Essen. Rot-Weiss Essen hat Trainer Christian Neidhart entlassen. Über diesen Schritt spricht Vorstandsvorsitzende Marcus Uhlig im Interview.

Seit März 2018 ist Marcus Uhlig Vorstandsvorsitzender bei Rot-Weiss Essen. Am 5. Mai 2022 musste er die dritte Trainerentlassung in seiner RWE-Amtszeit vollziehen. Die Kollegen von RevierSport haben mit dem 51-jährigen RWE-Boss nach dem Aus von Christian Neidhart gesprochen.

Marcus Uhlig, wie kam es zu der Entscheidung gegen Christian Neidhart?

Marcus Uhlig: Die Entscheidung ist Mittwochabend nach vielen internen Gesprächen und Analysen getroffen worden. Wir haben die Gesamtsituation am Ende so bewertet, dass wir in der Konstellation eine Veränderung herbeiführen, einen Impuls dahingehend setzen müssen, um wieder diese totale Entschlossenheit und Überzeugung in unsere Mannschaft hineinzubekommen, es noch schaffen zu können. Böllerwurf hin, Corona-Pause her: In den letzten Wochen haben sich einfach einige Dinge zu sehr in die falsche Richtung entwickelt. Zu viele unnötige Punktverluste, zu oft ein gewisser Verwaltungsmodus nach 1:0-Führungen, zu wenig Gier und zu oft auch eine Körpersprache, die mir nicht gefallen hat.

Wie bewerten Sie Neidharts Zeit bei RWE? Punktetechnisch ist er der erfolgreichste Trainer der Essener Vereinsgeschichte.

Marcus Uhlig: Das ist unzweifelhaft so. Und ich werde auch überhaupt kein schlechtes Wort über ihn verlieren, weder über den Trainer noch über den Menschen Christian Neidhart. Dennoch haben wir bei Christian in den letzten Wochen eine gewisse Abnutzung wahrgenommen.

Marcus Uhlig: "Um Vorwürfe geht es gar nicht"

Wenn ein Trainer gehen muss, hat auch die Mannschaft nicht alles richtig gemacht. Wie lautet Ihr Vorwurf an das Team?

Marcus Uhlig: Um Vorwürfe geht es gar nicht. Es geht vielmehr um Erwartungshaltungen und eigentlich um Selbstverständlichkeiten. Die Mannschaft steht jetzt mehr denn je in der Verantwortung, sich komplett zu straffen und alle Befindlichkeiten, Eitelkeiten und Nebengeräusche zur Seite zu werfen. Es geht darum, dass alle alles für einen Sieg am Samstag in Lotte gegen Rödinghausen investieren. Und es geht auch darum, dass genau das jeder im Stadion von der ersten Minute an deutlich sehen und spüren kann. Ich möchte nicht mehr lesen, dass wir alles rausfeuern, ich möchte das auch sehen. Ich möchte sehen, dass am Samstag eine Mannschaft in Lotte von der ersten bis zur 94. Minute ihr ganzes Herz und noch viel mehr für den Verein RWE auf dem Platz lässt. Und dafür, dass wir dann am 14. Mai in jedem Fall – unabhängig vom Münster-Ergebnis in Wiedenbrück – ein Endspiel an der Hafenstraße haben werden.

Es sind schon am Mittwochabend und Donnerstagmorgen viele Gerüchte im Umlauf gewesen, die besagten, dass Daniel Heber nach Düsseldorf, Simon Engelmann nach Münster und Isaiah Young nach Magdeburg wechseln werden. Hand aufs Herz: Wie sehr ärgern Sie solche Fake News aus dem Umfeld - und: wie sehr überrascht es Sie, dass interne Dinge wie die Neidhart-Entlassung immer wieder ins Umfeld dringen und sich wie ein Lauffeuer verbreiten?

Marcus Uhlig: Gerüchte und Fake News ärgern einen immer. Aber anscheinend gehören solche Dinge bei einem so wuchtigen Verein wie RWE in der heutigen Zeit dazu. Aktuell kommt dieser Mist natürlich zur Unzeit, dadurch entsteht in der heißen Phase noch mehr unkontrollierbare Unruhe. Rein inhaltlich: Simon Engelmanns Berater hat ja schon eindeutig Stellung bezogen.Daniel Heber hat mit voller Überzeugung einen Vertrag bis 2025 bei RWE unterschrieben – ohne Ausstiegsklausel wohlgemerkt! Zudem gibt es bis heute nicht im Ansatz irgendeine Anfrage oder sonst wie geartete Kontaktaufnahme irgendeines anderen Vereins. Ob 'Isi' Young über den Sommer hinaus bei uns bleibt, kann ich nicht sagen. Natürlich arbeiten wir an diesem Thema und ein Aufstieg würde uns dabei sicher helfen. Aber wer den Jungen in jedem Training und in jedem Spiel beobachtet und dann behauptet, dass 'Isi' vielleicht nicht alles gibt für RWE oder mit seinen Gedanken schon woanders sei, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Zur Durchlässigkeit von internen Dingen: Hier hatten wir zuletzt eine ganze Zeit lang weniger Probleme als vielleicht noch vor ein paar Jahren. Dass jetzt nach der intern getroffenen Entscheidung zur Freistellung von Christian Neidhart wieder einige Maulwürfe aufgetaucht sind, finde ich mehr als bedenklich. Und macht mich auch ein Stück weit nachdenklich.

Haben Sie eigentlich auch manchmal auf deutsch gesagt "die Schnauze voll"?

Marcus Uhlig: Ich kann nicht leugnen, dass dieses Gefühl in letzter Zeit immer mal wieder aufflackert. Aber aktuell geht es ganz sicher nicht um mich, sondern um RWE. Und darum, dass wir uns alle, die wir für RWE arbeiten, stets bewusst sind, dass wir eine besondere Verantwortung haben. Aber dazu zählen alle, nicht nur der Vorstandsvorsitzende.

Was können Jörn Nowak und Vincent Wagner in der kurzen Zeit verändern, an welchen Stellschrauben drehen?

Marcus Uhlig: Zunächst einmal möchte ich auch an dieser Stelle 'Vince' und insbesondere Jörn meinen Dank und Respekt aussprechen, dass sie beide diese Idee von der ersten Minute an voll mitgetragen und ohne zu zögern große Entschlossenheit gezeigt haben, sich den Helm aufzuziehen und Verantwortung zu übernehmen. Ich erwarte jetzt ganz sicher keine stundenlangen Taktik-Seminare vom Trainerteam mit der Mannschaft. Jörn geht voran, zusammen mit seinem Staff muss und wird er alles daran setzen, die Mannschaft so anzufassen, dass sie in der richtigen Mischung aus Lockerheit, Fokussierung, Seriosität, Gier und positiver Aggressivität am Samstag in Lotte 90 Minuten lang Rödinghausen bearbeitet.

Rot-Weiss Essen: Das Pokal-Aus ärgert Marcus Uhlig

Wie sehr schmerzt Sie das zweite Halbfinal-Aus im Niederrheinpokal in Folge?

Marcus Uhlig: Schon sehr. Wuppertal hat ohne Frage verdient gewonnen, dennoch lagen am Dienstag eine große Portion Prestige und ungefähr 300.000 Euro auf dem Platz, die es zu gewinnen gab. Die Niederlage und vor allem die Art und Weise, wie sie zustande gekommen ist, haben mich sehr geärgert.

Wie werden Sie das Freitagsspiel des SC Preußen Münster in Wiedenbrück verfolgen?

Marcus Uhlig: Wahrscheinlich im Büro am Schreibtisch mit parallel laufendem Livestream.

Haben Sie schon Kontakt nach Wiedenbrück bezüglich einiger Kisten Stauder Pils aufgenommen, um den SC ein wenig zusätzlich zu motivieren?

Marcus Uhlig: Sie wissen, dass Daniel Brinkmann und ich uns lange und gut kennen. Sie wissen aber auch, dass materielle Motivationsspritzen verboten sind. Daniel Brinkmann ist Sportsmann durch und durch, der immer gewinnen will. Das gleiche gilt für die Wiedenbrücker Mannschaft, sie hat einen guten Charakter. Ich weiß, dass die Jungs mit Blick auf Freitag nicht nur vorher in den Medien darüber reden, sondern beim Spiel dann auch wirklich alles reinwerfen werden.

Hand aufs Herz: Wie sehr glauben Sie noch an den Aufstieg? Und: Hat sich an Ihrem Glauben seit Dienstagabend etwas geändert?

Nein, es hat sich seit Dienstag nichts verändert. Ich bin von unserer Mannschaft, vom Potenzial, von der Qualität, die in ihr steckt, nach wie vor überzeugt. Und deshalb bleibt auch meine Überzeugung ungebrochen, dass wir es schaffen können.

Auch wenn Sie positiv denken. Hätte RWE die Möglichkeiten, noch eine Saison mit dem Etat der laufenden Runde zu gestalten? Denn viele andere Klubs wie zum Beispiel Rot-Weiß Oberhausen müssen den Rotstift ansetzen.

Marcus Uhlig: Eigentlich möchte ich hier und heute nicht über die nächste Saison sprechen. Deshalb beantworte ich die Frage nur sehr knapp. Wir planen seit Monaten zweigleisig – und zwar dahingehend, dass wir in beiden Ligen eine in jedem Fall ambitionierte Mannschaft ins Rennen schicken können.