt begonnen werden kann. Da die Corona-Pandemie zu einer Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, können die Spielerverträge angepasst, also entsprechend verlängert werden.

Es drohen Insolvenzen. Was hätte das - abgesehen von den Folgen für die Klubs - auf die Liga für Auswirkungen?

Bei der Insolvenz der Kirch-Gruppe als Lizenznehmerin im April 2002 gab es schon einmal ein hohes Insolvenzrisiko für DFL und Klubs, was damals unter meiner Mitwirkung gemeistert werden konnte. Aufgrund der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht vorerst bis 30.09.2020 ausgesetzt. Außerdem bestünde für die DFL die Möglichkeit, von der Regierung verbürgte Kreditlinien der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu beantragen. Der bisher obligatorische Abzug von neun Punkten als Sanktion für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird in der laufenden Saison ausgesetzt. Bei einer Insolvenz in der kommenden Saison würden nur drei Punkte abgezogen.

Mit einem solchen Szenario wie der Corona-Krise konnte niemand rechnen? Müssen Statuten und Verordnungen im Sportbereich für ähnliche Szenarien angepasst werden?

Nach den Erfahrungen mit Corona müssen die Statuten der Sportverbände für derartige Krisen nachgeschärft werden. Im Handball existiert immerhin eine Regelung in der Spielordnung, wonach Auf- und Absteiger von der spielleitenden Stelle nach sportlichen Gesichtspunkten bestimmt werden, wenn sie aus spieltechnischen oder sonstigen Gründen nicht termingerecht für die nächste Saison ermittelt werden können.

Als neue Möglichkeit ist für Vereine jetzt das sogenannte E-Voting möglich. Was bedeutet das?

In einem Verein werden Beschlüsse normalerweise in einer Mitgliederversammlung gefasst, zu der alle Mitglieder in einer Versammlungsstätte zusammenkommen. Nur wenige fortschrittliche Vereine und Verbände, wie zum Beispiel die Deutsche Taekwondo Union, sehen in ihrer Satzung die elektronische Beschlussfassung vor. Hier sorgt das neue Gesetz zur Abmilderung der Folgen von Corona vom 27. März für Erleichterungen: auch ohne Satzungsgrundlage können Beschlüsse elektronisch gefasst werden; außerdem bleiben Vorstände auch über ihre Amtszeit so lange im Amt, bis eine Nachwahl stattgefunden hat.

Noch eine Verbraucherfrage zum Abschluss. Was passiert eigentlich mit einer Fitnessstudiogebühr oder Vereinsgebühr? Das Training ist ja gerade nicht möglich?

Das Bundeskabinett hat den Fraktionen einen Gesetzentwurf vorgeschlagen, der für Verbraucher eine „Gutschein-Lösung“ für derzeit nicht nutzbare Tickets und Fitness-Studios vorsieht. Diese Gutscheine sollen bis Ende 2021 gelten. Erst Anfang 2022 sollen die Veranstalter den vollen Wert nicht genutzter Gutscheine auszahlen müssen. (dpa)