Essen. Der legendäre Trainer Rudi Gutendorf ist im Alter von 93 Jahren verstorben. Er hinterließ Spuren in Meiderich und auf Schalke. Ein Nachruf.
Dezember 2010, Felix Magath ist Trainer beim FC Schalke 04. Pressekonferenz nach dem Spiel gegen den FC Bayern, Schalke hat tatsächlich 2:0 gewonnen. Es ist alles gesagt, als der Medienchef des Vereins fragt: „Hat noch jemand eine Frage?“ Da meldet sich ein älterer Herr, der zwischen den Berichterstattern sitzt. Magath lächelt, er hat ihn natürlich sofort erkannt. Die nicht mehr ganz so jungen unter den Journalisten lächeln ebenfalls, ihnen muss sich der Mann, der sich gemeldet hat, nicht vorstellen. Er macht es trotzdem. „Mein Name ist Rudi Gutendorf“, sagt er höflich. „Und ich möchte hier mal etwas loswerden. Ihr Schalker müsst Geduld haben! Ich bin sicher, dass der Felix hier eine Klassemannschaft hinkriegt.“
Gutendorf trainierte Schalke von 1968 bis 1970
Magath hat das Sonderlob gut gefallen, geholfen hat es ihm bekanntlich nicht. Rudi Gutendorf war es damals ein Bedürfnis, den Mann zu unterstützen, der 1977 beim Hamburger SV sein Spieler war. Den FC Schalke 04 hatte Rudi Gutendorf auch mal trainiert, von 1968 bis 1970. Seinen größten Erfolg im Ruhrgebiet hatte er aber schon 1964 gefeiert, als er den Meidericher SV in der ersten Bundesliga-Saison zur Vizemeisterschaft führte.
Weil er mit konsequenter Abwehrarbeit die Basis für den Erfolg der Zebras legte, wurde Gutendorf „Riegel-Rudi“ genannt. Später, als die gesamte Welt sein Arbeitsplatz war, wurde er auch „Rudi Rastlos“ gerufen. „Rudi Ratlos“ war er aber nie.
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Mit 93 Jahren ist Rudi Gutendorf am Freitag verstorben. An Altersschwäche, das gab sein Sohn Fabian am Wochenende bekannt. Der Vater sei im Beisein seiner Familie friedlich eingeschlafen. „Wir verlieren in ihm jemanden, der uns durch sein großes Herz und Positivität jeden Tag bereichert hat“, schrieb die Familie in einer Mitteilung. Der Fußball hat eine seiner schillerndsten Persönlichkeiten verloren.
55 Trainer-Stationen in 32 Ländern auf fünf Kontinenten – der gebürtige Koblenzer hat es damit ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Für den Deutschen Fußball-Bund fand Interimspräsident Rainer Koch passende Worte der Würdigung: „Rudi Gutendorf war weltweit ein herausragender Botschafter des deutschen Fußballs. Was er für das Ansehen des deutschen Trainerwesens geleistet hat, ist einzigartig.“
Rudi Gutendorf war immer aufgeschlossen, immer neugierig, immer bereit für Neues. Jede Arbeitsstelle, die ihm angetragen wurde, fand er spannend, sein Antrieb war aber auch die Liebe zu seinem Sport. Von ihm stammt der legendäre Spruch „Der Ball ist ein Sauhund“. In einem Interview mit dem Magazin Socrates fügte Rudi Gutendorf vor zwei Jahren erklärend hinzu: „Aber mit ihm ist mir nie langweilig geworden. Ich hatte nie die Schnauze voll vom Fußball.“
Man kann sich kaum vorstellen, wie es ist, unter zum Teil erschwerten und in jedem Fall abenteuerlichen Bedingungen Nationaltrainer von Botswana, Grenada, Nepal oder Mauritius zu sein. Doch keine Aufgabe erschien dem Weltenbummler so kompliziert, dass er sich vor ihr gefürchtet hätte.
In Chile hatte er Todesangst
Fast logisch, dass er dennoch auch Gefährliches erlebte. Einmal hatte er Todesangst, das war in Chile, wo er 1973, ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in Deutschland, die Nationalmannschaft trainierte. „Ich war ein Sympathisant des sozialistischen Staatspräsidenten Salvador Allende, habe mit ihm Whiskey getrunken“, erzählte Rudi Gutendorf in einem Interview mit dieser Zeitung zu seinem 90. Geburtstag in seinem Haus im Westerwald. „Als das Militär unter General Augusto Pinochet die Revolution ausrief, musste ich fliehen. Die deutsche Botschaft hat mich rausgeholt. Im Nationalstadion, wo ich mein Trainerzimmer bezogen hatte, wurden nun Leute erschossen.“
Spieler liefen an Zechen vorbei
Die sportlichen Konsequenzen waren damals nebensächlich, im Rückblick allerdings für Rudi Gutendorf auch ärgerlich. Denn einen Wunsch konnte er sich nicht erfüllen: Er schaffte es nie, eine Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft zu führen. In Chile sei er an der Politik gescheitert, bilanzierte er, „und in Afrika an der Raffgier“. Seine eigene Rastlosigkeit ließ allerdings auch nur wenig Kontinuität zu. „Ich bin ja selten länger als zwei Jahre irgendwo geblieben, ich wollte immer weiter, immer etwas Neues machen.“
Rudi Gutendorf konnte erzählen wie kein Zweiter. Ihm zuzuhören war ein Genuss. Auf Schalke, wo er die Mannschaft um Libuda, Fichtel und Nigbur 1969 von einem Abstiegsrang auf Platz sieben und ins DFB-Pokalfinale führte, ließ er die Spieler mal um 5.30 Uhr zum Laufen antreten: an den Zechen vorbei. „Wir wollten ein Zeichen setzen, die Kumpel davon überzeugen, dass ihre Schalker Jungs alles geben.“
So war er, der Rudi Gutendorf. Und so wird er unvergessen bleiben.