Gelsenkirchen. Leser haben uns ihre persönlichen Eurofighter-Geschichten geschickt. Wir präsentieren vor dem Jubiläumsspiel auf Schalke einige Briefe.
Am 21. Mai 1997 feierte Schalke 04 den größten Triumph der Vereinsgeschichte: den Titel im Uefa-Cup. Und am Sonntag, exakt 20 Jahre später, treten die Eurofighter um 18.30 Uhr zum Jubiläumsspiel in der Veltins-Arena an. Die Partie ist gleichzeitig Abschiedsspiel für Jahrhunderttrainer Huub Stevens, der Thea Schürmann als Mannschaftsbetreuerin gewählt hat. Die Gelsenkirchenerin darf den Tag mit den Schalker Helden verbringen.
Gemeinsam mit Veltins hatte diese Redaktion einen Betreuer für die Uefa-Cup-Sieger von 1997 gesucht. Die Aufgabe: Huub Stevens sollte mit einer persönlichen Eurofighter-Geschichte überzeugt werden. Zahlreiche Leser haben uns ihre emotionalen und beeindruckenden Texte geschickt. Wir präsentieren hier nicht nur den handschriftlich verfassten Brief von Thea Schürmann, sondern auch vier weitere Geschichten.
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Hallo,
mein Vater hat mir immer versprochen: Wenn Schalke ins Endspiel kommt - egal wobei - fahren wir hin. Das ging dann leider nicht, da er ganz plötzlich verstarb, einige Tage nach seinem Super-Marathon.
Schalke schaffte es immer weiter, und mein Mann, der kein Schalke-Fan ist, wollte mich überraschen und bekam irgendwoher zwei Tickets und buchte auch Flug und Hotel. Das war, aufgrund unserer finanziellen Lage, nicht gerade einfach. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir flogen nach Mailand. Aber wir kamen nicht ins Stadion. Uns wurden Tickets, Bargeld etc. gestohlen. Ich hatte einer alten Dame helfen wollen und passte nicht richtig auf. Das nutzten zwei junge Männer - und aus war der Traum. Da half es auch nicht, dass ich Rudi Assauer hätte kontaktieren können, weil ich ihn persönlich kannte. Er hätte ja auch keine Karte mehr gehabt.
Ich war wie geschockt, wütend auf mich, auf die beiden Mailänder. Und ich hoffte: Lass alles ein gutes Ende gewinnen. Schalke muss gewinnen. Ich heiße Angelika. Ich bringe euch Glück. "Oder Unglück", meinte mein Mann. Aber Schalke gewann. Und die ganze Anspannung löste sich. Ich weinte wegen der gestohlenen Sachen, wegen meines Vaters - aber noch mehr vor Freude über den Sieg.
Angelika Durand, Herten
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Lieber Huub Stevens,
bevor ich mit meiner Eurofighter-Geschichte beginne, sei eines noch vorweggesagt. Ich habe keine Geschichte vom Mailänder Dom oder von der Mailänder Scala zu erzählen, da ich leider nicht in Mailand sein konnte, aber dazu gleich mehr.
Ich weiß noch genau wie aufgeregt ich war, nachdem mit Andi Müllers Sieg-Tor gegen Bayern München klar war, dass Schalke 04 nach 19 Jahren endlich wieder im UEFA-Cup spielte. Ich wollte auf jeden Fall das erste Spiel live im Stadion sehen. Wer konnte ahnen, dass wir mehr als die erste Runde überstehen würden. Da meine Frau und ich aber schon Monate vorher unseren Urlaub mit unserer damals fast dreijährigen Tochter auf Fuerteventura gebucht hatten, wurde daraus nichts. Weder das Hin- noch das Rückspiel konnte ich sehen, weil wir am Hinspieltermin unser Urlaub begann und wir am Rückspieltag zurückkehrten. Dafür erfuhren wir einen Tag nach dem Rückspiel, das meine Frau schwanger war. Wir erwarteten damit unser zweites Kind. Errechneter Geburtstermin 17.05.1997.
Erst gegen Trabzonspor konnte ich somit dann endlich mein erstes UEFA-Cup-Spiel live sehen. Zwei Stunden vor Spielbeginn hatten wir in der Nähe des Bergmannsheil-Krankenhauses in Buer geparkt. Beim Aussteigen hörte ich schon sowohl die Schalker als auch die türkischen Fangesänge. Ich bekam die totale Gänsehaut! Noch heute kann ich die Augen schließen und höre die Gesänge in meiner Erinnerung. So ging es weiter gegen Brügge und Valencia. Beim Heimspiel gegen Valencia hätte es gefühlt schon nach zwei Minuten 2:0 für Valencia stehen können. Doch mein Kumpel beruhigte mich in den beiden Szenen mit „Ruhig Brauner!“.
Jetzt waren wir tatsächlich im Halbfinale gegen Teneriffa. Berufsbedingt musste ich wegen einer Dienstreise nach Kansas City meine Karte für das Rückspiel auf Schalke an einen Kollegen abgeben. Da damals die Informationsmöglichkeiten noch nicht den heutigen entsprachen, telefonierte ich für viel Geld dreimal mit meiner Frau, bis sie mir sagte es geht jetzt in die Verlängerung. Als das Tor von Thomas Linke fiel, rief sie mich dann wiederum im Hotel an. Und ich wiederum zurück, als die Verlängerung dem Ende entgegen ging. Auf den Finaleinzug habe ich dann im Hotel erst einmal in Ruhe ein Bier an der Hotelbar getrunken. Meine gesamten Erinnerungen an Schalke gingen mir durch den Kopf. Seit Schalke 1972, als ich im Alter von sieben Jahren war, Pokalsieger wurde, hatten wir weiß Gott viele schlechte Erlebnisse. Nun sollte es doch tatsächlich ins Finale eines europäischen Pokals gehen. – Wahnsinn.
Ich hätte auch eine Karte für Mailand haben können. Ich hielt sie bereits in Händen. Habe sie aber aufgrund der anstehenden Geburt unseres Sohnes (so viel war durch Ultraschall-Untersuchungen mittlerweile klar) wieder zurückgegeben. Leider haben unsere Kinder nicht die Großeltern, als dass ich hätte nach Mailand fahren können. Und meine dreijährige Tochter konnte ich ja schließlich nicht alleine lassen. Aber das Hinspiel am 07.05.1997 auf Schalke wollte ich auf jeden Fall sehen.
Dahin fuhren wir mit dem Bus eines Weseler Fanclubs, um auch ein paar Bierchen trinken zu können. Meine Frau setzte mich am Treffpunkt ab und stand zwei Minuten später wieder mit dem Auto da, drehte das Seitenfenster herunter und meinte nur: „Thomas, ich glaube es geht los!“ Ich war geschockt und antwortete ziemlich laut: “Nein! Jetzt nicht!“ Sie grinste nur sagte: „ Keine Sorge. War nur ein Scherz. Viel Spaß und viel Erfolg!“
Geboren wurde Florian letztlich am 18.05.1997 – es war Pfingstsonntag. Drei Tage vor dem Rückspiel in Mailand. Damals war noch nicht erkennbar, dass Florian eine autistische und leicht geistige Behinderung hat. Es mussten erst 10 Jahre vergehen, ehe wir nach einer Odyssee an Arztbesuchen die tatsächliche Diagnose erhielten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mein Kindergartenkumpel Tolle und ich überlegten schon, wo wir das Rückspiel gucken wollten. Dann hieß es auf einmal, im Parkstadion würde ein Großbildschirm aufgestellt. Man erwarte ca. 5000 – 8000 Zuschauer. Damals sprach noch niemand von „Public Viewing“. Da wollte wir auch hin. In der Südkurve öffnete sich dann Block um Block, so dass letztlich etwa 35000 Schalker das Finale am Bildschirm verfolgten. So ist und bleibt einfach nur Schalke! Als dann Zamorano kurz vor Ende der 90 Minuten das 1:0 für Mailand schoss, hatte ich wenig Hoffnung auf den Sieg. Zu oft hatten sich meine Wünsche nicht erfüllt. Das dann das Elfmeter-Schießen so eindeutig würde, konnte ja keiner erahnen. Ein heute immer noch abrufbares Glücksgefühl kam in mir auf, wie ich es bis dahin als Fan noch nicht erlebt hatte. So emotional war ich wohl nur bei meiner Hochzeit und bei der Geburt meiner Kinder.
Was für eine Mannschaft! Echte Kerle, wie ich sie mir heute manches Mal zurückwünsche. Die Choreografie letzten Samstag anlässlich des Jubiläums zeigte einmal mehr, was uns Fans dieser Erfolg immer noch bedeutet. Dafür liebe ich diesen Verein und seine Anhänger.
Die Geburtsanzeige unseres Sohnes stand übrigens in der gleichen NRZ, in der Olaf Thon auf dem Titelbild den UEFA-Pokal in den Himmel reckt. Diese Zeitung habe ich komplett aufbewahrt. Und wie konnte es anders sein, ist Florian natürlich auch ein echter Schalker geworden. Geboren am 18. Mai (letzter Meistertitel war am 18.05.1958) wurde er auch selbst Mitglied am 18.05.2008 anlässlich seines 11. Geburtstages. Wir haben Dauerkarten und sitzen in Block Y. Florian ist damit für mich persönlich natürlich auch immer der personifizierte Bestandteil der Eurofighter-Zeit.
Dies war meine Geschichte, die ich aufgrund der nur noch knappen Zeit nicht länger ausgeführt habe.
Ich wünsche Ihnen für Ihren nun anstehenden Ruhestand alles erdenklich Gute!
Ein herzliches Glückauf und - Bedankt, Huub. Sie werden immer einen Platz in unseren Herzen haben.
Bleiben Sie gesund und passen Sie auf sich auf!
Thomas Fürst, Wesel
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Hallo Huub,
ich freue mich auf dein Abschiedsspiel und habe auch schon normale Karten gekauft. Natürlich wäre es als Mannschaftsbetreuer viel cooler. Wie viele andere bin auch ich der Meinung, dass ich es verdient hätte, weil....
...ich ein Lucky Loser bin.
Meine Eurofightergeschichte beginnt in der Kindheit. Schalke international kannte ich nur aus dem Mund meines Vaters. Als Jugendlicher habe ich die schlimmen Jahre mit Ab- und Aufstiegen erlebt.
Doch dann kam ja die unerwartete Wende. Jedes Spiel im Stadion oder vor dem TV mitgezittert, bis wir im Finale standen, doch dann...
...Bänderriss im Außenband.
Egal, Schalker sind hart im Nehmen. Ich besorgte mir blaue Krücken, pimpte (das Wort gab es damals noch gar nicht) sie im Schalke-style. Blau-weiße Unikate. So könnte ich auch ins Stadion humpeln, doch dann...
...kommt eine wichtige Examensprüfung dazwischen.
Die Kommission setzte eine wichtige Prüfungsstunde in meinem Lehrer-Referendariat für den 22.5.97 (!) an. Das konnte doch nicht wahr sein. So ging es dann nicht nach Mailand.
Lernen ging zu dieser Zeit sowieso schlecht - ich war ziemlich abgelenkt. Also public viewing. Nach dem triumphalen Ende bin ich noch mit Freunden in die Vereinsgaststätte an der Glückaufkampbahn gefahren, wo wir das eine oder andere Pils getrunken und gefeiert und gesungen haben. Die Prüfung am nächsten Morgen im konservativen katholischen Jungengymnasium in Essen Borbeck, die Prüfer mit Anzug und Krawatte, ich ...
...absolvierte die Stunde im durchgeschwitzten Trikot, Schal und mit den Krücken.
Es lief wirklich schlecht. Meine Stimme war brüchig,der Kopf nicht frei. Die Konzentration war noch schwerer. Gleichzeitig musste ja auch noch planen, wie es wieder zurück nach Gelsenkirchen zum Autokorso gehen sollte. Vielleicht hätte ich besser einen Krankenschein nehmen sollen. Aber die Prüfer hatten ein Einsehen (vielleicht waren sie auch Schalker) und ich bestand so gerade eben mit einer schlechten Note. Und jetzt...
...gehe ich weiter aufrecht durchs Leben und freue mich, neben dir auf der Bank Platz nehmen zu dürfen.
...Bedankt Huub!
Uli Lenser, Essen
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Lieber Huub Stevens,
ich schreibe Ihnen hier die Geschichte meines Mannes, bzw. versuche es. Er selbst kann sie viel besser erzählen und tut dies auch immer wieder mit vollster Begeisterung. In diesem Fall glaubt er aber nicht daran, dass es für Sie etwas Besonderes sein könnte, sondern ist der Meinung, dass es tausende spannendere Erlebnisse geben wird.
Für mich steht seine Entscheidung aus 1997 aber für ganz viel in unserem Leben und ich finde, es lohnt sich, sie zu erzählen. Ich sehe es als ein kleines Geburtstagsgeschenk an, sie zu schreiben, da mein Mann am 20. Mai seinen 52. Geburtstag feiern wird.
Aber zurück ins Jahr 1997 - damals kannte ich Ralf noch nicht, wir sind uns erst drei Jahre später begegnet. Irgendwie bin ich froh drum, denn ich bin nicht sicher, ob ich ihn damals schon so verstanden hätte wie jetzt.
Mein Mann ist Schalke-Fan aus ganzem Herzen von klein auf, seit sein Opa ihn das erste Mal mit ins Stadion genommen hat. Seine Begeisterung hat er an mich und unsere 3 Kinder weitergegeben.
Er hatte mit seinen Kumpels alle Heimspiele der Schalker im UEFA-Pokal gesehen und wurde immer nervöser als es in Richtung Endspiel ging, denn seine Freunde und er hatten sich beim ersten Spiel geschworen, sie würden zum Endspiel fahren, egal wo es stattfinden sollte.
Nun hatte sich ein nicht ganz unwichtiger Termin diesem Plan in den Weg gestellt: Seine mündliche Examensprüfung war auf den Tag nach dem Endspiel gelegt worden. Er studierte Biologie und Erdkunde auf Lehramt und dies war die letzte Hürde, die er noch nehmen musste.
Aber als feststand, dass die Schalker nach Mailand zum Endspiel fahren würden, war klar, dass auch seine Freunde und er dorthin müssen, egal um welchen Preis. Seine damalige Freundin hatte überhaupt kein Verständnis und die Beziehung hat dauerhaft unter dieser Entscheidung gelitten- mein Glück.
Seine Mutter hat es jedoch möglich gemacht, dass seine Zukunft dadurch nicht aufs Spiel gesetzt wurde, indem sie ihn aus Krankheitsgründen beim Prüfungsamt entschuldigt hat - was im Grunde auch keine Lüge war, denn er hätte diese Prüfung in keinem Fall durchstehen können, geschweige sich denn gut darauf vorbereiten können.
Mit seinen Mülheimer Freunden ist er nach Mailand aufgebrochen, ohne Eintrittskarten. Egal, das würde schon klappen und wenn nicht, war man wenigstens zur moralischen Unterstützung dabei. Karten haben sie dann tatsächlich bekommen. Im Mailänder Dom eine Kerze angezündet und in der Mailänder Innenstadt gezeigt, wie viel Herz Schalke Fans haben. Sie hatten sich auch einen besonderen italienischen Schlachtruf ausgedacht („azzuro et bianco i coroli di Schalke“ oder so ähnlich), aber es ist ihnen leider nicht gelungen, diesen im Stadion zu etablieren. Dennoch berichtet er, dass sie damit viele Mailänder zu einem Schmunzeln oder einem Tänzchen ermuntert haben.
Es bedeutet ihm sehr viel, diesen großen Schalker Sieg miterlebt zu haben und er zehrt bis heute davon. Ganz besonders, weil einer seiner besten Freunde, der mit in Mailand war, 2001 gestorben ist. Gerade in Zeiten, in denen es auf Schalke nicht so gut läuft und es schwer wird, von Herzen Schalker zu sein, holt er seine Erinnerungsstücke hervor (z.B. ein T-Shirt mit dem Foto von einem seiner damaligen Idole Jiri Nemec, untertitelt mit „Schieß doch, Jiri“ und auf der Rückseite die Eintrittskarte vom Endspiel) und er erzählt unseren Kindern von den Gefühlen, die sie dort erlebt haben.
Sein Examen konnte er zum Glück nachholen und er ist auch Lehrer geworden. Dass er begeisterter Schalke-Fan ist, wissen seine Schüler, denn oft erzählt er von Erlebnissen, die ihn besonders berühren oder verärgern - bei der 4minütigen „Meisterschaftsfeier“ war ich mit auf dem Platz, aber das ist ein anderes Thema …
Aber auch wenn er einen anderen Weg hätte gehen müssen, hätte er seine Entscheidung nie bereut. Den großen Schalker Sieg mit seinen Kumpels in Mailand mitzuerleben war es ihm wert. Und so sagt er unseren Kindern auch, dass man im Leben genau hinschauen muss, was einem etwas wert ist und manchmal auch dafür etwas vom Weg abzweigen darf oder muss. Aber eigentlich muss er das und noch viel mehr einfach selbst erzählen - es lohnt sich, das kann ich versprechen!
Übrigens, stellt er seine Geburtstagsfeier am 20. zurück und feiert statt dessen lieber mit seinen Freunden eine UEFA-Sieg-Revival-Feier, die um 19:04 Uhr beginnt…
Für das Spiel am 21. hat er Karten und plant mit unseren zwei Jungs (12 und 10) hinzugehen. Aber ich könnte seinen Platz dort natürlich übernehmen.
Ralf hat sicher Recht und es gibt bestimmt ganz viele Geschichten, die noch viel bewegender sind - dafür lieben wir Schalke! Auch wenn es im aktuellen Fußball, wo immer stärker Geldinteressen vor Leidenschaft stehen, manchmal schwieriger wird…
Ich wünsche ein tolles Abschiedsspiel, die Eurofighter und Huub Stevens werden aber immer zu Schalke gehören.
Herzliche Grüße und Glück auf!
Birgit Albers, Mülheim