Essen. Sportmediziner Bloch mahnt Profi-Klubs, die Langzeitfolgen nicht zu unterschätzen. Manche Athleten werden ihr altes Niveau nicht mehr erreichen.
Matthias Ginter zählt nun zu den vier Millionen Menschen in Deutschland, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben. Am vergangenen Freitag nahm der Abwehrspieler von Borussia Mönchengladbach erstmals wieder am Mannschaftstraining teil. Wenn die Borussia am Sonntag (19.30 Uhr/DAZN) Arminia Bielefeld empfängt, könnte Ginter wieder mitwirken. Er zählt zu den Glücklichen, für die es weiter geht.
Sportmediziner in Deutschland erforschen derzeit mit Hochdruck etwas, was die Karrieren von Tausenden Spitzensportlern bedroht: Long Covid, die Langzeitfolgen des Coronavirus. Bei manchen Genesenen kämpft der Körper weiter gegen das Virus. Monatelang können Symptome wie Kurzatmigkeit, Müdigkeit, Gedächtnis- und Herzprobleme oder neurologische Ausfälle auftreten. Manche Athleten werden nie wieder ihr altes Leistungsniveau erreichen können, zeigen erste Studien. Für viele wird das den Verlust von Karriere und Job bedeuten.
Zehn bis 20 Prozent der Infizierten entwickeln ein Long-Covid-Syndrom
Noch fehlen Langzeitstudien, die das Risiko bei Leistungssportlern beziffern. „Wir schätzen, dass zehn bis 20 Prozent der Gesamtinfizierten ein Long-Covid-Syndrom entwickeln“, sagt Prof. Wilhelm Bloch, Leiter des Institutes für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln. „Manche Menschen trifft es schwerer. Und wir wissen nicht wirklich, warum das so ist.“
Derzeit läuft eine große Studie des Bundesinstitutes für Sportwissenschaften mit Tausenden Athleten, an der auch Bloch mitarbeitet. „Wir hoffen, dass wir zum Ende des Jahres klären können, wie viele Sportler infiziert waren, wie sich ihr Genesungsprozess gestaltet hat, und wie viele Sportler mit bleibenden Leistungseinbußen werden leben müssen“, erklärt der Mediziner. Einbußen, die so gravierend sein können, dass betroffene Sportler ihre Karriere beenden müssten.
Schwimmerin Lisa Graf beendet nach Infektion Karriere
Wie massiv die gesundheitlichen Langzeitfolgen sein können, zeigen die Berichte betroffener Profisportlerinnen und Profisportler. Lena Mikulic etwa, die deutsche U21-Vizemeisterin im Karate: Im November 2020 wollte sie einen Monat nach einer leichten Covid-19-Erkrankung wieder ihr Training aufnehmen, schilderte sie in einer ARD-Dokumentation. Sie konnte sich nicht an die Abfolge der Tritte und Schläge erinnern, die ihr Trainer ihr vorgemacht hatte. Bis heute nicht.
Ringer-Weltmeister Frank Stäbler verlor 20 Prozent der Leistungsfähigkeit seiner Lunge und schaffte nur durch ein spezielles Atemtraining den Weg zurück in den Sport. Andere wie Schwimmerin Lisa Graf mussten aufgeben. Mitte Januar war die deutsche Rekordhalterin über 200 Meter Rücken positiv auf Corona getestet worden. Sie habe sich auf einem „langen und steinigen Weg so gut es ging“ im Training zurückgekämpft, schrieb die 28-Jährige vor einigen Wochen auf Instagram. Doch wegen der anhaltenden Beschwerden könne sie nicht länger Leistungssport ausüben.
Gefäße werden durch das Coronavirus massiv geschädigt
„Wir wissen, dass das Virus auch im Körper von Sportlern massivste Schäden anrichtet“, sagt Bloch und berichtet von Biopsien junger Long-Covid-Patienten, die er kürzlich begutachtet habe. „Jahrgang 98, Jahrgang 96. Wenn Sie diese Lungen sehen, wissen Sie: Diese Schäden werden nicht mehr vollständig weggehen.“ Covid 19 gelte bei vielen Menschen als Atemwegserkrankung, sagt Bloch. „Doch wir mussten ziemlich schnell lernen, dass das Virus auch die Gefäße massiv schädigen kann, und damit jedes Organ.“
Selbst wenn Sportlern schwerste gesundheitliche Schäden erspart bleiben: Das große Problem sei der Weg zurück, sagt Bloch. Zum jetzigen Zeitpunkt gebe es keine individuell passenden Therapien, um Athleten nach einer Long-Covid-Erkrankung wieder an den Sport heranzuführen. „Wenn ich nicht zu 100 Prozent verstanden habe, was das Virus macht, ist Rehabilitation schwierig“, begründet er . „Wir müssen Behandlungsmaßnahmen entwickeln, die speziell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten sind. Das ist das Entscheidende.“
Auch bei den Medizinischen Stäben der Fußball-Klubs wächst der Druck
Angesichts der neuen Erkenntnisse über Long Covid wächst auch in den medizinischen Stäben der Fußball-Profiklubs der Druck. Bloch mahnt, die Gefahren von Long Covid nicht zu unterschätzen. So sollten Sportler nach einer Infektion gut überwacht werden. „Die 14 Tage, die zwischen einer Infektion und dem Wiedereinstieg in eine Belastung liegen sollten, sind wichtig. Gerade Herzprobleme sind nicht sofort feststellbar“, sagt er.
Das Virus nutzt auch nach 20 Monaten Pandemie jeden Fehler. Trotz der Impfangebote mussten die Profiklubs zu Beginn dieser Bundesliga-Saison etliche Coronafälle melden. „Die Hygienekonzepte funktionieren schon, aber es gibt keine geschlossene Blase“, erklärt Bloch. „Von August letzten Jahres bis Mitte dieses Jahres haben sich nach meinem Kenntnisstand in der Fußball-Bundesliga 13 Prozent der Spieler infiziert. Das entspricht dem Vierfachen dessen, was wir in der Normalbevölkerung beobachten.“
Der Risikobereich liege nicht unbedingt auf dem Platz, sagt Bloch. „Es ist die Kabine oder der private Bereich. Dort ereignen sich die gefährlichen Kontakte, die nicht zu 100 Prozent vermieden werden können. Von ihnen hatten die Profifußballer mehr als der Otto-Normalbürger, der nach den Lockdown-Regeln gelebt hat.“
Sportmediziner nimmt Profi-Klubs in die Pflicht
Die aktuelle Debatte um eine Impfpflicht kann Bloch mit Blick auf den Profifußball nicht nachvollziehen: „Wir kommen um eine Impfung nicht herum“, sagt er. Bloch fordert Profiklubs auf, die Sportler „optimal über das Impfen aufzuklären und sie so bald wie möglich für eine Immunisierung zu motivieren“. Ob Long Covid auch bei Geimpften entsteht, könne man nicht sagen, berichtet Bloch. „Geimpfte aber haben eine Grundimmunität, dadurch hat das Virus weniger Zeit, Schäden anzurichten.“
Matthias Ginter war nach eigener Aussage geimpft.