Krakau. Nach der 0:1-Niederlage gegen Dänemark droht den Niederlanden am Mittwoch das frühe EM-Aus. Trainer Bert van Marwijk steht in der Kritik - seine Zeit dürfte bei einem frühzeitigen Ausscheiden abgelaufen sein. Nächster Gegner: Deutschland.
Im Stadion des polnischen Fußball-Erstligisten Wisla Krakau haben sie alles für die Holländer hergerichtet. Das Treppenhaus ist frisch gestrichen, es riecht noch nach Anstreicher, auf den Tischen stehen orange Blumen, am Büffet warten drei Kellner, die automatischen Rasensprenger haben den Platz gewässert. Aber die Holländer kommen nicht.
Um 12 Uhr am Sonntag sollte das Training beginnen, doch die Mannschaft sitzt noch ein paar Kilometer weiter im Sheraton-Hotel. Die Spieler sind nach der 0:1 (0:1)-Niederlage in ihrem ersten EM-Spiel gegen Dänemark erst in der Nacht aus der Ukraine in ihre Zimmer zurückgekehrt. Es war der erste Knall des Turniers, und die Holländer sind offensichtlich zart im Nehmen. Sie brauchen noch etwas Zeit, um den Schock zu verarbeiten.
Das Gesicht von Arjen Robben spricht, ohne zu reden
Doch um kurz vor halb eins heulen dann die Sirenen der Polizeiwagen vor dem Stadion. Die Polizei eskortiert die Mannschaftsbusse während der EM in Polen grundsätzlich mit Blaulicht und jeder Menge Lärm. Der Bus stoppt, die Spieler steigen aus. Ihr Befehl vom Pressechef für den Sonntag lautet: „No media contact!“ Also schweigen sie. Aber das Gesicht von Angreifer Arjen Robben spricht, ohne zu reden, es sagt den Satz: „Wer mir heute blöd kommt, der kriegt jede Menge Ärger.“
Die holländischen Spieler haben ihr traditionelles Orange im Schrank gelassen und erscheinen in Hellblau. Eine gute halbe Stunde schütteln sie bei Traben und Gymnastik die Müdigkeit des Spiels und die bleierne Schwere der Niederlage aus den Knochen.
Trainer Bert van Marwijk trägt einen schwarzen Trainingsanzug, in seinem Herzen dürfte es zumindest grau aussehen. Mit seiner Aufstellung gegen die Dänen stand er in der Heimat in der Kritik. Spielmacher Rafael van der Vaart schmorte auf der Bank, genauso die Mittelfeld-Kampfmaschine Dirk Kuijt und der Bundesliga-Torschützenkönig Klaas-Jan Huntelaar.
Van Marwijks Zeit dürfte bei einem Vorrunden-Aus abgelaufen sein
Als van Marwijk mitten im Training alleine zur Außenlinie schreitet, rattern die Kameras der Fotografen. Ein Symbol-Bild? Der 60-Jährige schaut zur Tribüne hoch mit einem Gesicht, das aussieht, als hätten die Götter des Schicksals noch in der Nacht ihre Autogramme darauf geschrieben. Nach der 0:1-Niederlage in Charkow, bei der der Däne Michael Krohn-Dehli in der 24. Minute das Tor des Tages erzielt hatte, hatte der Trainer gesagt: „Jetzt müssen wir am Mittwoch im zweiten Spiel Deutschland schlagen. Das wird nicht einfach, das weiß jeder.“
Wenn die Holländer das nicht schaffen und in der Vorrunde rausfliegen, dürfte van Marwijks Zeit als Trainer abgelaufen sein. Das wissen viele.
Schlechtere Laune als Robben wird er dann trotzdem nicht haben können. Der Star des FC Bayern München sieht in der Sonne von Krakau aus wie der Erfinder der schlechten Laune. Er trabt beim Auslaufen mit Wesley Snejder von Inter Mailand hinter dem Rest der Mannschaft her. „Vielleicht war es die ganze Scheiße, die schuld war“, hatte Robben nach dem Schlusspfiff gesagt. Damit meinte er die verlorenen Endspiele mit den Bayern im DFB-Pokal und in der Champions League, seinen dabei verschossenen Elfmeter gegen Chelsea und die Pfiffe der eigenen Fans gegen ihn.
Pech für Torjäger van Persie
Gegen Dänemark lief es ähnlich verkorkst. Im Angriff der überlegenen Holländer trafen sich Zwei wie Pech und Frevel. Das Pech in der Person von Robin van Persie. Der Torschützenkönig der englischen Premier League vom FC Arsenal mühte sich, hatte aber wenig Fortune im Abschluss. Der Frevel in der Person von Robben, der wie bei den Bayern immer wieder von links nach innen zog, und immer wieder eigensinnig den Ball über die Latte wuchtete.
Dann ist das lockere Training im Stadion von Wisla Krakau vorbei. Die Spieler lassen sich auf den Rasen fallen und von den Physiotherapeuten die Muskeln dehnen. Bis Mittwoch zum Deutschland-Spiel wollen die liegenden Holländer wieder aufstehen. Wie? Darüber dürfen sie an diesem Mittag nicht sprechen. Sie steigen in den Bus und fahren wortlos zum Sheraton. Oben im Stadion packen die drei Kellner derweil das Büffet zusammen. Einer von ihnen steckt sich ein Stück Kuchen in den Mund. Wäre auch zu schade drum.
Schock für Niederlande