Essen. Seitdem Innogy sein Sponsoring beendete, wird es an der Hafenstraße ziemlich duster. Der Verein steht für kommende Saison vor großen Problemen.
- Der unerwartete Rückzug von Innogy stellt die Verantwortlichen bei RWE für die kommende Saison vor große Probleme.
- Die Trikotbrust wurde wegen mangelnder Alternativen der hiesigen Privatbrauerei als Werbefläche zur Verfügung gestellt.
- Der geheimgehaltene Sportbeirat wird zur neuen Saison mangels finanzieller Möglichkeiten unentdeckte Perlen finden müssen.
Die Regenschwaden, die beim letzten Heimspiel durchs Stadion Essen zogen, boten den würdigen Rahmen für die momentane Stimmungslage bei den Rot-Weissen: Usselig, zum Daheimbleiben. Das Erstaunliche: Die immer noch zahlreichen Fans leiden still und lassen das Geschehen fast kritiklos über sich ergehen. Für „Stimmung“ sorgen allein die Supporters auf der Westkurve mit einem monotonen Singsang, dessen Inhalt nur die Textverfasser verstehen. Wie nervende Hintergrundmusik auf einer schlechten Stehparty. Gruselig.
Nur Abgänge und keine Verstärkung in der Winterpause
Wieder einmal hatten sich die Essener beim 2:2 gegen den Abstiegskandidaten RW Ahlen die Butter vom Brot stehlen lassen. Und wer nach dem Spiel den leeren Blick von RWE-Boss Michael Welling erhaschte, der sah viel Frust und auch schon Anzeichen erster Resignation beim sonst nie um Ideen verlegenen Marketingprofi. „Dummheit und Naivität“, attestierte sogar Trainer Sven Demandt seiner Mannschaft, dem wohl ebenfalls erste Zweifel an der Lernfähigkeit seiner Spieler kommen. Der Coach fühlt sich längst unwohl zwischen der ihm auferzwungenen Hoch3-Erwartung und den offen zu Tage tretenden finanziellen Zwängen. Mit gerade noch unterdrücktem Groll weist er ganz nebenbei auf ein halbes Dutzend Abgänge zur Winterpause hin, ohne dass er seinen Kader halbwegs hätte auffüllen können. Schlimmer: Ein Probespieler findet nach wochenlanger Testphase den direkten Navi-Weg nach Rödinghausen, wo ein europaweit agierender Küchenfachmann sich einen Regionalligisten als Spielzeug hält und mal eben das Doppelte bietet. Frust also auch auf dieser Ebene.
Man kommt nicht umhin: Innogy bleibt unangefochten das Unwort des Jahres an der Hafenstraße. Seitdem die Essener Energietochter von Knall auf Fall als Sponsor für einen Kurzschluss bei den Rot-Weissen sorgte, herrscht für alle hochtrabenden Pläne kompletter Stromausfall. Und wer glaubt, „sein Verein“ hielte jetzt nur das Pulver trocken, um im Sommer zum zweiten Hoch3-Jahr in die Vollen zu gehen, für den wird es ein böses Erwachen geben. Die Pressemitteilung Ende vergangener Woche, in dem sich der Verein beim entlassenen Jugendbetreuer Marcel Müller dafür bedankte, dass er in der nach dem „innogy-Rückzug etwas angespannten Situation des Vereins“ dafür Verständnis aufbrachte, zeigt, was die Stunde geschlagen hat.
Kein Signal der Dax-Vorstände für die Heimatstadt
Der „Traditionsverein mit Strahlkraft“ (so Welling zu Jahresbeginn in einem Interview) flackert zur Zeit ziemlich unruhig im Kerzenschein. Man kann den Frust der Verantwortlichen nachvollziehen: RWE ist nach wie vor eine Traditionsmarke mit Legenden en masse. Und fast ein Exot im ambitionierten Fußballgeschäft: Nämlich schuldenfrei! Ein potenter Sponsor bekäme die Marke also zu einem Freundschaftspreis, medienwirksame TV-Präsenz in der Dritten und vielleicht eines Tages Zweiten Liga quasi auf dem Silbertablett serviert. Dennoch zieren sich die Herren Dax-Vorstände mit einem Signal für die Heimatstadt, liegt ihnen der komfortable Logenplatz in der Champions League – und das noch vor der Haustür – eindeutig näher am Herzen. Zum Fremdschämen.
Das Ganze gipfelt dann in einer betitelten „Freundschaftsaktion“ bei der Vergabe des Trikot-Sponsorings an die hiesige Privatbrauerei, über die sich so recht nur manch freudentrunkener Fan zu freuen vermag, der seitdem stolz seine wesentlichen Inhaltsstoffe auf der Brust zur Schau stellt. Der Rest staunt über die offensichtliche Unattraktivität der zu vergebenden Werbefläche.
Der Wolf hat den Schafspelz angelegt
Zu allem Überfluss kommt nun der sportliche Stillstand hinzu. Gibt es eigentlich ein ungeschriebenes Gesetz, nachdem umjubelte Neuverpflichtungen sich umgehend den örtlichen Gegebenheiten anzupassen haben? Beispiel Kamil Bednarski. Egal, in welchem Trikot der 31jährige Stürmer bisher an der Hafenstraße aufkreuzte, er war das Schreckgespenst der Vergangenheit und erledigte RWE fast im Alleingang. Doch kaum hat er sich das rot-weisse Trikot übergestreift, ist sie dahin, die rotzfreche Zweikampfstärke und Torgefahr der letzten Jahre. Der Wolf hat den Schafspelz angelegt. Die Kette ließe sich mühelos über die Mitläufer-Rolle des aus der ersten österreichischen Liga Heimgekehrten fortsetzen. Übrigens: Zwei feine tadellose Jungs, wie auch der Rest – aber vielleicht ist gerade das das Problem dieses Teams? Wo ist der Spieler, der nach dem Ahlen-Spiel seinen Stollenabdruck auf der Sponsorenwand hinterlässt und im Gesicht stehen hat: „Quatsch mich lieber nicht von der Seite an!“
Der Sportbeirat wird nach Perlen tauchen müssen
So hat man bei jeder Vertragsverlängerung in den vergangenen Wochen das Gefühl, dass auch der Status Quo in die neue Saison übertragen wird. Die Spieler, die momentan gehobenen Durchschnitt verkörpern, sollen im nächsten Jahr den Schalter umlegen und auf Titeljagd gehen? Es fällt schwer zu glauben.
Die Lösung? Schwierig vorherzusagen. Dem Sportbeirat, so es ihn denn gibt, über den sich der Vorstand partout weigert, ihn namentlich zu benennen – angeblich stünden die Personen noch anderweitig unter Vertrag und sollen ungestört ihre Arbeit verrichten können – obliegt vielleicht die entscheidende Aufgabe. Sollte bis Sommer nicht der Big Spender an der Hafenstraße um die Ecke kommen, werden die Experten nach Perlen im Revier tauchen müssen, um endlich mal wieder einen Unentdeckten vom Kaliber Cebio Soukou oder Kerim Avci an Land zu ziehen. Das Problem: Die anderen Klubs tauchen auch.
Aber man wird ja noch hoffen dürfen, dass eines Tages an der Hafenstraße wieder umgesetzt wird, was Ex-Trainer Waldemar Wrobel (übrigens nicht die schlechteste Zeit der jüngeren Vergangenheit) einmal dem Gegner für die Ewigkeit quasi in Stein meißelte: „Nicht hier, nicht heute – und Du schon gar nicht!“