Danzig. Für Linksverteidiger Marcel Schmelzer vom Double-Gewinner Borussia Dortmund bleibt bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 nur die Rolle des Reservisten. Mit der hat er sich aber arrangiert, wie er uns im Interview im deutschen EM-Quartier verraten hat.
Kennen sie Günter Hermann?
Marcel Schmelzer: Nee, sagt mir jetzt nichts.
Der hat bei der WM 1990 keine Minute gespielt und ist anschließend zurückgetreten. Darf man davon ausgehen, dass sie der Nationalelf auch ohne EM-Einsatz weiter zur Verfügung stehen werden?
Schmelzer (lacht): Mal schauen.
Wie hält man als EM-Tourist die Spannung hoch?
Schmelzer: Ich trainiere, als käme schon am nächsten Tag meine Chance.
Wenn Philipp Lahm rechts spielen würde, wären Sie wohl als linker Verteidiger zum Einsatz gekommen. Es hätte Ihr Turnier werden können…
Schmelzer: Es war halt eine Fifty-Fifty-Chance. Als vor dem ersten Spiel die Entscheidung fiel, dass Philipp auf meiner Seite spielt, musste ich mich damit abfinden. Jetzt geht es darum, zu 100 Prozent parat zu sein, wenn jemand ausfällt. Ich hatte nochmal kurz Hoffnung, als Jerome Boateng gesperrt war. Aber ich denke, der Bundestrainer hat richtig entschieden. Sonst hätte er ja zwei Positionen neu besetzen müssen.
Boateng ist eigentlich ein Innenverteidiger, spielt aber jetzt rechts. Ist es nicht ein komisches Gefühl, dass ein „Fachfremder“ Ihnen als gelernter Außenverteidiger vorgezogen wird?
Schmelzer: Wie Jerome Christiano Ronaldo gestoppt hat, war beeindruckend. Vielleicht ist er außen sogar besser als innen. Ich weiß nicht genau, wie er selbst das sieht, aber seine Fitness und sein Offensivdrang prädestinieren ihn zum Außenverteidiger.
Woran liegt es, dass in Deutschland der Außenverteidiger-Notstand herrscht, während das früher ganz anders war?
Schmelzer: Wohl auch daran, dass Offensivspieler mehr in der Öffentlichkeit stehen als die, die die Defensivarbeit erledigen. Aber als Außenverteidiger hast du heute gute Chancen.
Fühlen Sie sich manchmal unterschätzt auf Ihrer Position? In Dortmund wird ja auch mehr über Robert Lewandowski berichtet?
Schmelzer: Das ist eine Sichtweise der Medien. Intern ist das anders. Es gehören immer elf Spieler zu einer guten Mannschaft.
Sie wurden ja selbst umgeschult. Konnten Sie das damals sofort akzeptieren oder haben sie gesagt: Och neee…?
Schmelzer: Als Heiko Herrlich mich in der Dortmunder Zweiten aus dem Mittelfeld zurückgezogen hat, hab‘ ich schnell gemerkt, dass mir das entgegenkommt. Keine Ahnung, wie sich meine Karriere sonst entwickelt hätte. Aber es ist gut so, wie es gekommen ist.
Was macht einen Außenverteidiger aus?
Schmelzer: Dass er defensiv und offensiv seinen Part spielt.
Wie schnell man selbst in der Nationalelf Karriere machen kann, sehen Sie an ihrem Mannschaftskameraden Mats Hummels. Ist er vielleicht sogar die Überraschung des Turniers?
Schmelzer: Für uns Dortmunder auf keinen Fall. Wir wussten immer, dass Mats eigentlich in die Mannschaft gehört. Wer ihn bei der Borussia gesehen hat, weiß, dass kein Weg an ihm vorbeiführt. Er ist zuvor bei seinen Länderspielen immer zu schlecht von den Medien beurteilt worden.
Spielen Sie im Geiste mit, wenn Sie Philipp Lahm von der Bank aus auf Ihrer Position beobachten beobachten?
Schmelzer: Ich achte nicht nur auf meine Position, sondern auf das ganze Spiel. Es geht ganz schön was ab bei uns auf der Bank, und wir versuchen, die Mitspieler zu unterstützen, sofern es direkt vor unserer Nase passiert.
Können sie von Lahm noch lernen?
Schmelzer: Absolut. Wahnsinn, wie wenig Bälle er selbst unter Druck verliert.
Wie wirkt die deutsche Abwehr von der Bank aus?
Schmelzer: Stabil. Wenn man gesehen hat, wie die Jungs gegen Portugal und Holland verteidigt haben, muss man sich keine Sorgen machen. Ich denke eher, dass es offensiv noch ein wenig Luft nach oben gibt.
Mit einiger Sicherheit werden sie Reservist bleiben. Wie können sie sich trotzdem nützlich machen?
Schmelzer: Indem man sich nicht so verhält, wie es von den Holländern zu lesen war. Wir haben Spaß zusammen, und nur so kann man Erfolg haben. Ich denke, die Spanier und wir sind da vorbildlich. Auch wenn du in der Bundesliga bei einem großen Verein Stammspieler bist, musst du dich hier einfügen. Natürlich würde ich lieber selbst spielen, aber es geht ja um Deutschland, nicht um einzelne Spieler.
Geht es hier im Training noch mehr ab als in Dortmund?
Schmelzer: Die Konzentration hier ist höher, weil das Niveau noch höher ist. Du kannst ganz schnell schlecht aussehen. Was Mesut Özil mit dem Ball macht, ist manchmal unglaublich. Und wie Sami Khedira die Ruhe behält, auch. Da kann man viel abgucken.