Breslau. Die deutschen Fans hatten beim zweiten Gruppenspiel allen Grund zur Häme. Im Stadion skandierten sie: “Schade Holland alles ist vorbei.“ Fans anderer Nationalmannschaften preisen im Stadion dagegen die englische Königin oder die günstigen Bierpreise in der Ukraine.
Als in Charkiw die Nachspielzeit anbrach, löste sich auf den Rängen endgültig die Anspannung. Es begann wie ein leises Rauschen und ging über zu einem leichten Grollen, ehe sich der Klangteppich aus tausenden deutschen Kehlen über den Rasen legte. "Schade Holland alles ist vorbei", schallte es aus der deutschen Kurve.
Der Gesang der deutschen Anhänger, den 2:1-Sieg gegen den ewigen Rivalen Niederlande vor Augen, war zwar nicht unbedingt kreativ, dafür aber effektiv: Der Gegner wird gedemütigt und gleichzeitig die eigene Euphorie zum Ausdruck gebracht. Fangesänge sind so alt wie das Spiel selbst. Auch bei der EM 2012 sorgen sie in erster Linie für Stimmung, haben politische Botschaften, sind huldigend oder schlicht beleidigend. Entstehen in bestimmten Situationen, aus Wut, Freude oder Euphorie heraus.
Schon kurz vor der Halbzeit packten die deutschen Fans, in Charkiw zahlenmäßig sowieso in der Unterzahl, alles in die Waagschale, was möglich war. Von "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid" (Klassiker) über "Super Deutschland Olé" (laut) bis hin zur Nationalhymne (selten). Letzteres spiegelte vor allem eines wider: Stolz. Erst seit wenigen Jahren, genauer gesagt seit der WM 2006, trauen sich die deutschen Anhänger, die Hymne auch dann zu singen, wenn sie vor dem Anpfiff nicht gerade aus offiziellem Anlass dazu quasi gezwungen werden.
Nationalstolz der Engländer
Vom Thema Nationalstolz können vor allem die Engländer im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied singen. Vor Spielbeginn, vor dem Ende jeder Halbzeit und bei jeder Auswechslung ertönt "God save the Queen". Und keine Nation schafft es so eindrucksvoll, Politisches mit schwarzem Humor zu verbinden. Tausende Anhänger erheben sich von ihren Sitzen, breiten ihre Arme aus und singen voller Inbrunst: "There are ten German bombers in the air. Ten German bombers in the air. And the RAF from England shot one down." Ein politisches Statement aus dem zweiten Weltkrieg, das in der Vergangenheit von deutschen Fans mit einem "Football's coming Home" beantwortet wurde. Was dann wiederum je nach Spielstand ebenso kreativ wie effektiv war.
Die Melodien der Massen sind indes meist gleich und an alte Klassiker wie "Yellow Submarine" angelehnt. Entscheidender Vorteil ist aber, wenn die Kontrahenten in der Kurve die Gesänge verstehen. Das "Kdo neskace, neni Cech, hop! hop! hop!" (Wer nicht springt der ist kein Tscheche) der tschechischen Fans und das Verschlucken des letzten Buchstabens erzeugt dann mehr zufällig als gewollt einen höhnischen Unterton.
Viele Nationen feiern auch gerne sich selbst. Die Schweden brachten ihre Freude über preiswerte alkoholische Getränke zum Ausdruck. "Det finns bara svenskar i Kiev, det finns bara svenskar i Kiev, det finns bara svenskar i Kiev – och ölen den kostar en tjuga…" (Es gibt nur Schweden in Kiew, es gibt nur Schweden in Kiew, es gibt nur Schweden in Kiew – und das Bier kostet nur einen Zwanziger). Also umgerechnet zwei Euro. Für die trinkfesten Schweden ein Traum.
"You'll never beat the Irish"
Selbstironisch und vor allem kreativ sind die Iren, die ihr sportlich unterlegenes Team mit einem lang gezogenen "You'll never beat the Irish" unterstützen. Gerne huldigen sie auch alten Heroen wie Gary Breens, ein Innenverteidiger, der 63 Mal für die Nationalmannschaft spielte. "We all dream of a team of Gary Breens, team of Gary Breens, team of Gary Breens." Oder ihrem Trainer (Ohhh, Trapattoni, he used to be Italian, but he's irish now). Der Song wird dann wohl im letzten Gruppenspiel gegen Italien zum Renner.
Kurz aber wirkungsvoll waren die Gesänge der dänischen Fans gegen Portugal und ihren Superstar von Real Madrid. Einen verunglückten Freistoß von Cristiano Ronaldo verhöhnten sie mit "Messi, Messi"-Rufen. Das wird dann auch Ronaldo verstanden haben. (dapd)