Essen. . Fußball und Politik begegnen sich irgendwie immer wieder. Aber gilt immer noch: Wie die Politik, so der Fußball? Die deutsche Elf hat sich von vielen Klischees über ihr Spiel lösen können. Ein Kommentar von Reinhard Schüssler.
Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft war viel von Politik die Rede. Die wenigsten dürften aber mit dieser Entwicklung gerechnet haben: Die seit längerem anhaltende Auseinandersetzung zwischen Griechenland und Deutschland verlagert sich kurzfristig von der EU auf die EM. Schon kündigten euphorisierte Hellas-Fans vor dem Viertelfinale an: „Wir werden den Deutschen zeigen, dass sie zwar mehr Geld, wir aber das bessere Team haben.“
Nun ja. Wer aber die strahlenden Gesichter der auf den Straßen Athens tanzenden Menschen sah, bekam zumindest eine Ahnung davon, welche politische Kraft in einem Ball steckt, der fast die ganze Weltkugel bewegt. Wobei die Fußball-Begeisterung natürlich nicht nur in eine Richtung ausschlägt.
So erleichtert Griechenlands Regierung sein wird, dass ihre Landsleute von ihren größten Sorgen abgelenkt sind, so wenig amüsiert wird Russlands Präsident Wladimir Putin über das Vorrunden-Aus seiner Nationalmannschaft sein. Nicht umsonst hatte der Kreml-Chef Tausenden von Fußball-Anhängern die kostenlose Anreise ermöglicht. Die Rechnung, über den Fußball eine bessere Stimmung im Land zu erzeugen, ging jedoch nicht auf.
Wirkung der Ball-Botschafter ist enorm
Auch in Deutschland hat noch jeder Regierungschef versucht, die Popularität des Fußballs auszunutzen. Spürbare politische Wirkung erzielte jedoch nur ein deutscher Triumph: das „Wunder von Bern“. Indem sie dem unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges leidenden Volk das „Wir- sind- wieder-wer“-Gefühl vermittelten, zählte die Herberger-Elf 1954 zu den Motoren des Wirtschaftswunders.
Da kann die Löw-Elf spielen und siegen, wie sie will - ein solcher Stellenwert ist für sie unerreichbar. Was nicht gegen die Fußballer, sondern für die Entwicklung in unserem Land spricht. Gleichwohl ist die (Außen-)Wirkung, die Deutschlands Ball-Botschafter erzielen, nicht gering zu schätzen. Wie sich spätestens beim Sommermärchen 2006 zeigte, als die Welt sowohl über den unverkrampften Umgang mit nationalen Symbolen als auch über die Spielweise der einheimischen Mannschaft staunte.
Im Fußball hatten sich die Deutschen zwar über Jahre weltweiten Respekt verschafft, mit ihrer wenig filigranen Spielweise gleichzeitig aber vorhandene Vorurteile gegenüber „teutonischen Tugenden“ verstärkt. Inzwischen löst der Stil des Löw-Teams weniger Furcht vor deutscher Effektivität aus, eher schon Verzückung über ein attraktives Spiel.