Warschau. . Zu verschwenderisch bei den eigenen Chancen, zu löchrig in der Abwehr: Bei der ersten Niederlage gegen Polen zeigt die Nationalelf erneut, dass sie nach dem WM-Triumph noch nicht wieder die alte ist. Unterdessen feiert Polen einen historischen Sieg gegen den Nachbarn.

Es waren nicht mehr so viele feiernde Menschen wie im Nationalstadion, doch die deutschen Fußball-Weltmeister mussten den grenzenlosen Jubel der polnischen Gastgeber gegen Mitternacht noch ein zweites Mal über sich ergehen lassen. Der Mannschaftsbus brachte die gestolperten Helden wieder zurück ins Hotel; die Weichsel überquert, ging es über die Aleje Jerozolimskie zur feudalen Unterkunft im Stadtzentrum. Entlang dieser belebten Verkehrsachse Warschaus waren die in Rot und Weiß gekleideten Anhänger noch immer der Ekstase nahe, die sie wohl in einer der vielen Bars zwischen dem Charles-de-Gaulle-Platz und der nach dem 2. Weltkrieg neu aufgebauten Altstadt auslebten.

„Wir haben Geschichte geschrieben“, verkündete wenige Augenblicke zuvor Lukasz Piszczek den Stolz einer Nation, „man hat schon im Stadion gesehen, wie viel den Menschen im Land das bedeutet.“

Historischer Sieg im 19. Spiel

Borussia Dortmunds polnischer Verteidiger war mit dieser Einschätzung zum 2:0 (0:0) in der EM-Qualifikation fern jeder Übertreibung. Im 19. Anlauf hat sein Team der deutschen Nationalmannschaft die erste Niederlage beigebracht. Die Fans, die ihr Team während der Partie mit ohrenbetäubendem Gesang nach vorne peitschten, tanzten danach auf den Straßen ihrer Hauptstadt, als habe Polen schon die Fahrtkarte zur EM nach Frankreich gelöst.

Die Teilnahme am Endrundenturnier 2016 ist nach den Toren von Arkadiusz Milik (51.) und Sebastian Mila (88.) – begünstigt durch Abwehrfehler von Jerome Boateng und Manuel Neuer sowie von Erik Durm beim zweiten Treffer – ein Stückchen näher gerückt.

Zwar zweifelt beim diesmal unterlegenen Gegner trotz Platz vier in der Gruppe niemand daran, in zwei Jahren auch um die EM-Krone mitzuspielen. Aber die Qualifikation läuft holpriger als erwartet ab. Das wollen beim DFB noch nicht alle nach der zweiten Pleite im dritten Spiel seit dem WM-Triumph registrieren: „Wir haben verloren, okay“, wiegelte Bundestrainer Joachim Löw ab, „das muss man jetzt mal akzeptieren und die Lehren daraus ziehen.“

Nur ein Betriebsunfall?

Eine saloppe Form der Frustbewältigung, die durch einen Schuss mehr Kaltschnäuzigkeit bei den vielen Chancen hätte vermieden werden können. Doch Polens Schlussmann Wojciech Szczęsny hatte mehrfach etwas dagegen, mindestens genauso häufig scheiterten die Offensiven bei ihren 28 Torversuchen jedoch am eigenen Unvermögen. Ganz nah kam dem Torjubel vor allem der spät eingewechselte Lukas Podolski mit einem Lattenschuss (81.). „Zehn Chancen? Dann habt ihr aber nur die guten gezählt“, drückte Thomas Müller die Überlegenheit der deutschen Elf aus. Trotzdem verbuchten die meisten Spieler diese Niederlage an dem Ort, an dem vor zwei Jahren auch das EM-Halbfinale gegen Italien (1:2) verloren ging, nur als Betriebsunfall.

„Ich will nicht alles schönreden, aber wir haben ein gutes Spiel gemacht – ich mache das nicht alles vom Ergebnis abhängig“, sagte Toni Kroos. Gegen Polen sei „eigentlich überhaupt nichts aufgegangen“, befand sogar Christoph Kramer. Mario Götze erkannte immerhin, dass man sich „auch als Weltmeister nicht zurücklehnen darf“. Überzeugend stimmte aber lediglich Jerome Boateng nicht in den Ist-doch-nichts-passiert-Chor ein: „Wir dürfen das nicht unter der Kategorie unglücklich abhaken, sondern müssen damit kritisch umgehen.“

Dazu gehört, die immer wieder kehrende Unsicherheit auf allen Abwehrpositionen einzugestehen, wenngleich man Antonio Rüdiger mit etwas Wohlwollen noch eine ordentliche Premiere als Rechtsverteidiger attestieren kann. Wie auch Erik Durm auf der anderen Seite brachte sich der Stuttgarter allerdings kaum in die Offensive ein. Das mag an einem Tag, an dem sich die Offensive mit dem überzeugenden Debütanten Karim Bellarabi zwar „Chancen für drei Spiele“ (Götze) erarbeitet, verschmerzbar sein.

Die müssen seine Vorderleute aber auch konsequenter nutzen, forderte Manuel Neuer vor dem Spiel gegen Irland am Dienstag in Gelsenkirchen: „Die Iren werden mit Sicherheit nicht die Flucht nach vorne suchen, sondern auch hinten drin stehen und kontern.“