Nachrodt. Im sauerländischen Nachrodt-Wiblingwerde fertigt die Firma Lübold von der Crone Pfeifen. Ihre „Lübold 600“ verwenden die Schiedsrichter bei der aktuellen Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Weil die besonders laut ist...
Es gibt Leute, die sagen (sobald sie die Finger wieder aus den Ohren gezogen haben): „Mit dieser Pfeife hätte es Düsseldorf nicht gegeben!“ Also, das Fußballspiel gegen Berlin, den Platzsturm, die Behauptung: Da hat jemand zum Schluss gepfiffen! „Der Ton ist ekelhaft“, findet Peter Kalle, was erstaunlich ist, denn er hat die Pfeife gemacht. Bei der EM in Polen und der Ukraine kommt die neue „Lübold 600“ aus dem Sauerland zum Einsatz. Soll keiner sagen, er hätte den Pfiff nicht gehört!
„Es gab“, spricht Kalle mitfühlend in den schmerzhaften Nachhall, „die Notwendigkeit, eine Frequenz zu finden, die gehört wird.“ Auch bei 80 000 im Stadion. Auch, wenn „der Schiri mit Schmackes über den Platz rennt“. Macht mal was, hätten ein paar Schiedsrichter schon vor mehr als einem Jahr gebeten – als würde die Firma Lübold von der Crone nicht schon seit 1923 machen. Die „Argentina 1978“ zum Beispiel, Modell 005, Messing, verchromt, nahm es noch 2010 mit den südafrikanischen Vuvuzelas auf.
Sie hat also bei Weltmeisterschaften gewonnen, darf man sagen, liegt gar im Museum, wie Verkaufsleiter Heinz Liebold stolz vermeldet, „neben den stinkigen Schuhen von Pele“: eine Trillerpfeife aus Nachrodt-Wiblingwerde im Märkischen Kreis.
Aus dieser Werkstatt, die aussieht wie aus einer anderen Zeit, aus den Händen von Männern, die irgendwie hierher passen. Werkzeugmachern wie Kalle mit großen Händen, vollen Bärten und abgewetzten Arbeitshosen in einem Dickicht schwerer stählerner Maschinen aus lange vergangenen Jahrzehnten. Vier sind sie noch in diesem Ziegelbau, sie stanzen das Metall, biegen die Streifen an Hebeln zur guten alten Pfeifenform, löten, nieten, polieren, galvanisieren, kleben Mundstücke, schieben Kugeln in die Klangkörper.
Die „Neue“ ist lauter als eine gewöhnliche Disco
Eine Manufaktur, von der man kaum glauben kann, dass es so etwas noch gibt.
Und beinahe wäre es auch anders gekommen – bis vor vier Jahren die Firma MBZ Obernahmer das Traditionsunternehmen – wie der Name gewissermaßen schon sagt – übernahm. Dabei hatte Heinz Liebold, Verkaufsleiter Pfeifen, seine Zweifel: „Wer braucht heute noch Pfeifen?“ Und: „Eine Plastikpfeife ist eine Plastikpfeife.“ Sowas kommt billig aus Fernost, stellt man sich so vor und hat ja Recht: voller Weichmacher, klagt Liebold an, mit Blei und Mundstücken, die splittern können! Aber dann guckte er, der erklärte „Ossi“, der „nichts wegwerfen kann“, in die Maschinen, entdeckte „hochkomplexes Werkzeug“ und in der Pfeife ein Musikinstrument.
Denn tatsächlich: Die Kunst des Pfeifenmachens entstand zum Ende des 19. Jahrhunderts im Erzgebirge, aus dem auch Liebold stammt, in der Geschichte spielen vor allem Waldhörner mit. Und so ist es kein Wunder, dass sie im Sauerland von „Harmonie“ reden und über ein klares „h“ und die Frage, ob der tiefe Ton noch einen Triller braucht. Und dass bei der Entwicklung der neuen Schiedsrichterpfeife auch ein Orgelbauer half. Die Korkkugel, ganzer, unaufhaltbarer Stolz der 005, haben sie ihr genommen, dafür drei Kammern angelegt; ein Modellbauer verschob wochenlang deren Wände.
„Schiedsrichter sind eigen“, weiß Heinz Liebold, dabei wollen sie gar nicht viel: nur „eine ordentliche Pfeife, die auch geht“. Die sie nicht lange suchen müssen am Handgelenk und die im Bedarfsfall zuverlässig tönt. Schließlich ist Abseits nur, wenn der Schiri pfeift.
Nun ist die „Neue“ lauter geworden als eine gewöhnliche Disco, viel fehlt ihr nicht zum Startlärm eines Flugzeugs, und dabei sieht sie doch einfach nur aus wie – eine Pfeife. Schwarz, rundlich, mit zwei leichten Erhebungen ums Mundstück, damit die Lippen sie festhalten können ohne die Hilfe der Zähne. Aber nicht festfrieren, was an Messing und Chrom in kalten Wintern schon passiert sein soll.
Eishockey-, Volleyball-, Polizei-, Hunde-, Boots- und Protestpfeifen
Das allerdings beträfe vielleicht eher die Unparteiischen auf Eis – für die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 hat Liebold von Lübold der russischen Auswahlkommission eine Eishockey-Pfeife geschickt. Er hat aber auch Volleyball-und Schwimmtrainer-Pfeifen, Polizei- und Feuerwehrpfeifen, Hunde-, Protest- und Bootspfeifen. Unter Letzteren diese eine besondere, einen Nachbau der „Titanic“-Pfeife, der später auch noch mit der „Gustloff“ sank. Aber das soll die einzige Pfeife bleiben aus dem Sauerland, die jemals unterging.