Kopenhagen. Dänemark überwindet das Eriksen-Drama mit einem Offensiv-Spektakel. Der Achtelfinal-Einzug erinnert an den mitreißenden Fußball der 80er-Jahre.

Im Parken-Stadion von Kopenhagen trugen alle rot-weiß, aber das in den irrsten Varianten. Bierbecher flogen nicht nur Richtung Schiedsrichter, sondern noch lieber aus Freude. Der Jubel war ohrenbetäubend, die Stille komplett, das Schwelgen romantisch, und es herrschte ein Zusammenhalt, der sie das Drama um ihren besten Spieler überstehen ließ.

Aus aufreibenden Tagen der EM-Vorrunde geht Dänemark in dem Wissen, dass es zwar den Fußballer Christian Eriksen womöglich nie mehr geben wird, aber den Menschen weiter gibt. Und dass die Mannschaft im Achtelfinale am Samstag (18 Uhr/ARD oder ZDF, MagentaTV) gegen Wales steht.

4:1 gegen Russland: Flatterschuss, Abstauber, Solo

Noch nie hatte ein Team nach zwei Niederlagen zum Auftakt die K.o.-Runde erreicht. Noch nie hatte es eines so verdient, denn schon beim ohnmächtigen 0:1 gegen Finnland wie auch beim trotzigen 1:2 gegen Belgien war Dänemark besser gewesen. Nun gelangen beim 4:1 gegen Russland endlich auch die Tore: durch einen Flatterschuss des 20-jährigen Mikkel Damsgaard, durch einen Abstauber von Leipzigs Yussuf Poulsen, durch ein Geschoss von Champions-League-Sieger Andreas Christensen und durch ein Solo des brillanten Linksverteidigers Joakim Maehle. „Total umwerfend, wie alle abgehen“, sagte Damsgaard über die Party danach. Trainer Kasper Hjulmand ergänzte: „Wir halten zusammen, wir unterstützen uns, wir helfen einander aus: Das ist Dänemark, das sind die besten Werte, die wir der Welt zeigen können.“

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Und ihren Fußball, den können sie auch herzeigen. „Fantastisch“ war er, wie Verteidiger Christensen sagte. „Vielleicht ein bisschen zu offensiv. Aber wirklich unterhaltsam.“

"Danish Dynamite" wie in den 80er Jahren

Zu offensiv? Dänemark hat Sommer. Dänemark will feiern. Und es will Angriffsfußball. Wie immer seit dem „Danish Dynamite“.

Unter diesem Label eroberte in den 1980ern eine Mannschaft um Morten Olsen, Sören Lerby, Michael Laudrup und Preben Elkjaer-Larsen zusammen mit ihren lustigen Fans die Welt. Bei der WM 1986 spielten sie den schönsten Fußball, und die coolsten waren sie mit ihren Hummel-Trikots, den heruntergelassenen Stutzen (Lerby) oder Halbzeit-Zigaretten (Elkjaer) sowieso. Dass die Mannschaft von Sepp Piontek im Achtelfinale mit 1:5 von Spanien ausgekontert wurde, gehörte zu ihrer Geschichte, wurde jedoch nicht übermäßig dramatisiert. Man hatte ja eine gute Zeit gehabt.

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Viel schlimmer fanden es viele Dänen, wenn ihr Team vom Weg des Spaßfußballs abkam. Pionteks Nachfolger Richard Moeller Nielsen wurde erst halbwegs akzeptiert, als er 1992 die EM gewann – nachdem Dänemark für das wegen der Balkankriege ausgeschlossene Jugoslawien nachgerückt war. Später machte dann Morten Olsen 15 Jahre lang aus mäßig begabten Jahrgängen so attraktive Teams, wie es irgend ging, ehe unter dem Norweger Age Hareide skandinavischer Catenaccio praktiziert wurde. In der WM-Vorrunde 2018 schoss nur Iran seltener aufs Tor als Dänemark.

Dänemark: Mehr Torschüsse als alle anderen

Bei der EM 2021 nun hat keine andere Mannschaft so oft aufs Tor geschossen (61 Mal). Keine so oft den gegnerischen Torwart zu einer Parade gezwungen (21 Mal). Dänemark knüpft mit seinen Darbietungen an die WM-Qualifikation an, in der es im März drei Spiele mit einer Gesamttordifferenz von 14:0 gewann. Die Zeiten von Hareide wirken schon weit weg – dabei ist Hjulmand nicht mal seit einem Jahr im Amt.

„Es ist wichtig, dass sich die Dänen in dieser Mannschaft wiederfinden“, lautet eine der Prämissen des 49-Jährigen, der einst den kleinen FC Nordsjaelland zur Meisterschaft und in die Champions League geführt hatte, ehe er in der Bundesliga bei Mainz 05 scheiterte. Hjulmand gilt als kulturbeflissen, sein Führungsstil ist nahbar, ohne Autoritätsgehabe. Eben dänisch. Am Montag dankte er „allen Leuten, die uns so viel Liebe gezeigt haben, ohne sie wäre das nicht möglich gewesen“.

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Die Liebe soll sie nun auch fernab von Kopenhagen tragen. Das Achtelfinale steigt in Amsterdam; und damit in der spirituellen Heimat des „Danish Dynamite“, das sich damals stark vom holländischen Fußball inspirieren ließ. Passend zu einer Mannschaft, die dem Ideal so nahe kommt wie lange nicht.