Gelsenkirchen. Sebastian Boenisch spielte für Schalke und für Leverkusen, er hatte ein spektakuläres Debüt. Königsblau liegt dem Verteidiger heute noch näher.
Als sich Sebastian Boenisch am 11. Februar 2006 zur Einwechslung bereitmachte, war eigentlich alles gelaufen. Und wie: Schalke führte mit 7:4 gegen Bayer Leverkusen, und es waren nur noch sechs Minuten zu absolvieren. Also verhalf der damalige S04-Coach Mirko Slomka dem 19-jährigen Eigengewächs Boenisch zu dessen Bundesliga-Debüt. „In dem Moment, als ich ins Spiel kam, war ich natürlich aufgeregt ohne Ende“, erinnert sich der mittlerweile 32-Jährige. „Die Arena hat gebrannt – klar, beim Stand von 7:4. Das war schon spektakulär damals, und fußballerisch war es eine dankbare Aufgabe. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt noch eine Ballberührung hatte. Viel falsch gemacht haben kann ich jedenfalls nicht, es blieb ja bekanntlich beim 7:4.“ Einem Resultat für die Ewigkeit.
Boenisch tippt diplomatisch auf ein 1:1
Für das kommende Duell zwischen Leverkusen und Schalke am Samstag (18.30 Uhr/Sky) rechnet Boenisch nicht mit einer solchen Torflut wie 2006. „Ich tippe mal ganz diplomatisch auf ein 1:1, schließlich habe ich ja für beide Vereine gespielt“, sagt er nach kurzem Überlegen. Ob seine Vorhersage eintrifft, kann Boenisch in aller Ruhe im Fernsehen verfolgen. Denn sein aktueller Klub, der österreichische Zweitligist Floridsdorfer AC, weilt bereits in der Winterpause. Statt Bayern, Schalke oder Leverkusen heißen Boenisch’ Gegner seit diesem Sommer: SKU Amstetten, FC Dornbirn oder SV Lafnitz. Die Mission lautet: Klassenerhalt im österreichischen Unterhaus.
Dennoch sieht Boenisch keinerlei Grund zum Jammern. „Hier habe ich gewissermaßen Fußball pur: das Training, die Spiele, die Auswärtsreisen mit den Jungs. Das macht echt Spaß. Nur das Drumherum ist ganz anders als in der Bundesliga: Wir haben hier auch einen schönen VIP-Club mit gutem Essen, aber natürlich ist alles viel kleiner und familiärer.“
Die deutsche Elite-Spielklasse hat Sebastian Boenisch dennoch nicht aus den Augen verloren, wie er durchblicken lässt: „Leverkusen ist ja zurzeit eine ziemliche Wundertüte, so weit ich das zuletzt verfolgt habe: Manche Spiele, wie etwa gegen Atlético Madrid, sind richtig gut, andere eher nicht so.“ Wobei Boenisch’ Herz ein bisschen mehr für Schalke schlägt als für Bayer: „Klar, mit der Schalker A-Jugend war ich 2005 Deutscher Pokalsieger und 2006 Deutscher Meister. Beim 2:1-Sieg im Meisterschaftsfinale gegen Bayern habe ich sogar ein Tor geschossen, per Elfmeter – und das vor 8.000 Zuschauern. Das war damals noch etwas ganz Besonderes für uns Jungs. Später hat Schalke mir dann den Weg in den bezahlten Fußball geebnet, so was vergisst man natürlich nicht.“
2003 bis 2007 auf Schalke
Sebastian Boenisch (32) absolvierte insgesamt 124 Bundesligaspiele für Schalke 04 (bis 2007), Werder Bremen (bis 2012) und Bayer Leverkusen (bis 2016).
Der in Polen geborene Verteidiger spielte in der Jugend unter anderem für Rot-Weiß Oberhausen und Borussia Velbert, ehe er 2003 in die Schalker Nachwuchsabteilung kam.
Doch nach seinem spektakulären Bundesliga-Debüt im königsblauen Trikot kam Sebastian Boenisch auf Schalke nur noch zu acht weiteren Einsätzen im Oberhaus. Das damalige Starensemble um Lincoln, Rafinha oder Kevin Kuranyi bot wenig Platz für Newcomer, abgesehen von Mesut Özil. Und so wechselte der unter dem Familiennamen Pniowski in Polen geborene Boenisch 2007 zum SV Werder, mit dem er 2009 den DFB-Pokal holte und bis ins UEFA-Cup-Finale vordrang. Noch im selben Sommer gewann Boenisch an der Seite von Manuel Neuer, Benedikt Höwedes & Co. den U21-Europameister-Titel. „Bei Werder hatte ich sicher meine erfolgreichste Zeit“, bilanziert der 124-malige Bundesliga-Spieler. „Aber so ist das im Fußball: Alles geht einmal vorbei.“
Die EM 2012 für Polen gespielt
Nach der EM 2012, die Doppel-Staatsbürger Boenisch für Gastgeber Polen bestritt, landete er ablösefrei in Leverkusen. Dreimal traf Boenisch mit der Werkself auf seine Jugendliebe Schalke – ohne durchschlagenden Erfolg: zweimal gewann Königsblau, ein Spiel endete remis. Mögliche weitere Duelle verpasste der Defensivmann, wie so viele andere Partien, aufgrund von Verletzungen. Im Sommer 2016 wurde Boenisch’ Vertrag in Leverkusen nicht mehr verlängert, und die Karriere des einstigen Shootingstars erlitt einen bizarren Knick. 2016/17 gab der inzwischen 29-Jährige noch ein knapp einjähriges Intermezzo beim damaligen Zweitligisten 1860 München, dann kam das Aus. So schien es zumindest.
Es folgten zwei quälend lange Jahre der Vereinslosigkeit, in denen sich Sebastian Boenisch anfangs mit Individualtraining fit halten musste. Tag für Tag schuftete er auf einem Sportplatz nahe Düsseldorf, wo seine Eltern leben. Irgendwann aber zog der restlos frustrierte Fußballer mit seiner Familie nach Wien, in die Heimat seiner Ehefrau Tatjana, die 2006 „Miss Austria“ war. Und plötzlich tat sich eine Tür auf: Bereits in der Rückrunde der vergangenen Saison trainierte Boenisch mit den Kickern des Floridsdorfer AC – jenes kleinen Wiener Traditionsklubs, der schon so viele große Namen hervorbrachte: Ernst Ocwirk, Peter Pacult oder Marko Arnautovic. „Den Peter Pacult habe ich hier schon einige Male auf der Tribüne gesehen“, berichtet Boenisch, der „dem FAC gegenüber auch eine gewisse Dankbarkeit“ empfindet.
Jetzt ist Wien der Lebensmittelpunkt
Von seinen Ex-Arbeitgebern S04 und Bayer 04 zeigt sich der Vater zweier Söhne derweil etwas enttäuscht: „Während der langen Zeit, in der ich ohne Vertrag war, fragte mein Management bei allen Profivereinen aus Nordrhein-Westfalen an, ob ich mich dort fit halten und gelegentlich mit den Profis mittrainieren könnte – aber das war anscheinend nirgends möglich, auch nicht auf Schalke oder in Leverkusen“, sagt Boenisch achselzuckend. „Das hat mich, ehrlich gesagt, schon verwundert. Es hieß, ich könnte ja mal mit der 2. Mannschaft trainieren, aber das war irgendwie nicht das Richtige für mich.“
Nun also ist Wien der Lebensmittelpunkt des Sebastian Boenisch. „Es gibt echt schlechtere Städte zum Leben“, verrät er. „Andererseits weiß man nie, was das Fußballgeschäft noch bringt. Ich bin ja erst 32 ...“