Essen. Rüdiger Abramczik spielte sowohl für Schalke 04 als auch für Borussia Dortmund. Für welchen Klub sein Herz schlägt, wird im Interview klar.
Rüdiger Abramczik ist in Plauderlaune. Der 63-Jährige hat die Begrüßung kaum beendet, da fängt er auch schon an zu reden und zu diskutieren. Über Schalke 04 und Borussia Dortmund, über Spieler, Trainer, aktuelle und längst vergangene Zeiten - und natürlich über das Revierderby am Samstag (15.30 Uhr/Sky). Abramczik hat für beide Klubs gespielt, er kann einiges erzählen über diese besondere Rivalität. Über den BVB verliert er kein böses Wort, aber es wird schnell klar, für welchen Klub sein Herz schlägt.
Starten wir mit der wichtigsten Frage: Schalke oder Dortmund?
Rüdiger Abramczik: Schalke! Ich bin Schalker Junge und ich bleibe Schalker Junge. Ich habe da von den Knaben an gespielt. Ich musste dann nach Dortmund wechseln. Dort hatte ich eine super Zeit: Die Mannschaft war gut, die Mitspieler waren super, der Vorstand mit Doktor Rauball war gut, es war alles klasse. Sonst wäre ich da nicht hingegangen. Aber ich bin und bleibe ein Schalker Junge.
Kribbelt es denn schon vor dem Derby?
Abramczik: Vor so einem Derby kribbelt es immer, das ist doch klar, schon die ganze Woche. Wir waren ja alle etwas enttäuscht, dass wir in Hoffenheim nichts geholt haben. Wir haben sehr gut gespielt, aber 0:2 verloren, und das hätte ich so nicht erwartet. Das hätten wir klar gewinnen müssen.
Dortmund dagegen hat 1:0 gegen Gladbach gewonnen.
Abramczik: Aber Gladbach hat sehr gute Chancen vergeben. Breel Embolo ist zweimal allein aufs Tor zugelaufen. Wenn man solche Chancen hat, muss man die nutzen. Ein Lewandowski hätte die reingemacht. Embolo erschien mir da zu nervös.
Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Lage in den Klubs?
Abramczik: Die Lage bei Borussia Dortmund finde ich super. Die haben hervorragend eingekauft. Wichtig wäre es jetzt, eine Truppe zu finden, die drei bis vier Spiele durchspielt, ohne Verletzung. Leider verletzt sich ja immer mal wieder jemand. Weil so eine Truppe noch nicht gefunden ist, gibt es so ein Auf und Ab. Wenn Lucien Favre das hinbekommen sollte, dass er wirklich so einen Stamm hat und nur auswechselt, wenn einer mal schlecht spielt, wird Borussia Dortmund eine ganz große Rolle in der Bundesliga spielen.
Favre wird oft vorgeworfen, er habe zu wenig Feuer und sei deswegen nicht der geeignete Trainer für einen emotionalen Klub wie Dortmund.
Abramczik: Das kann ich nicht beurteilen, so gut kenne ich ihn nicht. Aber ich kann mich erinnern, wie ich in Dortmund – übrigens mit dem heutigen Sportdirektor Michael Zorc – unter Branko Zebec gespielt habe. Wenn wir da verloren haben, wusstest du genau: „Boah, morgen früh gibt's Zunder.“ Normalerweise bin ich samstags gerne mal rausgegangen. Aber wenn wir verloren haben, bin ich direkt nach Hause gefahren.
Wie lief das dann?
Abramczik: Zebec hat Fußballschuhe und Turnschuhe in die Kabine gestellt. Manni Burgsmüller als unser Kapitän hat dann gefragt: „Trainer, was ziehen wir an?“ Dann kam die Antwort: „Was ist los? Du fragst mich, was wir anziehen? Gestern hatten wir Fußballschuhe an und das funktionierte überhaupt nicht! Heute ziehen wir Turnschuhe an!“ Damit will ich sagen: Ich kenne Favre nicht, ich weiß nicht, wie der privat ist. Aber er wirkt sehr ruhig. Vielleicht könnte ein Trainer, der mehr Druck entfacht, mehr rausholen aus der Truppe. Die Mannschaft ist ja super zusammengestellt von Michael Zorc. Aber irgendwie ist der Druck, ist das Gewinnenwollen nicht immer richtig da. Die verfallen zu oft in ihren alten Trott.
Aktuell scheint Dortmund mehr zu verlieren zu haben als Schalke.
Abramczik: Vollkommen richtig. Aber Dortmund hat auf Schalke fast immer gut ausgesehen. Es geht auch gar nicht so sehr darum, wer gut oder schlecht spielt. Sondern es geht um die Mentalität, um die Frage, wer aggressiver zur Sache geht. Beide Mannschaften werden sich bekämpfen. Dortmund kann nicht anreisen und nur schön Fußball spielen. Du musst in so einem Derby einfach aggressiv sein. Und die aggressivere Mannschaft wird gewinnen.
Sie sind 1980 von Schalke ausgerechnet zum größten Rivalen BVB gewechselt – weil Schalke die Ablösesumme von 1,1 Millionen D-Mark dringend brauchte. Die Fans waren stinksauer.
Abramczik: Ich verstehe das auch. Ich bin ja Schalker Junge, ich habe von der Jugend, von den Knaben an bis zur ersten Mannschaft für den Klub gespielt. Und es wurde ja auch vieles falsch dargestellt: Mir hatte man gesagt: Wenn du einen Verein findest, bitte mach das. Und später wurde behauptet, dass man mich gerne gehalten hätte. Keiner wollte die Verantwortung übernehmen.
Sie hätten auch zum FC Bayern gehen können.
Abramczik: Genau. Uli Hoeneß hat mich angerufen und hat gesagt: „Abi, ich habe gehört, du willst zu Dortmund. Komm lieber zu uns, wir schicken dir morgen einen Privatjet und dann verhandeln wir.“ Da hab ich gesagt: „Uli, ich habe dem Doktor Rauball schon meine Hand drauf gegeben.“ Ich hatte zwar noch nicht unterschrieben, aber ich bin nicht der Typ, der sein Wort bricht. Ich habe dem Uli dann abgesagt.
1983 haben sie dann im Parkstadion beide Tore zum 2:1-Sieg des BVB beigetragen. Durften Sie sich danach noch zu Hause sehen lassen?
Abramczik: Mein Vater ist ganz verrückter Schalker. Der hat mir schon den Wechsel übel genommen. Ich bin abends nach dem Spiel zu meinen Eltern gefahren. Mein Vater saß auf der Couch, ich kam rein, sagte hallo – und der sprach gar nicht mit mir. Ich fragte, was los ist – und dann schimpfte er: „Du hast doch einen Vogel! Du kannst uns doch nicht abschießen! Das ist doch eine Unverschämtheit! Du bist doch ein Schalker Junge!“ Ich sagte: „Vater, du hast ja recht, aber ich konnte gar nicht daneben schießen. Ich war nur einen halben Meter von der Linie entfernt. Die hätten mich totgeschlagen.“ Aber mein Vater hatte kein Verständnis dafür, dass ich gegen seinen, gegen unseren Verein zwei Tore gemacht hatte.
Die Schalker Fans auch nicht…
Abramczik: Vor einem Spiel auf Schalke sind wir zum Nebenplatz gegangen, weil wir uns nicht im Stadion warmmachen durften. Und da haben sie mich einige Schalke-Fans beim ersten Mal mit Bier überschüttet. Ich habe gerochen, als käme ich direkt aus der Kneipe. Ich habe dann den Pfarrer Dohm, der da stand, gebeten ihn gebeten, mich zu begleiten. Da sagte er: Nein, nein, nein, da musst du selber durch. Darüber war ich jahrelang empört. Ein Pfarrer muss doch Menschen unterstützen – auch wenn er nach Dortmund wechselt!
Sie hatten es aber auch als Schalker nicht immer leicht im Parkstadion.
Abramczik: Auf der Gegengeraden saßen immer 20 Leute, die nur den Stan Libuda sehen wollten. Ich stand auf dem Platz und die riefen immer: „Libuda, Libuda!“ Und ich habe zurückgerufen: „Jetzt lasst mich doch erst einmal spielen. Dann könnt ihr ja immer noch rufen.“
Dazu muss man wissen: Libuda war eine lebende Legende, ist aber am Bundesliga-Skandal zerbrochen. Dann kamen Sie, der 17-Jährige aus der eigenen Jugend, der die gleichen Tricks draufhatte…
Abramczik: Da muss ich widersprechen. Der Stan hatte Dinger gemacht, die kann man gar nicht nachmachen.
Aber in Sachen Flanken waren Sie nicht schlechter.
Abramczik: Das stimmt. Es war natürlich nicht so einfach, wenn man als junger Spieler reinkommt, und 30.000 Zuschauer „Libuda!“ rufen, wenn du mal am Gegner hängen bleibst. Aber das war für mich natürlich auch ein Ansporn, zu sagen: Den Namen will ich nicht mehr hören.
Ihr Vater war auch Libuda-Fan?
Abramczik: Der war vom Stan so begeistert, dass er mir einen seiner Tricks zeigen wollte. Und dabei hat er sich einmal am Küchenofen den Zeh gebrochen. Mein Vater sagte immer: „Genau so musst du spielen.“ Dann hab ich gesagt: „Dann muss ich auch kleiner sein und so einen Buckel haben, hab ich aber nicht. Lass mich doch so spielen, wie ich kann.“
Sie haben es dann zum Nationalspieler gebracht und haben die Flanke zu Klaus Fischers Jahrhunderttor geschlagen.
Abramczik: Die Flanke war eigentlich schlecht, die war viel zu hoch. Ich habe hinterhergeguckt und habe gedacht: Naja Fischer, viel Glück. Und dann hat er das Ding per Fallrückzieher reingehämmert. Wir haben das zwar ab und an geübt, weil der Klaus das gerne gemacht hat. Aber an dem Tag und dann auch noch bei einem Länderspiel – da habe ich nur gedacht: Was macht der denn? Und dann klappt das auch noch. Ich muss ehrlich sagen, da war ich selbst überrascht.
Zurück zum aktuellen Derby: Was wird den Ausschlag geben?
Abramczik: Die Mannschaften werden wohl erst einmal auf Fehler des Gegners warten. Ich glaube nicht, dass es sofort zur Sache geht. Dortmund wird auch nicht so schnell draufgehen, die werden meiner Ansicht nach auf Konter spielen.
Also wird Schalke das Spiel machen?
Abramczik: Das müssen sie ja, wir sind zu Hause! Wir werden mehr nach vorne spielen, wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht zu große Lücken zwischen Stürmern, Mittelfeld und Abwehr lassen. Wenn die Dortmunder da mit ihren schnellen Leuten hineinstoßen können, wird das ein Problem. Aber wenn das verhindert wird, glaube ich schon, dass Schalke mehr Druck auf Dortmund machen wird.
Ist Dortmund denn nicht die besser besetzte Mannschaft?
Abramczik: Doch, natürlich! Vor allem vorne, da haben die riesige Qualität. Ich würde von Dortmund auch gerne den einen oder anderen bei uns sehen. Dortmund hat riesige Qualität eingekauft, und das sehr gezielt – auch mit Hummels, weil sie gemerkt haben, dass da noch einer fehlt, der das ganze Schiff hinten auf Kurs hält. Wir haben ja nur einen Spieler gekauft, einen Verteidiger, mehr nicht.
Dennoch ist die Formkurve bei Dortmund sehr schwankend.
Abramczik: Weil die Dortmunder ihr Spiel nicht anpassen können. Sie spielen nach vorne, egal ob sie 2:0 führen oder nicht. Sie können einen Vorsprung nicht durch gute Verteidigungsarbeit über die Zeit retten. Die Stürmer laufen einfach immer weiter nach vorne. Wenn du 2:0 führst, musst du auch mal den Laden dicht machen und kontern können.
Zuletzt schienen die Spieler bei einer Führung oft gar nicht zu wissen, was sie nun tun sollen.
Abramczik: Und dann wäre einer wie Mats Hummels gefordert. Der muss der Chef sein, der muss sagen: „Passt auf Jungs, so läuft die Kiste, wir kriegen hier keinen mehr rein.“ Da kommt zu wenig von ihm, der ist zu ruhig. Der müsste eigentlich der Aggressivste hinten sein, der müsste alle wach machen. Der ist Nationalspieler…
Ehemaliger Nationalspieler.
Abramczik: Warten wir mal ab. Wenn sich da noch ein paar Verteidiger verletzen, steht der Jogi Löw da, bohrt sich im Ohr und sagt: "Scheiße, hätte ich ihn mal besser nicht rausgeworfen." Im Fußball ist alles möglich.
Sie glauben also, dass Hummels nochmal zurückkehrt in die Nationalmannschaft?
Abramczik: Wenn er in Dortmund durchspielen sollte und keine Verletzung hat. Löw ist zu intelligent, um das nur aus Prinzip durchzuziehen, egal was passiert. Und es ist ja auch nicht so schlimm, mal zurückzurudern und zuzugeben, dass man einen Fehler gemacht hat. Sollte sich noch jemand verletzen, ist Hummels wieder dabei.
Wo werden Sie das Derby eigentlich verfolgen?
Abramczik: Ich bin natürlich im Stadion! Wir haben bei uns in den Alten Herren jemanden, der eine Loge hat. Da sind auch Martin Max, Olaf Thon, manchmal auch Klaus Fischer und die Kremers-Zwillinge. Da wird viel erzählt und auch mal rumgeschrien
Was denn so?
Abramczik: Das übliche. Spiel doch! Oder: Warum schießt du nicht? Das ist eine Kombo, die weiß, wie es läuft, da sind so viele Nationalspieler dabei.
Und wer gewinnt das Spiel?
Abramczik: Ich tippe auf ein Unentschieden.