Essen. Der neue RWE-Coach Jan Siewert beim Redaktionsbesuch zu seinen Vorstellungen vom Hafenstraßen-Fußball der Zukunft. Ein Interview.
Hallo, Herr Siewert, Ihre ersten zwei Wochen sind rum, wie gefällt es Ihnen denn hier im Pott?
Jan Siewert: Was ich merke: Alle Menschen hier sind sehr herzlich miteinander, ich wurde hier mit offenen Armen empfangen. So bin ich auch: ein Mensch, der sehr offen ist. Wenn das der Ruhrpott ist, bin ich angekommen.
Und Ihre ersten Eindrücke nach den ersten Trainingstagen?
Siewert: In der Vorbereitung sind die Grundlagen im Ausdauerbereich das Wichtigste, alle Spieler müssen auf eine Basis gebracht werden. Das läuft sehr, sehr positiv, die Gruppe zieht absolut mit, alle werfen alles in die Waagschale.
Gab es denn auch schon kritische Momente im Training, dass Sie lauter werden mussten?
Siewert: Ehrlich gesagt, nein, die Jungs wissen, dass es ums Team geht. Obwohl es eine andere Situation ist, neue Spieler kamen hinzu, aber die alten haben sie gut empfangen. Der Trainer lebt ihnen vor, dass sich ein neues Mannschaftsgefüge entwickelt – so ergibt sich letztlich ein Team.
Nach dem engen Terminkalender am Sonntag: War das Spiel in Würzburg ein erster Charaktertest?
Siewert: Charaktertest weiß ich nicht, aber die Jungs sind rausgegangen und haben ihr Bestes gegeben. Jeder hat da seine Situation angenommen, es waren durch die Spielerwechsel praktisch zwei erste Halbzeiten. In der ersten war etwas mehr Frische, in der zweiten, als Würzburg quasi seine Aufstiegself auf dem Platz hatte, wurde es schwieriger. Aber letztendlich sehe ich die Partie auf jeden Fall positiv.
Und das Spiel am Freitag gegen die Auf-Asche-Elf ist eher ein Jux?
Siewert: Es gibt keine Juxspiele für mich. Es ist unser erstes Vorbereitungsspiel in Essen, und daher finde ich es besonders schade, dass ich am Freitag nicht dabei sein kann. Ich muss mich durch Stefan Lorenz vertreten lassen, da ich am Freitag meine langjährige Lebenspartnerin heirate.
Erklären Sie uns doch noch einmal genau, was die Fans vom Hafenstraßenfußball erwarten dürfen.
Siewert: Eigentlich das, was in Würzburg schon überraschend gut funktioniert hat: Wir haben kaum Torchancen zugelassen. Wenn ich von Festung spreche, dann heißt das im Umkehrschluss: Wenn ich gut verteidige, habe ich ganz andere Möglichkeiten, anzugreifen. Wenn ich kompakt im Mittelfeld bin, dann habe ich schneller Zugriff aufs gegnerische Tor. Das wird das Stadion begeistern, denke ich.
Aber das will doch eigentlich jeder im modernen Fußball, oder?
Siewert: Na ja, die Teams von Mourinho stehen immer sehr sehr tief, er liebt den größeren Raum, den er überbrücken kann. Aber das liegt auch an der Liga. Du kannst Barca nicht immer so hoch zustellen. Was ist Philosophie? Es ist ein Leitfaden, die Spieler brauchen auf dem Feld einen Anker, eine Antwort auf die Frage: Woran halte ich mich fest? Das ist unser Plan. Fußball ist Kommunikation, die Frage, was kann passieren? Dann hast du Lösungen. Dafür musst du nach vorne verteidigen.
Provokante Frage: Spieler sind manchmal wie ein Rudel Wölfe, sie suchen Schwächen bei ihrem Trainer. Sie haben weder große Erfahrung, noch waren Sie ein prominenter Spieler. Das Gegenbeispiel wäre Otto Rehhagel. Wie verschaffen Sie sich Autorität?
Siewert: Ich finde die Frage nicht provokant, Sie haben ja Recht. Meine Antwort: Sei, wie du bist, authentisch. Dadurch ist Autorität da. Und Otto Rehhagel ist ja jemand, der Dinge, die ihm keiner zugetraut hat, vollbracht hat: Mit Lautern als Aufsteiger Meister, mit Griechenland Europameister. Klar, dass man so einen Mann besonders wertschätzt. Er hat unheimlich Erfahrung – ich bin erst am Anfang meiner Karriere.
Die Hafenstraße ist ein unruhiges Pflaster; was ist, wenn es nicht so läuft wie erhofft?
Siewert: Ehrlich, ich beschäftige mich nicht damit. Die Leute haben hoffentlich verstanden, dass wir trotzdem weiter arbeiten würden. Wenn du alles gibst, erfährst du Wertschätzung, auch hier in Essen.
Aber Geduld ist nicht gerade die Stärke der RWE-Fans.
Siewert: Deswegen ist es eine Chance für beide Seiten. Arbeit zahlt sich aus auf Dauer. Diese Ausschläge bringen uns nicht weiter, man sieht, es gibt Vereine, die jetzt wirklich kontinuierlich gearbeitet haben – und das zahlt sich aus.
Ist es eigentlich eine große Umstellung, vom Nachwuchsbereich hin zum Chef bei den „Profis“?
Siewert: Im Seniorenbereich ist die Intensität der Übungen eine höhere, aber vom Ablauf her ist es eher ähnlich. Mit erwachsenen Menschen geht man anders um als mit jungen Menschen, da ist man gleich auf Augenhöhe.
"Jeder Pass muss Sinn haben"
Ein weiteres sensibles Thema in Essen ist das Saisonziel.
Siewert: In erster Linie geht es darum, den Fußball zu spielen, den wir auch trainieren. Jeder Pass muss Sinn haben. Das ist ein Leitfaden, an dem du fest hältst, dadurch kommt auch Dominanz in unser Spiel. Der Mensch verfällt auch mal in sein altes Muster, da musst du dann zurück zu deiner Linie.
Und der fünfte Platz der Vorsaison ist die Messlatte?
Siewert: Rot-Weiss Essen hat einen gewissen Anspruch. Und wir müssen alles dafür tun, dass wir dem gerecht werden. Wir müssen auf Tuchfühlung zur Spitze bleiben, die Arbeit bringt dich dahin.
Ist denn der Kader jetzt komplett?
Siewert: Das kommentiere ich nicht, das ist eine Frage für unseren Sportdirektor.
Haben Sie ein Lieblingssystem?
Siewert: Aus dem 4-2-3-1 ergeben sich die meisten Flexibilitäten, ich kann ganz schnell umschalten auf eine Dreierkette. Auch ein Jugendspieler lernt dabei am schnellsten. Was nicht heißt, dass wir immer darin spielen werden. Es ist schon ein Unterschied, wie die U23-Teams spielen und eine Seniorenmannschaft. Da musst du flexibel bleiben
Also Reaktion auf die Gegner?
Siewert: Der Gegner kann uns nicht dominieren, wenn wir uns an unseren Plan halten. Aber man kann auch flexibel auf die Schwächen des Gegners reagieren. Wenn ich mir Fußball anschaue, analysiere ich, dann sucht mein Kopf automatisch nach Lösungen, und die sind, die eigenen Stärken auf die Schwächen des Gegners auszurichten.
Haben Sie eigentlich eine ausführliche Datenbank, sind Sie der von Otto beschriebene „Laptop-Trainer“?
Siewert: Ich möchte nur so viel dazu sagen: Ich bin vorbereitet. Ich fand’s gut, was Otto sagte. Klar liegt die Wahrheit auf dem Platz, aber wenn du Hilfsmittel hast, musst du sie einfach nutzen. Andere Sportarten machen es schon viel länger. Wenn du die Möglichkeit hast, eine Videoanalyse einzusetzen, kannst du manches besser visualisieren und die Spieler es besser nachvollziehen.