Opalencia. Cristiano Ronaldo hat in 144 Pflichtspielen für Real Madrid 146 Tore geschossen, er arbeitet als Unterwäschemodel für Armani. Trainer Bento weiß: Wenn Ronaldo untergeht, geht Portugal unter. Trotzdem sagt Bento: „Es stehen doch auch noch zehn andere Spieler auf dem Platz.“
Cristiano Ronaldo tritt nicht ein, Cristiano Ronaldo tritt auf. Der Stürmerstar der Portugiesen kommt durch die Gittertür, die zum Trainingsplatz führt, schreitet auf den Rasen und spielt seine beste Rolle: Er spielt Cristiano Ronaldo.
94 Millionen Euro hat Real Madrid für ihn als Ablösesumme an Manchester United überwiesen, in 144 Pflichtspielen für den spanischen Meister hat er 146 Tore geschossen, und nebenbei arbeitet er auch noch als Unterwäschemodel für Armani. Ein Schönspieler. Wieso sollte der 27-Jährige vor dem EM-Spiel gegen Deutschland am Samstag (20.45 Uhr, bei uns im Live-Ticker) etwas sagen? Er ist Cristiano Ronaldo, er bestimmt, wann er spricht: Jetzt nicht!
Unendliche Weiden
Die Portugiesen haben sich in das polnische Örtchen Opalencia vor den Toren Posens zurückgezogen. Unendliche Weiden, Störche thronen viele Meter hoch über dem Grün in ihren Nestern, die bunten Fahnen an den Laternenmasten flattern nicht für die EM im Wind. Sie sind der Schmuck, der von der Fronleichnams-Prozession übrig geblieben ist. Aber die Idylle trügt. Am Wegesrand erinnern immer wieder Kreuze, vor denen Kerzen stehen, an die Toten der Landstraße. Einsamkeit kann vor allem nachts gefährlich werden.
Der Gesang, der aus der katholischen Kirche von Opalencia über die Felder schwebt, mischt sich auf dem Trainingsplatz mit den Kommandos von Trainer Paulo Bento. Bento hat die portugiesische Nationalmannschaft erst vor einem Jahr vom entlassenen Carlos Queiroz übernommen. Mit sieben Siegen, einem Unentschieden und nur einer Niederlage führte er das wackelnde Team in letzter Sekunde durch einen Playoff-Erfolg gegen Bosnien-Herzegowina zur EM.
Seitdem hört auch Ronaldo auf Bento. Er spielt nicht mehr Fußball, als würde er von einem Elfjährigen an der Playstation gesteuert. Er ist dabei, das Divenhafte abzulegen. Manchmal gelingt es, manchmal noch nicht. Spötter behaupten, wenn sich Ronaldo nach einem Foul am Boden wälzt, kommt nicht der Arzt mit einem Koffer angelaufen, sondern der Haarstylist.
Vielleicht redet der 27-Jährige auch wegen solcher Witze nicht mehr jeden Tag mit den Medien. Er zieht die Blicke dennoch auf sich. Die Spieler wärmen sich mit Tempoläufen auf. Immer, wenn Ronaldo in Richtung Fotografen sprintet, rasseln die Auslöser im Dauerfeuer. Ronaldo hält sich nach einigen Sprints den Arm vors Gesicht, er kann also doch noch der alte, provozierende Portufiese sein.
Zum Sprechen schickt er an diesem Tag den Vize-Kapitän nach vorne. Torwart Eduardo muss vor die Mikrofone. Der 29-Jährige hat ein Lächeln, das den Saal verzaubert. Es wird Portugiesisch gesprochen. Einen Dolmetscher hat der Fußball-Verband Portugals noch nicht engagiert. Die Portugiesen gelten bei dieser EM nicht als große internationale Nummer.
An den Wänden hängen die Poster der früheren Stars. Eins ist von 1966, es ist schwarz-weiß. Auf ihm lächelt Eusebio, während ihm der Ball am Fuß zu kleben scheint. Eusebio hat eine Generation portugiesischer Fußballer geprägt, er konnte sie leiten. Die Frage, die sich bei der EM stellt: Kann Cristiano Ronaldo das auch? Oder zerbricht er im rot-grünen Nationaltrikot wieder einmal an dieser Aufgabe?
Eduardo lächelt
Trainer Bento versucht, den Druck von seinem Star zu nehmen. Es gehe doch nicht nur um Ronaldo, sagt er. „Es stehen doch auch noch zehn andere Spieler auf dem Platz.“ Aber Bento weiß tief im Herzen natürlich: Trifft Ronaldo, kann Portugal die Vorrunde gegen Deutschland, Holland und Dänemark überstehen. Geht Ronaldo unter, geht Portugal mit ihm unter.
Solche Zweifel lächelt Eduardo einfach davon. Seine Torhüterhände sehen in Ruhestellung aus wie zwei große Schaufeln. „Wir haben unsere letzten beiden Spiele gegen die Deutschen verloren“, sagt Eduardo. Er macht eine kurze Pause, in der er sein Lächeln anknipst, dann fährt er fort: „Es wird Zeit für uns, das dritte Spiel zu gewinnen.“ Nun lächeln alle Portugiesen im Saal.
Derweil macht Cristiano Ronaldo draußen auf dem Weg vom Rasen ins Hotel das, was er auch sehr gut kann: Er dribbelt an allen Fragen vorbei, und schon bald ist nichts mehr von ihm zu sehen.