Gelsenkirchen. . Domenico Tedesco ist auf Schalke der Mann des Jahres. Über einen Trainer, der die Spieler auf seine eigene Art führt und der zwei Gesichter hat.

Wo Domenico Tedesco herkommt, fällt einem der Erfolg nicht gerade von allein in den Schoß. Schalkes Trainer wurde in Kalabrien, einer der ärmsten Regionen Italiens, geboren. Und bevor er in diesem Sommer nach Schalke wechselte, war er in der 2. Liga bei Erzgebirge Aue – da riecht schon der Name nach Schweiß und Arbeit. „Glückauf” sagt Tedesco noch heute fast immer, wenn er den Raum betritt und über das anstehende Bundesligaspiel spricht.

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Es kann nicht schaden, sich diese Herkunft vor Augen zu halten, wenn man sich dem Mann nähern will, der Schalke in diesem Jahr ein Stück Normalität zurückgegeben hat. Domenico Tedesco ist kein Trainer, der sich über andere erhebt, nur weil er ihr Chef ist. Für sein Verhältnis zu den Spielern fällt einem ein Vergleich aus der Schulzeit ein: Da gab es immer einen Klassenbesten, der schlauer war als alle anderen. Ob der Klassenbeste beliebt war, hing von seinem Verhalten ab: Gab er sich als Streber und ließ keinen abschreiben, war er schnell unten durch. Wenn er aber den anderen bei der Prüfung half, war er einfach: Ein töfter Typ.

Die Ansprache „von Gott gegeben“

Domenico Tedesco wirkt so, als würde er eigentlich noch zur Schalker Mannschaft gehören. Das mag auch an seinem Alter liegen: Mit 32 Jahren ist er drei Jahre jünger als Abwehrchef Naldo. Vor allem aber liegt es an seinem Verhalten, weil er eben nicht den großen Zampano heraushängen lässt, sondern sich als Teil des Ganzen ansieht. Der Trainer ist auf Schalke in diesem Jahr der zwölfte Mann. Der Typ, der den Plan ausheckt, auf den alle hören – eben der schlaue Kopf der Mannschaft. Dass er selbst nicht mitspielt, liegt nur daran, dass er dafür nicht gut genug kicken kann. Domenico Tedesco hat es als Fußballspieler beim ASV Aichwald nur bis in die Kreisliga A geschafft.

Schalkes Manager Christian Heidel erzählt oft und gerne, wie in dieser Saison die Mannschaftssitzungen aussehen: Da gibt es keinen Monolog mehr von oben herab, sondern es wird diskutiert und über den Plan gesprochen, den sich der Trainer ausgedacht hat. Tedesco befragt die Spieler explizit, was sie davon halten – er will ihre Meinung und eventuelle Verbesserungsvorschläge hören. Manchmal spricht er einzelne Spieler gezielt an, und die würden „an seinen Lippen hängen” (Heidel). Kapitän Ralf Fährmann kann das nur bestätigen: Tedesco habe eine Art der Ansprache, „die von Gott gegeben ist”. Soll heißen: Er fesselt die Spieler damit. Früher schauten die Profis nach fünf Minuten schon mal auf die Uhr, wann die Sitzung endlich vorbei ist.

Sein Verhalten ist nicht künstlich: „Er ist einfach so“

Tedesco ist jemand, der die Kunst beherrscht, mit den Emotionen ebenso umzugehen wie mit dem Verstand. „Manche Menschen wundern sich, wenn er am Spielfeldrand oder nach dem Abpfiff auf dem Platz herumhüpft und dann zehn Minuten später total aufgeräumt seine Interviews gibt und dabei so brav wie ein Messdiener wirkt”, sagt Heidel. Aber dieses Verhalten, weder das eine noch das andere, sei künstlich: „Das ist bei ihm nicht gespielt, der ist einfach so.” Der Manager kennt seinen Trainer so gut wie kaum ein anderer auf Schalke. Und er weiß: „So ein Typ mit Emotionen pur passt viel mehr auf Schalke als wenn da einer so steht, als ob er eigentlich nicht dazugehört.” Tedesco kann mitreißen, aber über allem steht natürlich seine fachliche Qualifikation. Spieler wie Max Meyer oder Bastian Oczipka nennen ihn „einen Trainer, der Spieler besser machen kann”.

Heidel sah die Chance, nicht das Risiko

Selbstverständlich war es für Christian Heidel auch ein Risiko, diesen Mann aus der 2. Liga nach Schalke zu holen. Domenico Tedesco hatte Erzgebirge Aue erst am 8. März als Tabellenletzter der 2. Liga übernommen und zum Klassenerhalt geführt; davor war er U19-Trainer bei der TSG Hoffenheim. Ein unbeschriebenes Blatt im Profi-Fußball. Wenn es schief gegangen wäre nach dem Fehlgriff zuvor mit Markus Weinzierl, wäre das auch auf Heidel zurückgefallen. Der Manager sah aber nicht das Risiko, sondern die Chance, etwas ganz und gar Ungewöhnliches zu beginnen. So wie zu seinen Mainzer Zeiten mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.

Vergleiche muss man nicht ziehen, aber Heidel hat Erfahrung darin, wie es ist, wenn ein junger Trainer neu in die Bundesliga kommt. Auf Schalke ist Domenico Tedesco damit der Mann des Jahres.