Rheda-Wiedenbrück. Das Projekt „Wiederentdeckt“ will Talente von der Resterampe doch noch zu Profi-Fußballern machen. Die Idee: eine Castingshow. Kann das in der leistungsorientierten Bundesliga-Welt funktionieren?
- Das Projekt „Wiederentdeckt“ will Talente von der Resterampe doch noch zu Profi-Fußballern machen
- Die Idee: eine Castingshow
- Kann das in der leistungsorientierten Bundesliga-Welt funktionieren?
In den Augen von Karoj Sindi sieht man seinen Willen. Seine Kampfeslust. Seine Entschlossenheit. Entschlossenheit, sich seinen Traum zu erfüllen. Den Traum, Fußballprofi zu werden. Geld mit seiner Leidenschaft zu verdienen. Bejubelt zu werden. Das Problem: Der Essener ist 27 Jahre alt. Ein Alter, in dem die meisten Profis längst den Durchbruch geschafft haben und man bald davon spricht, dass sie ihren zweiten Karriere-Frühling erleben. Sindi, blonde Haare, kurzer Zopf, grelle Fußballschuhe, wartet immer noch auf seinen ersten Frühling.
Deswegen hat er sich beim Projekt „Wiederentdeckt“ angemeldet. Und deswegen steht er an einem kalten Tag auf dem Platz der Tönnies-Arena in Rheda-Wiedenbrück. Während im Hintergrund Lastwagen in die Schlachtanlage von S04-Boss Clemens Tönnies fahren, will Sindi die letzte Chance nutzen.
Die vergessenen Talente des deutschen Fußballs
Seit dem EM-Debakel im Jahr 2000 hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein Ausbildungssystem umgekrempelt, perfektioniert. Der Lohn sind zahlreiche große Talente und Fußballer wie Mesut Özil oder Mario Götze, die 2014 den WM-Pokal in Rio in die Höhe gestreckt haben. Was die deutsche Öffentlichkeit nicht sieht, sind die begabten Kicker, die auf der Strecke bleiben. Weil sie sich verletzen. Weil sie den falschen Trainer haben. Oder weil sie falsche Entscheidungen treffen. Die vergessenen Talente des deutschen Fußballs.
Das Projekt „Wiederentdeckt“, das Martin Daxl von der Agentur Davitasports ins Leben gerufen hat, will ihnen eine zweite Chance geben. Die Idee: eine Castingshow für Fußballer. Die Juroren heißen nicht Heidi Klum oder Dieter Bohlen, sondern sind ehemalige Profis wie Thomas Häßler oder Fabian Ernst. Um teilzunehmen müssen sich Fußballer ab 18 Jahren bewerben. Ein ausgewählter Teil wird einem mehrstufigen Sichtungstraining unterzogen. Die Besten werden ein Jahr gefördert. „Wir schauen, woran sie arbeiten müssen“, sagt Daxl. Das Ziel ist ein Probetraining bei einem Profiverein.
So die Theorie. Aber kann eine Castingshow für Vergessene funktionieren in einer Zeit, in der die Bundesligaklubs Talente immer früher scouten, verpflichten, formen?
Glaubt man Fabian Ernst, dann ja. Der ehemalige Profi des FC Schalke beurteilt in der Tönnies-Arena neben Karoj Sindi noch 27 weitere Talente. „Das Gesamtpaket muss stimmen“, erklärt er.
Glaubt man Clemens Tönnies, dann ebenfalls ja. Der Schalke-Boss schaut kurz beim Sichtungstraining vorbei. „Das ist eine tolle Sache“, meint Tönnies und ergänzt: „Ich hatte auch eine zweite Chance.“
Kein Kommentar vom DFB
Der DFB will das Projekt allerdings nicht kommentieren. Der Verband verweist auf sein eigenes Sichtungsprogramm. „Regelmäßig wird ein großer Kreis an jungen Spielern gesichtet – dazu zählen gewiss auch Talente, deren Entwicklung mal stagniert“, teilt der DFB auf Anfrage mit.
Martin Daxl findet das nicht genug. „Im Spitzensport gibt es nur eine Chance“, meint er – und will genau das ändern. Ein barmherziger Samariter ist er trotzdem nicht, denn Daxl will auch Geld verdienen. Erhält einer der geförderten Kicker tatsächlich einen hochdotierten Profivertrag, bekommt Davitasports fünf bis zehn Prozent seines Gehalts. Bislang hat das jedoch noch nicht geklappt.
Immer hat ein Schritt gefehlt
Und Karoj Sindi? Den würde es nicht stören, wenn er etwas von seinem Gehalt an Davitasports abgeben müsste. Hauptsache er schafft den Sprung in den Profifußball, so oft, wie er schon kurz davor stand.
Sindi hat in der Regionalliga das Trikot von Rot-Weiß Oberhausen getragen, hat im Irak gespielt, in Laos, den Niederlanden. Das große Geld blieb aus. Immer hat der letzte Schritt gefehlt. „Das hatte viele Gründe, auch persönliche“, sagt Sindi. „Ich habe schon viel Scheiße gefressen, aber noch habe ich nicht aufgegeben.“
Einige Tage nach dem Sichtungstraining meldet sich der Essener. Eine Nachricht, ob er es in die nächste Runde bei „Wiederentdeckt“ geschafft hat, habe er noch nicht erhalten. Aber er stehe mit ein paar deutschen Vereinen in Kontakt und auch aus Asien gebe es Anfragen. Sindi: „Ich bin offen für alles.“
Sein Traum vom Profifußball lebt weiter. Noch.