Mönchengladbach. Vor 50 Jahren wurde Borussia Mönchengladbach erstmals Deutscher Meister. Herbert Laumen und Wolfgang Kleff erinnern sich an eine Zitterpartie.
Herbert Laumen weiß noch genau, was er am Morgen des 30. April 1970 fühlte, der genau wie heute – eine Kuriosität der Geschichte – ein Donnerstag war. „Schon beim Aufstehen hat es gekribbelt“, sagt Laumen. „Da war sofort dieser Gedanke: Stell dir vor, du gewinnst dieses Spiel heute und bist Deutscher Meister.“ Am Abend trat Stürmer Laumen, damals 26 Jahre alt, mit Borussia Mönchengladbach gegen den Hamburger SV an. Zu einem denkwürdigen Duell, das vor exakt 50 Jahren den Beginn einer großen Ära markierte.
Eine ganze Stadt fieberte damals dem ersten Meistertitel der 1965 in die Fußball-Bundesliga aufgestiegenen Borussia entgegen, die zuvor drei Auswärtsspiele in Serie jeweils mit 0:1 verloren hatte: bei Bayern München, Hannover 96 und bei Rot-Weiss Essen. 32.000 Zuschauer waren nun am vorletzten Bundesliga-Spieltag im Stadion am Bökelberg, als um 20 Uhr der Anpfiff ertönte. „Es war ein teuflisches Spiel“, erinnert sich Gladbachs Torwart-Legende Wolfgang Kleff (73): „Nervenaufreibender als alles andere.“
Ein Krimi im Stadion am Bökelberg
Dabei lief zunächst alles nach Plan für die Fohlen. In der 15. Minute erzielte Laumen mit einem Flachschuss von der Strafraumgrenze die Gladbacher Führung. Berti Vogts (38.), Horst Köppel (45.) und Hartwig Bleidick (47.) erhöhten gar auf 4:0 – auf den Rängen begannen bereits die Feierlichkeiten. „Das 1:4 des HSV haben wir nicht ernst genommen“, räumt Laumen ein. So wähnten sich die Gladbacher in Sicherheit – und vernachlässigten die Defensive. Dem ersten Hamburger Treffer durch Hans-Werner Kremer (55.) folgten deshalb weitere: Charly Dörfel (69.) erzielte das 2:4, Klaus Fock (85.) das Anschlusstor. „Im Stadion“, berichtet Laumen, „war es plötzlich mucksmäuschenstill.“
Die Partie wurde nun zu einem Krimi. Trainer Hennes Weisweiler hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl. Er tobte.
„Er war außer Rand und Band“, sagt Kleff. „Er stand mitten auf dem Platz, trampelte mit den Füßen auf den Boden und wollte uns etwas sagen. Aber wir waren wie gelähmt und wollten nur die Zeit rumkriegen.“ Beim erlösenden Abpfiff um 21.46 Uhr „brachen alle Dämme“, sagt Laumen. „Das Gefühl war riesig, zu dieser Mannschaft zu gehören. Wir waren ja auch Gladbacher Jungs. Das war etwas wirklich Außergewöhnliches, dass wir für unsere Fans mit diesem Team den Titel geholt haben.“ Kirchen in Mönchengladbach ließen die Glocken läuten. Weisweiler aber schien zunächst zu keinem Lächeln fähig. Er wirkte in all dem Jubel, der nun ausbrach, fast noch konsterniert angesichts des Spielverlaufs.
Die Menschen strömten unterdessen von den Rängen auf den Rasen. Sie lagen sich nach dem 4:3-Sieg in den Armen. „Die Freude war natürlich groß, aber auch der ganze Stress dieses Spiels, der Schreck steckte uns noch in den Gliedern“, sagt Kleff. Er zog sich in den Minuten des Triumphs zurück: „Ich bin in die Kabine gelaufen, weil es mir zu viel wurde. Dort musste ich das erst einmal sacken lassen. Nun kamen ja drei Dinge zusammen: die Deutsche Meisterschaft, das Zittern und auf einmal diese Masse an Menschen, die dich fast erdrückte. Das musst du erst einmal verkraften.“
FC Bayern München gratuliert früh
Bemerkenswert: Erster Gratulant war an diesem Abend der FC Bayern gewesen. Bereits um 21.10 Uhr hatten die Münchener ein Glückwunschtelegramm nach Gladbach gesendet. 36 Minuten vor Spielende glaubten sie angesichts des 4:0-Vorsprungs der Borussia nicht mehr an ihre Chance im Titelrennen.
Auf der Tribüne überreichte der damalige DFB-Präsident Hermann Gösmann dem Gladbacher Kapitän Günter Netzer hinterher die Meisterschale. „Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Gösmann noch gesagt: ‚Wir gratulieren dem Deutschen Meister Borussia Dortmund’“, erzählt Laumen und lacht. Als sich die Mannschaft gemeinsam in der Kabine einfand, herrschte nur noch Glückseligkeit. Weisweiler hielt, umringt von seinen Spielern, die Schale in den Händen. „Wir haben unter der Dusche gesungen, es war wunderbar“, sagt Kleff. „Dann haben wir uns auf den späten Abend gefreut. Denn der ist ja wichtig nach einem solchen Sieg.“
Die Mannschaft feierte in einem Hotel in Mönchengladbach. „Da ging natürlich die Post ab“, sagt Laumen. „Hennes hat uns anschließend zwei Tage freigegeben.“ Am Sonntag stand noch das abschließende Saisonspiel bei Rot-Weiß Oberhausen an. „Wir haben uns also erst am Sonntagmorgen wieder getroffen. Da war der eine oder andere noch abgekämpft von den Feiertagen.“ Aber Gladbach gewann auch dieses Spiel – kurioserweise wie gegen den HSV – mit 4:3.
Autokorso durch Mönchengladbach
Einen Tag später rollte ein Autokorso durch die Straßen. Mönchengladbach stand kopf: Die Menschen bejubelten ihre Meister-Mannschaft. „Am Montag mussten allerdings auch viele Leute arbeiten. Deshalb war der Umzug nicht so verrückt wie ein Jahr später, als fast 200.000 Menschen draußen waren“, sagt Laumen.
Auch 1971 und 1975 (unter Weisweiler) sowie 1976 und zuletzt 1977 (mit Trainer Udo Lattek) wurde Borussia Meister. „Das sind Erinnerungen“, sagt Kleff, „die uns niemand nehmen kann.“ Gerade für Weisweiler habe der Triumph an jenem 30. April 1970 in seiner Trainerkarriere aber eine ganz besondere Bedeutung gehabt, versichert Laumen: „Es sind danach zwar noch weitere Titel für ihn hinzugekommen. Aber der erste ist – wie man so sagt – eben doch der schönste.“