Mönchengladbach. Gladbach-Kapitän Julian Weigl trifft mit seinem Team heute auf Ex-Klub BVB. Ein Gespräch über Verantwortung, Familie und das Borussen-Duell.
Julian Weigl steht auf dem Logen-Balkon des Stadions in Mönchengladbach, um sich vor dem Interview fotografieren zu lassen. Im Hintergrund auf der Tribünen-Gegenseite fällt der Schriftzug ins Auge: Borussia. Dieser Teil des Vereinsnamens verknüpft für den 28-Jährigen die Vergangenheit mit der Gegenwart. An diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) tritt er mit Gladbach bei seinem ehemaligen Klub in Dortmund zum Borussen-Duell an.
Spiele gegen den BVB im Westfalenstadion: Für Julian Weigl eine Seltenheit
Welche Emotionen löst der Gedanke an Spiele im Westfalenstadion in Ihnen aus, Herr Weigl?
Julian Weigl: Das ist etwas Besonderes. Ich freue mich auch jetzt wieder darauf. Als Gegner habe ich dort erst einmal gespielt. Es ist sehr schön, ein paar bekannte Gesichter wiederzusehen.
Haben Sie sich mit früheren BVB-Mitspielern vor dieser Partie ausgetauscht?
Mit Marco Reus habe ich geschrieben. Ich habe mit ihm immer mal wieder Kontakt. Wir beide freuen uns auf diesen Samstag. Nach dem Spiel werden wir uns mal in Ruhe unterhalten. Aber davor liegt der Fokus auf dem Match.
Ihr Team ist seit vier Pflichtspielen ungeschlagen, gewann davon sogar drei. Warum befindet sich Gladbach nach den Startschwierigkeiten im Aufschwung?
Auch zu Beginn der Saison hatten wir schon gute Leistungen gezeigt, die Ergebnisse stimmten aber noch nicht. Wir befinden uns im Umbruch, haben uns jetzt als Mannschaft mehr gefunden, sind enger zusammengerückt. Über defensive Stabilität haben wir Zug nach vorne gefunden. Nach dem 4:0 gegen Wolfsburg wollen wir jetzt den Schwung ins Dortmund-Spiel mitnehmen.
Kommt diese Partie in Dortmund jetzt vielleicht mal zum richtigen Zeitpunkt für Ihre Mannschaft?
Das werde ich erst danach beurteilen können (lacht). Ich weiß, dass unsere Bilanz in Dortmund nicht gut ist. Dort habe ich auch gegen Gladbach mein erstes Bundesliga-Spiel absolviert und gewonnen. Es ist schwierig, dort zu spielen, jeder kennt diese Atmosphäre. Dortmund ist eine Mannschaft mit hohen Ansprüchen, die aber jetzt nicht die breiteste Brust nach den Niederlagen gegen Bayern und in Stuttgart hat. Ich kenne das Umfeld. Der BVB hat jetzt den Druck, das ist unsere Chance. Wenn wir einen guten Start ins Spiel erwischen, können wir vielleicht ein bisschen Unruhe im Stadion auslösen. Das könnte uns in die Karten spielen.
Erinnern Sie sich noch an den 23. September 2017?
War das mein erstes Bundesliga-Tor?
Im BVB-Trikot: Weigl traf erstmals in der Bundesliga gegen seinen heutigen Klub Gladbach
Genau, beim 6:1 gegen Gladbach. Wie denken Sie an diesen Treffer zurück?
Es war aus mehreren Gründen ein wichtiges Spiel für mich. Ich kam aus meiner ersten langen Verletzung zurück, stand direkt in der Startelf. Dann noch mein erstes Tor vor der Südtribüne zu schießen, war unglaublich schön.
Dabei sind Sie natürlich kein Torjäger, sondern zentraler Mittelfeldspieler. Als BVB-Profi entrissen Sie 2016 Xabi Alonso, jetzt Trainer von Bayer Leverkusen, einen Bundesliga-Rekord: mit 214 Ballkontakten in einem Spiel. Diese Bestmarke steht heute noch. Was bedeutet sie Ihnen?
Wenn man einen Weltklasse-Spieler wie Xabi Alonso in dieser Statistik übertrifft, ist das natürlich etwas Schönes. Aber der Rekord hat jetzt nicht mehr so viel Gewicht für mich.
Dennoch ist diese Zahl ein Ausdruck Ihrer Fähigkeiten als Ballverteiler.
Ich lebe davon, Ballkontakt zu haben. So kann ich meine Qualitäten am besten einbringen. Mit unserem neuen Trainer Gerardo Seoane habe ich auch einen großen Schritt nach vorne gemacht, was Zweikampfführung und Organisation auf dem Spielfeld angeht. Ich gebe gerne den Rhythmus vor.
Was zeichnet einen guten Führungsspieler aus?
Ich denke, dass ein solcher Spieler viel kommunizieren sollte. Es gibt aber auch welche, die zwar nicht so viel reden, aber über Leistung vorangehen, immer anspielbar sind, auch wenn es schwierig wird. Sie zeigen damit: Ich bin da, traue mich, habe den Mut, den Ball zu fordern, bringe auch Ruhe ins Spiel. In meiner Rolle als Vizekapitän gibt es auch Aufgaben neben dem Platz, auch in der Kabine. Ich halte Ansprachen, spreche mit jüngeren Spielern, organisiere Teamabende, schließe mich mit dem Mannschaftsrat zusammen. Es ist immer wichtig, dass es ein gutes Zusammenspiel der verschiedenen Führungsspieler gibt.
Julian Weigl spürt in Gladbach die Verantwortung der Kapitänsbinde
Sie vertreten derzeit den verletzten Torwart Jonas Omlin als Kapitän. Wie fühlt sich die Binde am Arm an?
Bis Jonas Omlin zurückkommt die Kapitänsbinde bei einem so großen Traditionsverein zu tragen, ist ein tolles Gefühl. Es ist auch eine enorme Verantwortung, in die man erst einmal reinwachsen muss.
Muss man als Kapitän ein Lautsprecher sein?
Ich habe in meiner Karriere schon viele Kapitäne gehabt, auch ganz verschiedene Charaktere. Es ist immer wichtig, dass man sich nicht verstellt und nicht versucht, eine Rolle zu spielen. Wenn man gerne Kommandos gibt und ein lauter Typ ist, sollte man das auch ausleben. Ich habe mir schon fest vorgenommen, viel zu sprechen, auch die jungen Spieler zu coachen, ihnen zu helfen. Das kommt aber auch von meiner Position. Im zentralen Mittelfeld ist man das Herz des Spiels.
Sie waren zunächst von Benfica Lissabon ausgeliehen, haben sich aber dann bis 2028 an Borussia gebunden. Was erhoffen Sie sich von dieser langfristigen Entscheidung?
Ich finde es hier extrem spannend. Meine Entwicklung und die von Borussia passen einfach sehr gut zusammen. Etwas mitaufzubauen, was zu erreichen, das reizt mich. Borussia Mönchengladbach ist ein geiler Verein mit geilen Fans. Meine Familie fühlt sich zudem hier sehr wohl. Wir hatten noch von damals Kontakte. Wenn man Kinder hat, will man gerne wieder dort leben sein, wo auch die Großeltern etwas näher sind.
Welche Rolle spielt die Familie? Können Sie vom Profifußball-Geschäft auch mal abschalten?
Bevor meine Tochter auf die Welt kam, war es eher schwierig für mich, ein schönes Privatleben zu führen, wenn das Spiel absolut schlecht war. Ich habe dann sehr lange für die Aufarbeitung gebraucht, die ganze Woche war nicht gut. Auch jetzt arbeiten manche Spiele zwar noch weiter in mir. Aber wenn ich jetzt den Borussia-Park verlasse, nach Hause fahre, die Türe öffne und meine Tochter mir in die Arme springt, bin ich nicht mehr Julian Weigl, sondern einfach Papa.
Versteht sie schon, dass ihr Papa Fußballprofi ist?
Ja, sie ist jetzt zweieinhalb, identifiziert sich mit dem Verein, ist bei jedem Spiel im Stadion, kann „Die Elf vom Niederrhein“ schon auswendig (lacht). Wenn ich zum Beispiel die Trainingssachen anziehe, sagt sie: ,Oh, da ist Borussia!‘ Ich hatte es mir auch immer gewünscht, irgendwann mal mit meinem Kind über den Rasen zu laufen. Die Familie macht mich sehr glücklich. Sie ist die beste Ablenkung vom Fußball.
Julian Weigl: Warum Gladbach heute beim BVB gewinnen kann
Pflegen Sie persönlich bestimmte Gewohnheiten oder Rituale vor einem Spiel?
Ich gehe immer nochmal beim Physiotherapeuten zum Check. Den Rasen betrete ich immer zuerst mit dem linken Fuß, berühre ihn mit der Hand und bete. Aber wenn ich es mal vergesse, macht mich das auch nicht verrückt. Auch wenn ich das nicht mache, glaube ich natürlich trotzdem daran, gut spielen zu können.
Warum kann Gladbach an diesem Samstag erstmals seit 2014 wieder in Dortmund punkten?
Weil wir mit Positivität in dieses Spiel gehen. Weil wir großen Bock darauf haben. Weil wir alles versuchen werden, unsere Stärken einzubringen und die der Dortmunder nicht zur Geltung kommen zu lassen. Und weil wir immer auch für Tore gut sind.
Eine der besten Nachrichten der Woche war die Rückkehr von Stefan Lainer ins Training nach einer erfolgreichen Lymphknoten-Krebstherapie. Was bedeutet diese Geschichte für Ihre Mannschaft?
Stevie ist ein Vorbild für uns alle. Man kann sich gar nicht vorstellen, mit welcher Positivität er an die Geschichte rangegangen ist. Es hat auch mir immer Kraft gegeben, ihn mit so guter Laune zu sehen, obwohl er eine so harte Phase durchmachte. Man wusste: Er ist ein Kämpfer, wird es schaffen, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir haben ihn sehr vermisst und sind jetzt unfassbar froh, dass er wieder da ist. Er hat auch gleich im Training wieder diesen Hunger, alles zu geben. Diese Geschichte zeigt, dass man Widerstände überwinden kann, aus schlechten Dingen auch etwas Gutes ziehen kann. Ich glaube, das tut uns allen sehr gut. Das gibt der Mannschaft einen Push.