Essen. Beim Spiel zwischen England und Deutschland kommentiert Florian Naß zu sehr durch die deutsche Brille - und begeht dadurch Fehler.
Deutschland gegen England. EM-Achtelfinale. Wembley. Gefühle. Natürlich, das ist kein gewöhnliches Spiel. Es verdient eine besondere Begleitung durch den Kommentator. Der auch mal schweigen darf, wenn Bilder größer sind als Worte. 45.000 grölende Engländer sprechen ja für sich. Wenn das Spiel schon an sich das Ereignis ist, bedarf es keiner künstlichen Emotionalisierung. Und es sollte auch niemand am Mikrofon sitzen, der mehr Fan als Reporter ist.
Na klar, es gibt solche Geschichten, die mitreißen. Wenn die Schweizer den haushohen Favoriten Frankreich niederringen. Oder wenn elf dänische Freunde ins Viertelfinale stürmen. ARD-Mann Tom Bartels agierte bei letzterem ja schon eher halb-hochprofessionell, hielt sich allerdings wenigstens an die Fakten.
ARD-Übertragung von Deutschland gegen England wird zum Fan-TV
Florian Naß aber hatte am Dienstagabend so richtig das Schland-Fieber erwischt. Der Sommer von 2006 in 90 Minuten. Viele Zuschauer vor dem Fernseher sind damals sicher fußballsozialisiert worden. Ein Hauch schwarz-rot-goldener Kommentatoren-Stimme ist da womöglich angemessen, schließlich drücken vor dem Fernseher Millionen die Daumen.
Beim Hauch blieb es aber nicht, die ARD glich auch dank Naß eher Fan-TV. Der Kommentator ging zu weit, weil er entscheidende Spielsituationen falsch interpretierte. Den englischen Führungstreffer etwa bezeichnete er als unverdient. Dabei hatten die Engländer zu diesem Zeitpunkt immer mehr Spielkontrolle erlangt und durch Kane die beste Chance der Partie.
Florian Naß redet deutsche Aktionen zu oft schön
Dann waren da noch die bösen englischen Zuschauer, die es wagten, bei deutschem Ballbesitz zu pfeifen. Das Herbeisehnen des VAR-Eingriffs nach dem 2:0, weil Torschütze Kane vielleicht im Abseits gestanden hatte. Als Matthias Ginter den Ball ins Aus spielte, nachdem sich ein englischer Spieler verletzt hatte, schrie Naß fast einen Fairplay-Preis herbei. Da war zu viel Emotionalität im Spiel, zu viel Schönrederei deutscher Aktionen. Naß sah die Partie zu oft zu sehr durch die deutsche Brille - und verlor so als eigentlich neutraler Beobachter die Übersicht.