Mönchengladbach. Vor dem Rückrundenstart gegen den VfB Stuttgart spricht der Mittelfeldspieler im Interview über Entwicklungen, Ziele und das Besondere an der Borussia.

Herr Xhaka, ist die Tinte unter Ihrem neuen Vertrag schon trocken?

Granit Xhaka: Es war unser Ziel, den Vertrag eigentlich bis zum Stuttgart-Spiel (Samstag, 15.30 Uhr/live bei uns im Ticker) unter Dach und Fach zu bringen. Vielleicht passiert das ja Freitag noch. Wenn nicht, dann wird es sicherlich vor dem Freiburg-Spiel über die Bühne gehen.

Sie und der Klub gehen mit diesen Vertragsgesprächen sehr offen um. Schon Anfang der Woche war von Details zu lesen. Unüblich für diese Branche, aber vielleicht einfach auch ein Zeichen, wie sicher sich beide Partien in diesem Fall sind.

Xhaka: Absolut. Ich habe Max Eberl gesagt, dass ich keine Sekunde darüber nachdenke, hier nicht den nächsten Schritt zu machen. Ich habe in Mönchengladbach mein Umfeld gefunden und bin bei Borussia enorm glücklich. Im Jahr 2014 bin ich hier richtig angekommen. Außerdem bin ich nicht der Typ, der jedes zweite, dritte Jahr bei einem neuen Verein unterschreiben muss.

Ihr Umfeld gibt Ihnen den Halt für Ihren Erfolg?

Xhaka: Wichtig ist vor allem natürlich mein Job. Ich bin jetzt bei Borussia Mönchengladbach im Team so anerkannt, dass ich auch mal was sagen kann und das Gewicht hat. Außerdem habe ich Freunde gefunden, denen ich vertrauen kann. Ich brauche keine 100 Leute um mich herum – drei oder vier richtige Freunde sind für mich genug. Ich fühle mich hier wohl.

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Was macht die Borussia für Sie aus?

Xhaka: Welcher Spieler würde nicht gerne in Mailand oder London leben? Das ist doch klar. Aber für mich sind die Philosophie und Bedingungen bei einem Verein wichtig. Wir haben mit Lucien Favre einen Trainer, der gerne Fußball spielen lässt. Das kommt mir entgegen. In Gladbach setzt man auf junge Spieler und eine Mannschaft mit Perspektive. Ich bin erst 22 Jahre alt und mit meiner Entwicklung noch nicht am Ende.

Xhakas Traum von der Champions League - "Wollen neue Ziele definieren" 

Es war zu lesen, dass Sie „neue Stars“ fordern, damit Sie in Gladbach bleiben.

Xhaka: Ach, ich brauche keine neuen Spieler. Ich bin glücklich mit der Mannschaft, die wir haben. Die Qualität, die wir bei der Borussia haben, sehen wir jeden Tag im Training und auch in den Spielen. Wichtig ist, dass wir gemeinsam immer an unsere Grenzen gehen. Spielt man eine Partie mit nur 95 Prozent, hilft dir kein Star der Welt. Ich bin stolz darauf, dass wir als Mannschaft ein enorm gutes Verhältnis haben.

Ihr Bruder Taulant hat gerade beim FC Basel verlängert. Wäre er nicht auch einer gewesen für Gladbach?

Xhaka: Auf jeden Fall. Es wäre ein Traum, mit ihm wieder zusammenzuspielen. Aber für ihn ist vielleicht nicht der Zeitpunkt gekommen, von Zuhause wegzugehen. In Basel hat er unsere Eltern in der Nähe und das ist für ihn als Typ sehr wichtig.

Und in Basel spielt er Champions League und hat Ihnen deshalb etwas voraus.

Xhaka: (lacht) Der FC Basel ist sicherlich keine schlechte Adresse. Aber er könnte sich auch absolut in der Bundesliga durchsetzen.

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Der neue Vertrag hat eine Laufzeit bis 2019 mit Option auf ein weiteres Jahr. Scheint so, als hätten Sie viel vor mit Gladbach.

Xhaka: Nicht nur ich, sondern auch der Verein. Wir sind jetzt sportlich an einem Punkt angekommen, an dem wir vielleicht auch neue Ziele definieren wollen.

Neue Ziele oder mit anderen Worten: Champions League.

Xhaka: Wir spielen jetzt zum zweiten Mal in den vergangenen drei Jahren im Europapokal. Das soll so bleiben. Jeder Spieler hat Träume, jeder Spieler will in seiner Karriere die Hymne der Champions League auf dem Feld hören.

Sie natürlich auch.

Xhaka: Jeder. Wenn dem nicht so wäre, sollte man lieber mit Fußball aufhören. Unser Ziel sollte auch irgendwann die Champions League sein. Wir sind auf einem guten Weg.

Die Borussia in Person von Eberl und Favre predigen allerdings die Philosophie der langsamen Schritte und sprechen von der Kontinuität der „Einstelligkeit“.

Xhaka: Das ist auch vollkommen richtig. Niemand hier im Verein gibt das Ziel Champions League aus. Aber wir träumen davon. Träumen ist erlaubt und in dieser Saison sind wir nah dran, diesen Traum zu erfüllen. Bayern München zieht einsam seine Kreise, aber dahinter ist alles offen und die Tabelle ist sehr ausgeglichen. Außerdem sind wir ja auch noch im DFB-Pokal und in der Europa League vertreten.

"Ich habe früher mehr geredet. Das war ein Fehler" 

Man merkt, dass sie ehrgeizig sind. Als Sie nach Gladbach kamen galten Sie vielleicht auch deshalb als Heißsporn.

Xhaka: Ich bin mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen und hatte enorm große Erwartungen an mich. Die sind in meiner ersten Saison nach hinten los gegangen. Ich muss mich explizit beim Trainer bedanken, weil er mich nicht nur fußballerisch, sondern auch charakterlich weiterentwickelt hat.

Inwiefern?

Xhaka: Ich bin sehr viel ruhiger geworden. Auf und neben dem Platz. Das sieht man übrigens auch ganz gut in der Statistik bei den Gelben Karten. Aber ich bin ehrgeizig und will sportlich immer mehr und dafür arbeite ich hart.

Sie tragen Ihr Herz auf der Zunge, sagen, was Sie denken. Wie kommt das in der Mannschaft an?

Xhaka: Ich habe früher vielleicht Dinge gesagt, die ich nicht so meinte; die dann aber interpretiert wurden. Ich habe früher mehr geredet und weniger Leistung auf dem Platz gezeigt. Das war ein Fehler. Aber ich bin lernfähig und mache einen Fehler nicht ein zweites Mal. Die ersten anderthalb Jahre waren sehr schwer für mich. Heute bin ich stolz, dass ich hier bin und mich durchgesetzt habe.

Damals hieß es, Sie hätten auch zu Inter Mailand flüchten können.

Xhaka: Ich bin kein Typ, der wegrennt, wenn es mal schwierig wird. Fehler sind menschlich, klar, und ich bin kein Roboter. Aber: Ich bin ein Kämpfer. Ich wollte mich bei Borussia Mönchengladbach durchsetzen, mich hier beweisen. Ich bin stolz auf mich, dass ich das geschafft habe und glücklich darüber, dass der Verein an mich geglaubt und mir den Rücken gestärkt hat. Das ist nicht selbstverständlich.

Ihr Manager Max Eberl mag Spieler mit Ecken und Kanten – auf der anderen Seite gibt es allerdings immer mehr aalglatte Spieler, die nach Interviewschulungen Floskeln predigen.

Xhaka: Natürlich muss ein Fußballer heutzutage genau aufpassen, was er wem sagt. Ich bin ehrlich und offen. Das habe ich von Zuhause mitbekommen; das ist meine Art, die ich für niemanden auf der Welt ändern werde. Ich habe damit überhaupt keine Probleme, einem Journalisten meine Meinung zu sagen und diese auch zu vertreten.

Macht Sie das zum Typen, im Vergleich zu den aalglatten Profis?

Xhaka: Natürlich ist das manchmal langweilig. Aber vielleicht ist es bei einigen einfach eine Art Selbstschutz. Die Vereine versuchen jedenfalls, ihre Spieler zu schützen. Das ist die Aufgabe eines Klubs und das wird auch bei Borussia sehr gut gemacht.

Sie stellen selber den Anspruch an sich, ein Leader bei der Borussia zu sein. Ist Stefan Effenberg eine Art Vorbild für Sie?

Xhaka: Stefan Effenberg ist ein Vorbild für viele junge Spieler. Wenn ich ihn früher hab' spielen sehen, konnte ich sofort erkennen, dass er der Chef auf dem Platz ist – durch die Körpersprache, durch sein Auftreten. Das ist der Effenberg. Er ist eine Legende. Bei Zinedine Zidane ist das genau so.

Ein anderer „Typ“ in der Mannschaft ist Christoph Kramer.

Xhaka: Es ist sehr schade, dass Chris den Verein verlässt – für uns als Spieler, aber natürlich auch für die Borussia. Er hat eine wahnsinnige Entwicklung in den vergangenen Jahren gemacht und tritt jetzt ganz anders auf. Er ist ein Hammer-Typ. Aber er hat sich für Leverkusen entschieden, was sicherlich keine leichte Entscheidung war.

Blicken wir mal kurz in die Zukunft: Wer kann Kramer ersetzen? Wäre Youngster Mo Dahoud ein Kandidat?

Xhaka: Mo ist ein super Talent. Aber er hat noch wenig Erfahrung auf Bundesliga-Niveau. Er ist auf einem guten Weg, auch wenn er noch etwas Zeit braucht.

Lucien Favre hält große Stücke auf ihn. Beschreiben Sie mal die Beziehung zwischen Favre und seinen Spielern.

Xhaka: Lucien Favre ist ein sehr ruhiger, detailverliebter Trainer, der nicht gleich in der Kabine rumschreit, wenn man mal 0:2 hinten liegt. Er gibt jedem Spieler – egal ob alt oder jung – Tipps mit auf den Weg und ist Perfektionist. Er ist jetzt seit vier Jahren hier und seit vier Jahren geht es vorwärts. Man kann stolz darauf sein, dass Favre hier ist.

In Zürich hat Favre mal dem amtierenden Schweizer Torschützenkönig Alhassane Keita „Einzelunterricht“ für die Schusstechnik gegeben.

Xhaka: Das ist Favre. Diese Details sind heute auf diesem Niveau spielentscheidend. Auch die Art und Weise, wie man die Spieler dirigiert, ihnen die genauen Bewegungsabläufe mit auf den Weg gibt. Er sieht diese Dinge und analysiert solche Dinge mit jedem einzelnen von uns. Ich muss manchmal Übungen machen, die ich zuletzt mit in der C-Jugend gemacht habe.

Falls Sie überhaupt Zeit haben, zu trainieren. Im Idealfall hat Borussia Mönchengladbach bis März nur Englische Wochen mit Liga, Pokal und Europa League.

Xhaka: Das ist schon ein straffes Programm. Auch deshalb haben wir im Winter so eine harte Vorbereitung gemacht, wie noch nie vorher. Aber was gibt es schöneres, als ständig auf dem Platz zu stehen und Fußball zu spielen? Vielleicht sind diese vielen Englischen Wochen sogar ein Vorteil für uns, weil wir unseren Rhythmus schneller finden.

"Die Bayern darf man in dieser Saison nicht dazuzählen" 

In der Hinrunde haben Sie einen neuen Vereinsrekord aufgestellt, blieben 18 Pflichtspiele in Folge ungeschlagen. Ist so eine Serie noch mal möglich?

Xhaka: Es ist nur dann möglich, wenn wir an unsere Grenzen gehen. Wir haben in der vergangenen Saison erst nach neun Spieltagen unsere ersten Dreier geholt. Wenn man Träume oder Ziele hat, ist das natürlich zu wenig.

Abstiegskandidat Stuttgart kommt als Auftaktgegner genau richtig.

Xhaka: Wir müssen von Anfang an bereit sein und das uns, dem VfB und der Liga zeigen. Wenn der Schiedsrichter in Stuttgart die Partie anpfeift, muss der VfB spüren, dass wir die Punkte holen wollen. Die Spiele gegen Stuttgart, Freiburg, Schalke und Sevilla im Europapokal werden uns die Richtung vorgeben, wohin unser Weg in dieser Saison führt.

In Dortmund hieß so ein Vorhaben mal „Vollgasveranstaltung“.

Xhaka: Wir dürfen uns aber auch nicht unter Druck setzen. Es geht nicht darum, nach einer Halbzeit schon 5:0 zu führen, sondern um Aggressivität und Geduld. Wir spielen mit viel Ballbesitz und stehen hinten sicher, das ist wichtig.

Die Komponente „Geduld“ hat das Team in der Hinrunde gelernt und gut praktiziert. Das war vor einem Jahr noch nicht der Fall.

Xhaka: Genau. Vielleicht sind wir auch ein bisschen reifer geworden. Heute machen wir vielleicht mal ein taktisches Foul schon vorne in der Offensivabteilung, so dass wir Zentrumspieler nicht immer so unter Druck stehen.

Die Mannschaft ist reifer geworden und Granit Xhaka ist reifer geworden.

Xhaka: Absolut.

Der BVB ist raus aus der Verlosung im Kampf um die Champions League – welche Klubs sind die größten Konkurrenten von Gladbach?

Xhaka: Alle, die im oberen Tabellendrittel stehen. Egal ob es Wolfsburg, Leverkusen, Schalke oder Augsburg ist. Die Augsburger haben mich etwas überrascht. Ich bin gespannt, ob sie das Niveau halten können. Sie machen gute Arbeit und spucken keine großen Töne.

Bleiben wir noch kurz in Dortmund: Im Spiel gegen Ihr Team hat der BVB überragend gespielt. Trotzdem steht er auf Platz 17.

Xhaka: So ist die Bundesliga. Da kann der Tabellenerste gegen den Tabellenletzten verlieren. Und wenn du mal zwei Spiele in Folge verlierst, bist du plötzlich nicht mehr Dritter, sondern nur noch im Mittelfeld der Liga. Das ist geil, weil man deshalb jede Woche an seine Grenzen gehen muss. Das muss jeden Spieler doch noch mehr motivieren.

Die Bayern muss man grundsätzlich dabei rausnehmen.

Xhaka: Die Bayern darf man in dieser Saison nicht dazuzählen. Da kommen manchmal Spieler von der Bank, die besser sind als die Startelf. So eine Qualität haben nicht viele Mannschaften in der Bundesliga. Übrigens nicht mal in der Champions League. Das ist schon großes Kino.