Kiew. Kaum zu glauben, aber wahr: Das EM-Viertelfinale am Sonntag ist das erste K.o.-Spiel zwischen den Fußball-Großmächten England und Italien. Das Halbfinale ist ihr großes Ziel, doch keiner will gegen die DFB-Elf spielen. Für Bundestrainer Joachim Löw wären beide Gegner „sehr, sehr unangenehm“.

Beim ersten K.o.-Duell zwischen den Fußball-Großmächten England und Italien spielt die Angst vor Deutschland mit. Die Hitzköpfe auf beiden Seiten machen sich vor dem Spiel am Sonntag in Kiew (20.45 Uhr/live in der ARD und im DerWesten-Ticker) zwar fleißig Kampfansagen, das Halbfinale ist ihr großes Ziel, doch keiner will gegen die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw spielen. „Oh nein, es sind die Deutschen!“, titelte das englische Boulevardblatt Sun, als der mögliche Gegner in der Vorschlussrunde feststand.

Die Briten würden sich gerne rächen wollen. Für das WM-Halbfinale 1990. Für das Halbfinale bei der Heim-EM 1996 - beide verloren im Elfmeterschießen. Und für das 1:4 im Achtelfinale der WM 2010 in Südafrika. Aber erst mal müssten sie dafür Italien besiegen, eine Aufgabe, der sie mit Kampfeslust begegnen. „Wir sind wie elf Bulldoggen“, tönte Abwehrspieler Ashley Cole demonstrativ mutig: „Wir geben niemals auf, wir kämpfen füreinander und wir würden füreinander auf dem Platz sterben.“

Stachel des WM-Halbfinales 2006 sitzt tief

Sollte Italien gewinnen, lägen die Rachegelüste eher bei Deutschland. Der Stachel des WM-Halbfinales 2006 sitzt noch tief. Torhüter Gianluigi Buffon bezeichnet Deutschland und Spanien zwar als die besten Teams der Welt, „aber wir können an einem guten Tag jeden schlagen.“ Die Gazzetta dello Sport schrieb nach dem 4:2 der DFB-Auswahl gegen Griechenland: „Dass die Deutschen stark sind, wussten wir. Sie sind aber auch überheblich, und von diesem Fehler kann man profitieren.“

Für Bundestrainer Joachim Löw wären beide Gegner „sehr, sehr unangenehm“. Roy Hodgson (Teammanager, d. Red.) hat das Spiel von England umgestellt. Die stehen sehr eng, nicht mehr so zweigeteilt wie noch 2010. Er hat eine klare Ordnung in diese Mannschaft gebracht. Sie sind besser organisiert und kontern schnell. Italien spielt ein bisschen ähnlich.“

Auch interessant

Bevor das Interesse auf Deutschland gerichtet wurde, hatte vor allem der italienische Skandalstürmer Mario Balotelli vom englischen Meister Manchester City im Blickpunkt gestanden. „Wir werden ihm ganz schön die Hölle heiß machen“, sagte Mittelfeldspieler James Milner, Balotellis Klubkollege. Dann kündigte Milner an, Joleon Lescott, ein weiterer „Citizen“, werde Balotelli „schon aus dem Spiel nehmen“.

Balotelli spricht über sich in dritter Person

Balotelli selbst meldete sich am Samstagabend zu Wort und sprach in bester Lothar-Matthäus-Manier über sich in der dritten Person. „Ich denke nicht, dass Mario irgendwem etwas beweisen muss. Nicht den Engländern, nicht den Italienern und auch sonst nirgendwem“, sagte er: „Es wird sicher ein Spaß, gegen meine Vereinskollegen zu spielen. Alle Spieler von City sind meine Freunde. Aber Angst vor ihnen habe ich nicht. Ich hoffe, dass sie verlieren - und ich gewinne.“

Beim 2:0 gegen Irland wurde der 21-Jährige nur eingewechselt, machte ein Traumtor, das er mit wüsten Beschimpfungen Richtung Trainerbank feiern wollte. Mitspieler Leonardo Bonucci hielt ihm geistesgegenwärtig den Mund zu.

„Ich schlage ihm vor, einfach das zu spielen, was er kann, und nicht mehr ein solcher Stachel im Arsch des Trainers zu sein“, soll Balotellis italienischer Klubtrainer Roberto Mancini laut Berichten mehrerer englischer Medien gesagt haben: „Mario, ich wünsche dir nur das Beste, aber schieß doch das nächste Mal ein Tor ohne die ganze Dramatik danach.“

Engländer trainieren Elfmeter

Die Engländer trainierten derweil fleißig gegen ihr Trauma an - Elfmeter. „Ich würde schießen, wenn man mich fragt. Und ich bin sicher, jeder andere würde das auch“, sagte Abwehrspieler Glen Johnson vom FC Liverpool mit breiter Brust. Dass die Three Lions in den vergangenen 22 Jahren bei fünf WM- oder EM-Turnieren ausschieden, weil sie in der finalen Lotterie versagten, soll nur noch eine Statistik sein. Ebenso wie die, dass England K.o.-Spiele gegen andere große Teams nur in London gewinnen kann.

„Mindestens eine dieser scheußlichen Statistiken wollen wir ändern“, sagte Hodgson: „Wie alle Engländer träume ich vom Halbfinale. Wenn wir in einigen Jahren aufhören, wollen wir das mit einer Medaille um den Hals tun.“ (sid)